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Deutschland will Menschenrechte nicht vor Wirtschaft schützen

Der UN-Pakt für Menschrechte, der UN Binding Treaty, ist ein Abkommen, das transnationale Konzernen und Unternehmen zu Menschenrechtsnormen verpflichten soll. Es wäre eine Möglichkeit, weltweit nachhaltige Arbeitsbedingungen zu schaffen. Über 100 UN-Mitgliedsstaaten sind dafür – Deutschland jedoch nicht. Die Regierung setzt auf freiwillige Selbstverpflichtungen.

Am morgigen Donnerstag wird der UN Menschenrechtsrat in Genf, der heute seinen jüngsten Bericht vorgestellt hat, auch über das so genannte UN Binding Treaty in Genf diskutieren. Über dieses verbindliche Abkommen (Binding Treaty) für Wirtschaft und Menschenrechte verhandeln die Vereinten Nationen bzw. ihr Menschenrechtsrat seit 2014 – jedes Jahr einmal. Es sieht vor, dass Konzerne und Unternehmen sich nicht länger ihrer menschenrechtlichen Verantwortung entziehen können und sich für Verstöße verantworten müssen. Und zwar auch dann, wenn sie im Ausland tätig sind oder es sich um Tochterunternehmen oder abhängige Zulieferfirmen handelt.

Eine solche Vereinbarung könnte erstmals für zumindest ähnliche Bedingungen für Arbeits- und Umweltschutz in den verschiedenen Staaten sorgen, so dass Unternehmen auch in Entwicklungs- und Schwellenländern oder unter bisher nicht transparenten Produktionsbedingungen verpflichtet wären, für die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen. Geschieht dies nicht, hätten die Betroffenen das Recht, auch gegen multi- und transnational agierende Unternehmen zu klagen.

Bisher ist es immer noch so, dass Unternehmen und Investoren in den Gastländern, an ihren so genannten Werkbänken-Standorten, die meist im globalen Süden zu finden sind, relativ unbehelligt sind von Klagen wegen der Ausnutzung miserabler Arbeits- und Umweltbedingungen. Dies zeigen Fälle, wie der Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudekomplex 2013, bei dem 1134 Menschen umkamen und 2400 verletzt wurden, die auch für den deutschen Bekleidungs-Discounter produzierten. Zwar gibt es inzwischen Bündnisse, die die Sicherheit garantieren sollen – viele internationale Unternehmen kümmern sich jedoch nicht um die weiter existierenden Mängel und Arbeitsbedingungen.

Ebenso schlecht sieht es nach wie vor bei der Produktion von Smartphones aus. Sie funktionieren nicht ohne den Einsatz von "Konfliktmineralien" wie Coltan, das in großem Maßstab in der von Rebellen umkämpften Demokratischen Republik Kongo gewonnen wird – dort arbeiten die Menschen wie Sklaven im nicht staatlich-kontrollierten so genannten "artisanalen Bergbau". Große Technologiekonzerne wie Apple, Samsung oder Sony weisen nicht nach, ob und wie sie in ihren Produktions- und Lieferketten Menschenrechte schützen.

Menschenrechtsverletzungen durch transnational agierende Unternehmen gibt es in vielen Bereichen: Beim Kakao- und Kaffeenanbau, ebenso bei der Produktion von Pflastersteinen in Pakistan, von Teppischen in Indien, bei der Produktion von Palmöl in Indonesien und Kolumbien durch Einsatz von Pestiziden, bei der Produktion des "Used-Looks" von Jeans durch Sandstrahlen in der Türkei, bei der Vertreibung von Menschen wegen Landgrabbing und Bauprojekten.

Örtliche Regierungen tun sich schwer, gegen Investoren und Unternehmen vorzugehen, in der Angst, diese würden im Falle von Kritik und Verpflichtung zur Einhaltung rechtlicher Auflagen ihre Standorte verlagern. Für europäische und Unternehmen der nördlichen Hemisphäre ist jedoch das Abkommen die große Chance, einheitlichen Bedingungen näher zu kommen – und damit ihren moralischen Verpflichtungen, die sie in Zeiten von gesellschaftlicher Verantwortung (CSR), Nachhaltigkeitsberichten und Berichtspflichten haben, zu genügen.

Sind Unternehmen an allen Standorten verpflichtet, die Menschenrechte zu bewahren, wird sich auch die Konkurrenz um die schlechtesten Bedingungen verringern. Noch bedeutet diese, dass immer dort am günstigsten produziert werden kann, wo diese am wenigsten beachtet werden müssen – die Produkte also im Wettbewerb günstiger bzw. die Gewinne höher sind.

Die deutsche Regierung wehrt sich nach Kräften gegen ein solches Abkommen, dass die arbeitsbedingten Menschenrechte garantiert. Sie setzt lieber auf freiwillige Verpflichtungen, die sie Ende 2016 in ihrem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte vorschlug. Ab 2018 soll deren Erfolg jährlich überprüft werden: Sollten bis 2020 nicht 50 Prozent der großen Unternehmen ihre Sorgfaltspfichten einhalten, würden gesetzgeberische Schritte erwogen. Bisher verweigert die Bundesregierung sogar die Auskunft darüber, welche etwa  6.000 Unternehmen mit über 500 Mitarbeiter*innen der Überprüfung unterliegen, berichtet das Cora-Netzwerk. Selbst bei der Prüfung von Hermes-Bürgschaften für Investitionen im Ausland gäbe es noch keine Vorschriften zur Überprüfung der Menschenrechtsverpflichtungen.

Verantwortlich für die deutsche Ablehnung ist laut taz das gegenwärtige Außenministerium unter SPD-Minister Sigmar Gabriel. Unterstützt wird sie auch von den Ressorts Wirtschaft, dem Gabriel zuvor vorstand, Entwicklung, Justiz sowie dem ebenfalls SPD-geführten Ministerium Arbeit und Soziales.

Im Koalitionsvertrag haben SPD, CDU und CSU vereinbart, sich für eine europaweite Verpflichtung einzusetzen, wenn die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Unternehmen des Nationalen Aktionsplans nicht ausreichen. Allerdings will sie sich dann dafür einsetzen, dass gleichzeitig andere Regelungen für die Wirtschaft gestrichen werden. 

Die Treaty Alliance, einem Bündnis von rund 1000 Nichtregierungsorganisationen weltweit, die ein UN-Abkommen unterstützen, hält eine europäische Lösung für sinnlos. "Die Beschränkung auf die EU-Ebene ist unsinnig, da dann allein europäische Unternehmen zu höheren Standards verpflichtet und damit – in der Logik der Wirtschaft – Wettbewerbsnachteilen gegenüber außereuropäischen Unternehmen ausgesetzt wären", sagte Karolin Seitz vom Global Policy Forum in Bonn der taz. Das Verhalten Deutschlands sei inakzeptabel, weil sich die Bundesregierung gleichzeitig um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat bewerbe.

Bleibt es bei der Haltung der deutschen Regierung und der EU zum "Binding Treaty" in Genf, wenn es in die nächste Verhandlungsrunde ab Donnerstag geht, wird es auch in den nächsten Jahren keine Verbesserungen für die Menschenrechte in den globalen Lieferketten geben. Zumindest Frankreich hat ein Einlenken angekündigt. Als erstes Land hat es ein Gesetz erlassen, das seinen großen Unternehmen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten auferlegt und sie unter bestimmten Umständen haftbar macht. Deutschland stellt dagegen die Freiheit und Deregulierung der Wirtschaft vor die Einhaltung der Menschenrechte – nachhaltig ist das nicht.

Mehr zum UN Binding Treaty im factory-Magazin Handeln. Wer wissen will, wie gro0 sein Menschenrechtsfußabdruck ist, sollte den Slaveryfootprint-Kalkulator nutzen. Das Ergebnis wird erschreckend sein, denn schon ein Sklave ist einer zuviel. Nach dem Global Slavery Index arbeiten und leben weltweit über 45 Millionen Menschen als Sklaven.

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