Trans-Form
Die transformative Kraft der Wissenschaft
Häufig beobachtet Wissenschaft gesellschaftliche Veränderungsprozesse nur. Oder sie stellt technologisches Wissen zur Verfügung, hält sich aber ansonsten heraus. Um die Transformation zu einer Nachhaltigen Entwicklung vollziehen zu können, reicht das nicht aus. Wissenschaft muss zur „transformativen Wissenschaft“ werden. Sie muss sich selber in gesellschaftliche Veränderungsprozesse einbringen. Das hat Auswirkungen auf ihre Herangehensweisen und Methoden.
Standpunkt von Uwe Schneidewind
Um gesellschaftliche Veränderungsprozesse ziel- und richtungssicher zu unterstützen, werden drei Formen von Wissen benötigt:
Erstens: Wir brauchen Systemwissen. Das ist Wissen darüber, wie Technik, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zusammenspielen – z. B. im Rahmen unseres Energiesystems. Ohne ein solches Systemwissen ist keine Energiewende möglich. Systemwissen ist das klassische Produkt der Wissenschaft. Jedoch gelingt es schon in dieser Form nur selten, die Brücke zwischen technischem und sozialwissenschaftlichem Wissen zu bauen. So gibt es zwar viele Erkenntnisse zu den technischen Optionen der Energiewende, über nötige Beteiligungsverfahren oder innovative Finanzierungsmodelle wissen wir erheblich weniger. Und Forschung, die beides verbindet, gibt es noch seltener. Schon hier wird klar: eine transformative Wissenschaft muss viel interdisziplinärer als heute werden.
Zweitens: Zusätzlich brauchen wir Zielwissen. Nur wenn wir Vorstellungen über das Ziel einer gesellschaftlichen Transformation haben, lässt sich diese auch gestalten. 100 Prozent Erneuerbare Energien sind ein solches Ziel. Aber wie dezentral soll die regenerative Energieerzeugung der Zukunft sein? Welchen Mix der verschiedenen regenerativen Energien benötigen wir? Wie hoch soll der Gesamtenergieverbrauch und die dafür nötigen Energieeinsparungen bis 2050 sein? Ohne klare Zielvorstellungen lässt sich kein Veränderungsprozess gestalten. In der Regel überlässt die Wissenschaft diese Fragen der Politik. Dabei kann Wissenschaft viel zum Zielwissen beitragen. Sie kann konsistente Szenarien erarbeiten, ethische Begründungen von Zielen liefern – all das sind wissenschaftliche Beiträge. Für Zielwissen brauchen wir daher eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaft mit den Akteuren aus Politik und Gesellschaft. Aus Interdisziplinarität wird dann Transdisziplinarität – dies meint die Verbindung des Wissens wissenschaftlicher Disziplinen mit dem (Ziel)wissen der Betroffenen. Wissenschaft wird erst dadurch zu einem Katalysator für die Transformation.
Drittens: Wir benötigen schließlich Transformationswissen, also Wissen darüber, wie Veränderungen ausgelöst werden können. Ein solches Wissen darf nicht wissenschaftlich abstrakt sein, sondern muss „sozial robust“ sein. Damit ist gemeint, dass es den Akteuren vor Ort konkrete Orientierung für ihr Handeln gibt. Wie gestalte ich als Politiker die Energiewende in meiner Kommune? Wie fördere ich neue Formen der Mobilität in meiner Stadt? Das sind Fragen, die auf die Situation vor Ort angepasste Antworten brauchen.
Von naturwissenschaftlichen Laboren zu gesellschaftlichen Real-Laboren
Ein solches Transformationswissen ist nicht allein durch Modelle am grünen Tisch zu gewinnen. Ähnlich wie bei komplexen technischen Entwicklungen braucht es dafür Labore, in denen ausprobiert, getüftelt und schrittweise verbessert werden kann. Solche Labore für gesellschaftliche Veränderungsprozesse können z. B. einzelne Gemeinden oder Stadtteile sein, genauso wie einzelne Unternehmen oder Branchen. Gemeinsam ist solchen „Reallaboren“, das hier Veränderungsprozesse unter wissenschaftlicher Begleitung getestet, ausgewertet und kontinuierlich optimiert werden.
Für eine so gestaltete transformative Wissenschaft brauchen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit erweiterten Fähigkeiten, die über methodische Exzellenz in ihrer eigenen Disziplin hinausgehen. Ausbildungswege und Erfahrungen sind nötig, die die Ausprägung solcher Fähigkeiten fördern. Wir brauchen Forschungs- und Förderprogramme für eine entsprechenden Wissenschaft. All das steht noch am Anfang und muss erheblich ausgebaut werden, damit auch die Wissenschaft Motor für eine Transformation in Richtung Nachhaltigkeit werden kann.
Prof. Dr. Uwe Schneidewind ist Ökonom und Präsident des Wuppertal Instituts für Klima Umwelt Energie.
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Quellen/Literatur:
Schneidewind, U./ Singer-Brodowski, M.: Transformative Wissenschaft. Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem. Metropolis, Marburg 2013.
Schneidewind, U.: Plädoyer für eine Bürgeruniversität, in: duz MAGAZIN 08/2013, S. 30-31.
Wissenschaftlicher Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation. Hauptgutachten, Berlin 2011.
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