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Tausche Handy gegen großes Menü

In Millionen Schubladen liegen ausrangierte alte Handys. Würden sie verwertet, könnten kostbare Rohstoffe geschont werden. Doch wie kann die digitale Generation zur längeren Nutzung und zur Trennung vom Alt-Handy überredet werden? Ralf Bindel sprach mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Maria Jolanta Welfens über die verschiedenen Ansätze eines Projekts.

Frau Dr. Welfens, Sie leiten ein Projekt am Wuppertal Institut, das die Rückgabe und Nutzung gebrauchter Handys untersucht. Warum ist Handy-Recycling so wichtig?

Handy-Recycling ist wichtig, weil es bisher noch kein flächendeckendes funktionierendes Rücknahmesystem gibt. Allein in Deutschland lagern 83 Millionen Altgeräte in Schubladen, wenn sie nicht im Hausmüll landen. Das Bewusstsein für Recycling, das in anderen Bereichen durchaus ausgeprägt ist, ist bezogen auf die mobilen Begleiter kaum vorhanden. Die meisten Nutzer kaufen neue Geräte und vergessen die alten. Bis zu fünf alte Handys pro Person kommen so zusammen. Bisherige Sammelsysteme, mit großem Aufwand eingeführt, funktionieren meist nur für einen begrenzten Zeitraum solange sie von Kommunikationsmaßnahmen begleitet werden. Einigen Erfolg verspricht man sich vom Vorschlag eines Handy-Pfands. Doch diese Idee wird auch von vielen Industrievertretern wie dem Hightech-Verband Bitkom kritisiert. Hier wird argumentiert, dass ein Handy-Pfand möglicherweise bestehende Rücknahmesysteme zerstören würde und zudem mit großem bürokratischen Aufwand verbunden wäre.

Handys sind aber doch größen- und gewichtsmäßig die kleinsten Elektronikgeräte.

Handys sind nur ein Beispiel. Die gleiche Problematik gilt für alle Geräte der Informations- und Kommunikationstechnik. Wir nutzen seltene und wertvolle Ressourcen nicht weiter, stattdessen entnehmen wir sie kostspielig und zu Lasten von Mensch und Umwelt erneut der Natur.

Lohnt sich Handy-Recycling überhaupt?

Ökonomisch lohnt es sich auf jeden Fall, wie auch bei factory im Interview mit Christian Hagelüken zu lesen, ökologisch und sozial sowieso. So gilt heute in Bezug auf Urban Mining, dass die Altbestände als Rohstoffquellen lohnenswerter sind als die Rohstoffextraktion. Das Alt-Handy enthält etwa 60 verschiedene Rohstoffe, darunter z. B. Edelmetalle, wie Platin, Gold und Silber oder Metalle wie Tantal, Indium und Gallium, die man kostspielig abbauen muss. Wir brauchen deswegen die Sensibilisierung für etwas Wertvolles, das man weiter im Kreislauf nutzen kann. Zudem besteht eine Rohstoffkonkurrenz zwischen den ITK- und Umwelt-Technologien sowie auch der Elektromobilität, da hier zum Teil die gleichen strategischen Rohstoffe gebraucht werden.

Zurzeit gibt es aber bei Produzenten und Konsumenten mehr Interesse an neuen als an alten Geräten?

Der Trend geht zu mehreren Handys pro Person. Für Provider und Hersteller bieten sich damit natürlich hohe Verdienstmöglichkeiten. Die Tarife sind günstiger geworden und fallende Kosten laden zu mehr Nutzung ein, dadurch werden neue Zielgruppen erschlossen. Letztlich nimmt jedoch die Gebührenbelastung des Verbrauchers für seinen mobilen Lebensstil und „grenzenloses Telefonieren“ zu, inklusive entsprechender Rebound-Effekte.

Wer hat Interesse am Handy-Recycling, wer verdient daran? Sollen der Wirtschaft Ressourcen erhalten werden, damit sie günstiger produzieren kann, oder geht es um den Schutz der Umwelt und die Vermeidung von Ressourcenkonflikten?

Es geht um alle drei Aspekte der Nachhaltigkeit: Ökonomie, Ökologie und das Soziale. In erster Linie verdienen die Recycler daran, allerdings gibt es dazu kaum öffentliche Zahlen. Die großen Netzanbieter wie Telekom, Vodafone, Eplus, O2/Telefonica haben verschiedene Rücknahmeaktionen ins Leben gerufen, meist in Verbindung mit Kampagnen für Umwelt- und soziale Themen. Sie bemühen sich seit Jahren um die wirtschaftliche Optimierung der Wertschöpfungskette. Es geht aber auch um Corporate Social Responsibility: Die meisten Handys werden in China produziert mit vielen Problemen bei Arbeitsbedingungen und Umweltschutz. Öffentliche Kampagnen kritisieren Kinderarbeit und kriegerische Konflikte wie den um das tantalhaltige Erz Coltan im Kongo. Mit systematischem Handy-Recycling will man Vorwürfe minimieren und im Bereich Entsorgung auch Missbrauch vermeiden.

Bisher sind die Mengen zurückgegebener Handys gering. Was ist in Zukunft zu erwarten?

Es gibt weltweit etwa sechs Milliarden Handy-Verträge bei sieben Milliarden Menschen. Laut einer Nokia-Studie werden nur drei Prozent der Geräte recycelt. Der Wissensstand von Kunden über reguläre Rücknahmewege alter Handys ist äußerst gering. Somit läuft die Handy-Rückgabe immer noch vor allem als Aktion von Netzanbietern. Jährlich werden weltweit 1,5 Milliarden neue Handys verkauft, die bisherigen Geschäftsmodelle unterstützen das. Das zeigt, welches Potenzial im Recycling von Mobiltelefonen steckt.

Warum funktioniert die Rückgabe nicht?

Das Recycling ist ein Sekundärmarkt und der Neukauf nicht an die Rückgabe gekoppelt. Man kann nur mutmaßen, warum die Leute ihre Handys lieber in Schubladen liegen lassen – Desinteresse, Bequemlichkeit, Unwissen, aber auch eine emotionale Bindung an das Handy können Gründe sein. Es kann auch darauf zurück zu führen sein, dass es kaum Infrastrukturen und zu wenig Kommunikation am Point of Sale gibt. Dort sind die Verkäufer nicht ausreichend geschult, sie machen offensiv Werbung für neue Handys, aber nicht für die Rückgabe.

In Ihrem Projekt „Rückgabe und Nutzung gebrauchter Handys“ geht es auch um Bildung und Kommunikation?

Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als Beitrag zum Wissenschaftsjahr 2012 „Zukunftsprojekt Erde“ initiiert. Wir sind für die wissenschaftliche Basis des Projektes verantwortlich und begleiten damit die Kommunikationskampagne. Deren Hauptzielgruppe sind 14- bis17-Jährige. Das Projekt zielt inhaltlich aber nicht nur auf Recycling, sondern behandelt den gesamten Lebenszyklus eines Handys. Wir wollen die Jugendlichen für den ökologischen Rucksack sensibilisieren, der bei älteren Handy-Modellen bereits bei 44 Kilogramm ohne Infrastruktur liegt. So hoffen wir die Motivation für eine nachhaltige Nutzung und Recycling zu erhöhen. Dazu gibt es Aktionen zum Sammeln und Lehrmaterialien für Schulen. Die Jugendlichen sollen lernen, ihre Handys länger als zwei Jahre zu nutzen. Sie sollen energiesensibler werden, lernen, dass Smartphones mehr Strom benötigen, und dass auch Akkuladestrom grün produziert werden sollte.

Haben Sie damit Erfolg?

Tatsächlich scheint es bei den Schülerinnen und Schülern anzukommen. Normalerweise werden diese Themen im Unterricht kaum behandelt, ein Bewusstsein für Handy-Rückgabe fehlt. Wenn man es ihnen aber nahebringt, sind ihre Ideen für Handy-Recycling enorm kreativ und ihre Vorschläge zur Verbreitung richtig gut. Beispielsweise gab es die Idee, Kampagnen zu entwickeln, von der Zielgruppe selbst und somit passgenau, und diese dann über Radiosender, Youtube und Facebook zu verbreiten. Will man Jugendliche erreichen, muss das über ihre Kommunikationskanäle geschehen. Laut unserer Befragungen würden viele ihr Alt-Handy auch gern für eine gewisse Summe abgeben, vorgeschlagen wurden hier unterschiedliche Beträge von wenigen Cent bis zu 100 Euro. Offensichtlich spielen ökonomische Anreize für die Rückgabe von alten Mobiltelefonen eine große Rolle.

Und die längere Nutzung?

Länger nutzen ist vom technischen Standpunkt aus natürlich möglich, wird dem Nutzer aber durch das bestehende Anreizsystem für immer neue Geräte sehr erschwert. Der Anspruch ist da, aber wir überzeugen sie nicht richtig. Dazu locken die Anbieterverträge viel zu sehr mit neuen Geräten. Auch mit den Anschluss-Verträgen erhält man das neueste Gerät praktisch permanent umsonst. Und eine Weitergabe an andere, die auch mit einem Modell von gestern zufrieden sind, ist für viele undenkbar – die emotionale Bindung, die Erinnerungen, die an dem Gerät hängen, erschweren die Abgabe. So wollen viele die auf dem Alt-Handy gesammelten SMS zur Dokumentation ihrer Freundschaften behalten. Weiterzugeben, sich vernünftig zu trennen, fällt ihnen schwer. Wenn Trennung, dann nur in gute Hände.

Wie wollen Sie bei den Konsumenten erreichen, dass sie Smartphones länger nutzen, wenn die Industrie neue Modelle absetzen will? Upgrade-Modelle oder wiederaufwertbare Smartphones gibt es wohl nicht.

Für die Industrie ergeben sich auch Aufgaben. Sie will Absatz, aber bei diesem Wachstum sind die Märkte irgendwann auch gesättigt. Wir schlagen hier andere Geschäftsmodelle wie z. B. Leasing von Mobiltelefonen vor. Wenn die mobile Kommunikation mehr als Service gesehen würde, der nicht unbedingt mit dem eigentlichen Besitz eines Mobiltelefons verbunden wäre, könnten alle davon profitieren. Eine weitere Option könnte die Rückgabe eines alten Geräts beim Kauf eines neuen sein. Auf diese Weise könnten die in den Schubladen liegenden Handys wieder in den Wirtschaftskreislauf gebracht werden.
Man könnte auch die Mobiltelefone von Anfang an modular konstruieren um die Modernisierung eines älteren Gerätes einfacher zu machen. Das würde die Lebensdauer der Mobiltelefone wesentlich verlängern.

Nochmal zur Handy-Rückgabe: Bisherige Kampagnen nach dem Motto „An Deinem Handy klebt Blut“ haben wenig bewirkt oder wirken offenbar wenig abschreckend. Wie sieht die richtige Kampagne aus?

Blut und Kinderarbeit funktioniert nur bei ohnehin engagierten Jugendlichen, das sind nur wenige Prozent. Auch die Rettung des Regenwalds ist nicht mehr attraktiv, diese Themen und Bilder sind schon fast schon etwas abgenutzt von Fernsehen, Zeitung und Radio. Wir brauchen eine Mischung von Bildungs- und Kommunikationsmaßnahmen, eine ökonomische Motivation, entsprechende technologische Innovationen und andere Wirtschaftsmodelle, die eine nachhaltigere Nutzung von Mobiltelefonen fördern. Da müssen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zusammenarbeiten.

Geht es nur übers Geld?

Man darf nicht vergessen, dass eine ökonomische Motivation durchaus wichtig ist. Das haben auch die von uns durchgeführten Befragungen von Schülern und Schülerinnen eindeutig bestätigt. Hierzu wäre beispielsweise ein Vorschlag, das alte Mobiltelefon als eine Art „Währung“ zu betrachten: Wenn sie beispielsweise ein ganzes Menü in einem Fastfood-Restaurant mit ihrem alten Handy bezahlen könnten, würden sie sich vielleicht leichter davon trennen.

Wie geht es weiter mit der Sensibilisierung für einen bewussteren Ressourcenumgang?

Insgesamt beteiligen sich bis jetzt mittlerweile mehr als 1500 Schulen an der Aktion. Wir brauchen nun eine sinnvolle Fortsetzung, die weitere Unterstützung aller Beteiligten. Es darf nicht nur bei einer Kampagne bleiben und dann ist Schluss. Die Keimzelle muss weiter wachsen.

Die Rohstoff-Expedition

An der Kampagne Die Rohstoff-Expedition, die von dem Projekt begleitet wird, können sich bundesweit Schulen anmelden und alte Handys sammeln. Zu gewinnen sind verschiedene Preise für die Klassen, die die meisten Handys gesammelt haben. An dem Konzept der Kampagne waren das Wuppertal Institut und das IASS (International Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam) beteiligt. Im Rahmen des Projektes entstanden Lernmaterialien und eine Handy-App zu ökologischen und sozialen Problemen, die mit Herstellung, Nutzung und Recycling von Mobiltelefonen verbunden sind.

Diesen Beitrag und weitere zum Thema Trennen finden Sie auch in unserem PDF-Magazin Trennen, dazu Zahlen und Anekdoten, hübsch illustriert und prima lesbar auf Bildschirmen und Tablet-Computern. Wer wissen will, wann das nächste Magazin erscheint, dem empfehlen wir unseren Newsletter.

Dr. Maria Jolanta Welfens ist Volkswirtin und Projektleiterin in der Forschungsgruppe 4, Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren, am Wuppertal Institut.

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