„Jetzt ist es an der Zeit, die Wut in Taten umzusetzen. Jeder Bruchteil eines Grades zählt", hatte der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), António Guterres am 28. Februar bei der Vorstellung des Berichts des Weltklimarats IPPC gefordert. Es war der zweite Teil des sechsten Sachstandsberichts. Sein Thema: Die Folgen des menschengemachten Klimawandels.
Bei jeder weiteren Verzögerung von wirkungsvollen Maßnahmen für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel werde sich "das Fenster der Gelegenheit schließen, eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern", mahnt der inzwischen sechste IPCC-Sachstandsbericht erneut – wie seine Vorgänger seit 1990. Schon jetzt sei knapp die Hälfte der Menschheit durch den Klimawandel "hochgradig gefährdet".
Der zweite Teil des sechsten IPCC-Berichts beschreibt, welche Gefährdungen auf die Menschen zukommen, wenn sie ihre Wirtschaftsweise nicht schneller ressourcenleichter gestalten: Der fortschreitende Klimawandel wird alle Spezies betreffen, darunter 3,6 Milliarden Menschen in besonders anfälligen Gebieten. Die globale Durchschnittstemperatur wird schon in nächster Zeit auf 1,5 °C ansteigen. Schon jetzt sind viele Klimafolgen für Ökosysteme irreversibel, die Auswirkungen werden immer komplexer und vernetzter. Extremwetter, Hitzewellen, Trinkwasserverluste, Überschwemmungen, Verlust landwirtschaftlicher Flächen, Ernteausfälle, beschleunigtes Artensterben, Hunger, Konflikte – um nur einige zu nennen.
Der darauf im April 2022 vorgestellte dritte Teil des IPCC-Berichts nennt die Maßnahmen, mit denen sich dies am wirkungsvollsten verzögern ließe: Schneller Wandel von den fossilen zu den erneuerbaren Energien, Stopp der Entwaldung, Renaturierung der Ökosysteme und einige weitere. Alle Maßnahmen ließen sich sowohl technisch als auch strukturell umsetzen - dennoch passiert bisher zu wenig.
Dabei zeigt auch gerade der Ukraine-Krieg, wie sehr die Abhängigkeit von fossilen Energiequellen die Menschen gefährdet. Hinweise, dass die Staaten schnell auf einen 1,5-Grad-nahen Pfad einschwenken gibt es kaum – die EU-Kommission will stattdessen sogar Atom- und Gaskraftwerke für nachhaltig erklären, um sie für Investoren interessant zu halten. Über neue Flüssiggasterminals soll mehr wesentlich CO2-intensiver produziertes Fracking-Gas aus den USA importiert werden. Die Öl- und Gasindustrie setzt weiterhin auf Expansion statt Transition.
Die Vorbereitung auf den nächsten Klimagipfel, den COP 27 in Ägypten läuft bereits: In der jetzt beendeten UN-Konferenz in Bonn haben die Staaten versucht, die Agenda für die kommenden Klimaverhandlungen festzulegen. "Weit gekommen sind sie nicht", urteilt klimareporter.de. Wer bezahlt, wenn der Klimawandel Leben, Häuser und Infrastruktur zerstört – die Betroffenen oder die Verursacher? Dafür konnten die Teilnehmer keine Lösung finden.
Auch in Deutschland droht eine deutliche Verfehlung des 1,5-Grad-Klimaziels, wie die neuen Berechnungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen ergeben. Dabei kommt es auf den Bezugspunkt an: Gegenüber dem Startjahr 1990 wäre das emittierbare CO2-Budget schon überschritten für 1,5 Grad, bei Bezug auf 2016 nach dem Paris-Abkommen gibt es noch eine dünne Chance. Zwei Milliarden Tonnen dürfte die Republik bis 2027 demnach noch emittieren, bei 17 Prozent Minderung pro Jahr.
2021 stiegen die Emissionen aber sogar um 4,5 Prozent – und sie werden es wohl auch weiterhin, wie das Wirtschaftsministerium ankündigt. Besonders die Sektoren Verkehr und Gebäude liegen über dem Limit, auch in der Landwirtschaft ist eine Emissionswende nicht in Sicht. Was in diesen Bereichen zu tun wäre, beschreibt das factory-Magazin Klimaneutral.
Denn um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müsste die Welt bis 2030 ihre gegenwärtigen Treibhausgasemssionen um die Hälfte reduzieren, hatte der Weltklimarat im ersten Teil des sechsten IPCC-Berichts im August 2021 empfohlen.
Nun zeigt ein Bericht des Thinktanks Climate Analytics erneut, dass die Länder auch ihre nahen Klimaschutzziele, die Maßnahmen bis 2030 nachbessern müssen. Den nur eine schnelle Emissionsreduktion erzeugt die Wahrscheinlichkeit, dass sich globale Klimaneutralität bis 2050 überhaupt erreichen lässt. Mit ihr könnte die Menschheit demnach die Erderwärmung auf 1,8 Grad Celsius begrenzen – theoretisch und optimistisch jedoch lediglich unbestimmte Maßnahmen bis Ziel 2050 bezogen.
Ohne höhere Emissionsreduktionen bis 2030 würden die Folgen aber nahezu unkontrollierbar für etwa 30 Jahre ansteigen, so Climate Analytics. Mit irreversiblen Veränderungen des Klimasystems. Für Ägypten, das Land des nächsten Weltklimagipfels 2022, COP 27, würden bei 1,8 Grad globaler Durchschnittstemperatur die Verluste durch Überschwemmungen fast dreimal so hoch sein, wie bei einer Begrenzung auf 1,5 °C. Bliebe es bei den bis 2030 geplanten Maßnahmen läge der Verlust 250 Prozent höher als beim 1,5-Grad-Pfade
Auf dem Klimagipfel in Glasgow 2021 hatten die 197 Länder noch die 1,5 Grad als gemeinsames Ziel bestätigt. Ihre bisher vorliegenden Maßnahmen, die so genannten NDC zeigen würden jedoch zu 17 bis 20 Gigatonnen CO2-äquivalenten Mehremissionen führen und zu einer Temperatur von 2,4 Grad Celsius gegen Ende des Jahrhunderts.
Es geht um jeden Bruchteil einer vermiedenen Erderwärmung, die Risiken und Folgen reduzieren und Leben retten kann, zeigt Climate Analytics im Vergleich der erreichten Durchschnittstemperaturen anhand beispielhafter Regionen. Der Climate Impact Explorer zeigt die Veränderungen an: In den USA wären die erwarteten Schäden tropischer Zyklone um 44 Prozent pro Jahr höher für 1,8 gegenüber 1,5 Grad Erwärmung.
Hitzewellen würden in Indien 35 Prozent, 192 Millionen Menschen mehr treffen. In Australien wären bei 1,8 Grad 27 Prozent mehr betroffen, in Senegal 29 Prozent. In Brasilen läge die Arbeitsproduktivität um 25 Prozent niedriger als bei 1,5 Grad Erwärmung.
Die Daten lassen sich mit dem Climate Impact Explorer für die einzelnen Länder errechnen und anzeigen. Sie zeigen, dass ein Verlass auf eine spätere Reduktion nach 2030 zu wesentlich stärkeren Folgen führen wird – eine stärkere Reduktion bis 2030 also unumgänglich ist, will man diese nicht vermeiden.
Mehr zu den notwendigen Maßnahmen im factory-Magazin Klimaneutral und im entsprechenden Themenbereich. Warum der Wandel wichtig und richtig ist, lässt sich im factory-Magazin Change nachlesen.