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  • Hitzewelle in Europa, Afrika und Asien, August 2018. Bild: Screenshot Ventusky von heute.

Erderwärmung könnte in neue „Heißzeit“ führen, weil Rückkopplungen Effekte verstärken

Die gegenwärtige Hitzeperiode ist wahrscheinlich nur ein Vorgeschmack – trotz angestrebter Emissionswende. Denn Kipppunkte haben das Erdsystem bereits an seine Grenzen gebracht: Durch Rückkopplungen könnte eine Heißzeit mit 4 bis 5 °C höheren Temperaturen und 10 bis 60 Meter höherem Meeresspiegel entstehen, die Teile der Welt unbewohnbar machen.

Vor Alarmismus wird ja immer wieder gewarnt (sic!). Andererseits werden die Vorwürfe, das Thema Klimawandel nicht ernsthaft genug in den Medien behandelt zu haben, angesichts der kontinuierlichen Maximaltemperaturen auch immer häufiger. Deswegen passt eine Studie internationaler Wissenschaftler*innen im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) in diese Zeit.

Denn obwohl angesichts des erneuten Hitzesommers mit Waldbränden, Trockenheit, Wassermangel und Ernteeinbrüchen das Bewusstsein von Wirtschaft und Politik wächst, dass der Klimawandel real ist und spätestens jetzt gegengesteuert werden muss – wie man angesichts von Kohleausstiegserklärungen von Versicherungskonzernen wie jüngst Munich Re annehmen kann –, könnte es schwieriger sein als bisher angeommen, die globale Erwärmung auf lange Sicht bei 1,5°C bis 2°C zu stoppen. Die Autor*innen der Studie, unter ihnen so Bekannte wie Johan Rockström und Hans Joachim Schellnhuber, sind sich einig, dass selbst bei Umsetzung der im Pariser Abkommen festgelegten Pläne zur Minderung von Treibhausgasemissionen ein Risiko bleibt, dass der Planet durch verschiedene Rückkopplungsprozesse in einen Zustand gerät, den die Forscher als „Hothouse Earth“ bezeichnen.

Eine solche Heißzeit wäre langfristig durch etwa 4°C bis 5°C höhere Temperaturen charakterisiert sowie durch einen Meeresspiegelanstieg um 10 bis 60 Meter, so die Veröffentlichung. Das ist eine ganze Menge mehr, als die bisher angenommenen 6 Meter, wie sie Joachim Spangenberg im factory-Magazin Baden gehen beschreibt. Der Übergang zu einer emissionsfreien Weltwirtschaft müsse deshalb deutlich beschleunigt werden, argumentieren die Autoren. 

„Industrielle Treibhausgasemissionen sind nicht der einzige Faktor, der die Temperatur auf der Erde beeinflusst. Unsere Arbeit weist darauf hin, dass eine vom Menschen verursachte globale Erwärmung von 2°C andere Prozesse des Erdsystems anstoßen könnte (oft als Rückkopplungen bezeichnet). Diese wiederum könnten die Erwärmung weiter vorantreiben – selbst wenn wir aufhörten, Treibhausgase auszustoßen“, sagt Leitautor Will Steffen von der Australian National University (ANU) und dem Stockholm Resilience Centre (SRC). „Um dieses Szenario zu vermeiden, ist es notwendig, das menschliche Handeln in eine neue Richtung zu lenken, von der Ausbeutung zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Erdsystem.“

Derzeit liegt die globale Durchschnittstemperatur bereits um gut 1°C über dem vorindustriellen Niveau und steigt etwa 0,17°C pro Jahrzehnt an.

Die Autor*innen der Studie betrachten zehn natürliche Rückkopplungsprozesse, von denen einige mit den sogenannten Kippelementen im Erdsystem verknüpft sind. Durch das Überschreiten kritischer Schwellen könnten diese in fundamental andersartige Zustände versetzt werden. Die Rückkopplungen könnten z. B. Kohlenstoffspeicher in Kohlenstoffquellen verwandeln, die in einer entsprechend wärmeren Welt unkontrolliert Emissionen freisetzen würden. Zu den kritischen Prozessen gehören insbesondere tauender Permafrost, der Verlust von Methanhydraten vom Meeresboden, eine Schwächung von Kohlenstoffsenken an Land und in den Ozeanen, eine zunehmende bakterielle Atmung in den Ozeanen, das teilweise Absterben des Amazonas-Regenwaldes sowie der borealen Wälder, eine Verringerung der Schneedecke auf der Nordhalbkugel, der Verlust von arktischem und antarktischem Meereis sowie das Schrumpfen der großen Eisschilde. Die Studie berücksichtigt noch nicht mögliche Rückkopplungen zwischen Emissionen und der planetaren Wolkenbedeckung.


Kippelemente im planetarischen Getriebe: Treibhausgase aus Industrie und Landwirtschaft bringen das Erdsystem aus dem Gleichgewicht

„Diese Kippelemente könnten sich wie eine Reihe von Dominosteinen verhalten. Wird einer von ihnen gekippt, schiebt dieses Element die Erde auf einen weiteren Kipppunkt zu. Es könnte sehr schwierig oder sogar unmöglich sein, die ganze Reihe von Dominosteinen davon abzuhalten, umzukippen. Manche Orte auf der Erde könnten unbewohnbar werden, wenn die „Heißzeit“ Realität würde“, ergänzt Johan Rockström, Direktor des Stockholm Resilience Centre und designierter Ko-Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

„Die Treibhausgasemissionen aus Industrie und Landwirtschaft bringen unser Klima und letztlich das ganze Erdsystem aus dem Gleichgewicht, das zeigen wir auf. Im Zentrum stehen hier vor allem die Kippelemente in der globalen Umwelt, die sich – sobald ein bestimmtes Belastungsniveau einmal überschritten ist – grundlegend, schnell und möglicherweise irreversibel verändern könnten. Gewisse Kaskaden solcher Ereignisse könnten das gesamte Erdsystem in eine neue Betriebsweise kippen“, sagt Hans Joachim Schellnhuber, amtierender Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. „Was wir derzeit noch nicht wissen, ist, ob das Klimasystem sicher bei etwa 2°C über dem vorindustriellen Niveau ‚geparkt‘ werden kann, wie es das Pariser Abkommen vorsieht. Oder ob es, einmal so weit angestoßen, weiter abrutschen würde in ein dauerhaftes Supertreibhaus-Klima. Die Forschung muss sich daran machen, dieses Risiko schnellstmöglich besser abzuschätzen.“

Die Reduktion von Treibhausgasen allein reicht nicht aus

Um die Chancen zur Vermeidung einer „Heißzeit“ zu verbessern, brauche es nicht nur eine entschlossene Minderung von Kohlendioxid- und anderen Treibhausgasemissionen. Auch erweiterte biologische Kohlenstoffspeicher, etwa durch ein verbessertes Wald-, Landwirtschafts- und Bodenmanagement, oder die Erhaltung der biologischen Vielfalt sowie Technologien, um der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen und unterirdisch zu speichern, können eine wichtige Rolle spielen, so die Autoren. Entscheidend sei jedoch, dass diese Maßnahmen auch durch grundlegende gesellschaftliche Veränderungen gestützt werden.

„Das Klima und andere Veränderungen zeigen uns, dass wir Menschen das Erdsystem bereits auf globaler Ebene beeinflussen. Das bedeutet auch, dass wir als internationale Gemeinschaft an unserer Beziehung zum System arbeiten können, um die zukünftigen planetarischen Bedingungen zu beeinflussen. Diese Studie identifiziert einige der Hebel, die dafür genutzt werden können“, schließt Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen.

Artikel: Will Steffen, Johan Rockström, Katherine Richardson, Timothy M. Lenton, Carl Folke, Diana Liverman, Colin P.Summerhayes, Anthony D. Barnosky, Sarah E. Cornell, Michel Crucifix, Jonathan F. Donges, Ingo Fetzer, Steven J. Lade, Marten Scheffer, Ricarda Winkelmann, Hans Joachim Schellnhuber (2018). Trajectories of the Earth System on the Anthropocene. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS).

Mit welchen Methoden zum Beispiel dem Meeresspiegelanstieg begegnet werden kann, lesen Sie im factory-Magazin Baden gehen. Damit Aufgeben angesichts der fast unmöglichen Aufgaben nicht gilt, ermutigt Sie das factory-Magazin Sisyphos. Dass die Zeichen für einen klimafreundlichen Umbau des Wirtschaftssystems gut sind, zeigt das factory-Magazin Circular Economy. Wer die Bilder für die lebenswerte Zukunft vermisst, wird im factory-Magazin Utopien fündig.

Weitere Beiträge: Warnung vor der Heißzeit, taz.de

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