Ressourcenschutz ist der beste Klimaschutz – und die beste Krisenversicherung, wie das factory-Magazin Ressourcen zeigt. Keep it in the ground, leave it in the ground, das müsste deswegen selbstverständlich auch in Deutschland für die fossilen Brennstoffe gelten. Vor allem für den größten Klimakiller, die Braunkohle.
Doch die fossilen Energien feiern angesichts von Energiekrise und Krieg auch in Deutschland eine Renaissance. Dabei wären sowohl neue LNG-Flüssiggastermials als auch der weitere Ausbau des Braunkohletagebaus nicht nötig, wie wissenschaftliche Gutachten zeigen.
Statt eines zügigen Aufbaus einer zirkulären Wirtschaft, die weniger Material und Energie verbraucht, einem schnellen Ausbau erneuerbaren Energiequellen und Anreizen zu ressourcenschonenden Lebensstilen und Infrastrukturen, geht es hierzulande offenbar immer wieder lediglich um die Sicherung des Weiter-so bzw. der herrschenden Verhältnisse.
Gewinne in der Krise
Schließlich dürfte auch der RWE-Konzern zu den Krisengewinnern gehören: Die schnellere Verbrennung der nahezu gleichen Kohlemenge bis 2030 sollte aufgrund der gestiegenen Preise zu Milliardengewinnen führen, der längere Betrieb bis 2038 hätte dagegen sogar unwirtschaftlich werden können – und die versprochene Entschädigung von 2,6 Milliarden Euro für RWE bleibt vom früheren Ausstieg unberührt.
Und so hat am zweiten Januar 2023 die Polizei damit begonnen, das Dort Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier zu räumen – sie hat den Auftrag, die dortigen Demonstrant*innen zu vertreiben und ihre Blockaden aufzulösen, um den Abriss des Dorfes zu ermöglichen.
Inzwischen sind tausende weitere Menschen zu den Protestierenden gestoßen, um sie zu unterstützen. Unter dem Hashtag #LuetzerathUnraumbar lassen sich entsprechende Berichte und Bilder finden. Bereits im Dezember hatten über 11.000 Menschen öffentlich ihre Unterstützung zugesagt. In den nächsten Tagen dürfte der Zulauf noch größer werden.
Denn falls der Zugang zu Lützerath nicht mehr möglich sein sollte, gibt es ein legales Protestcamp im benachbarten Keyenberg, schreibt das Bündnis Alle Dörfer bleiben.
Historische Klimaschulden werden größer
Schon im Dezember hatte ein breites Bündnis aus Umweltverbänden, Klimagruppen und lokalen Initiativen für den 14. Januar 2023 zu einer Großdemonstration in das von der Abbaggerung bedrohte Dorf Lützerath aufgerufen.
Die Gründe für den Protest sind offensichtlich: Allein im Tagebau Garzweiler plant RWE noch weitere 280 Millionen Tonnen Braunkohle zu fördern und in den umliegenden Kraftwerken zu verbrennen. Damit würde Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze aus dem Pariser Klimaabkommen verfehlen.
Die Fördermenge ist offenbar nur unwesentlich geringer als diejenige, die die Bundesregierung RWE ohnehin bis 2038 mit dem so genannten Kohlekompriss zu fördern und verbrennen erlaubt hatte. Allerdings gibt es seit Oktober 2022 einen so genannten Deal zwischen RWE, dem Bundes- und dem NRW-Wirtschaftsministerium, den Kohleausstieg im Rheinischen Revier auf 2030 vorzuziehen. Dafür darf RWE Lützerath abbaggern, fünf andere umliegende Dörfer und einige Hofweiler dürfen aber bleiben.
Im Aufruf zur Demonstration von Alle Dörfer Bleiben, attac, BUND, Campact, Fridays For Future, Greenpeace, Klima-Allianz Deutschland, Lützerath Lebt! und NAJU NRW heißt es dazu: „Weltweit verlieren Millionen Menschen schon heute durch die Klimakrise ihre Lebensgrundlagen – im vergangenen Jahrzehnt mussten jährlich mehr als 20 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen. Dennoch steigen die globalen Emissionen immer weiter."
Deutschland müsse deswegen, als eines der Länder mit der historisch größten Klimaschuld, den Kohleabbau so schnell wie möglich stoppen.
Neue Qualität gemeinsamen Protests
Das Demonstrationsbündnis stellt drei Forderungen an Landes- und Bundesregierung: Die Räumung von Lützerath zu stoppen, die Kohle unter Lützerath im Boden zu lassen und einen bundesweiten Kohleausstieg vorzunehmen, der kompatibel ist mit der 1,5°-Grenze – sowohl im Rheinland als auch in Ostdeutschland.
Der 14. Januar 2023 dürfte auch nicht der letzte große Demonstrations- und Aktionstag bleiben. Für den 17. Januar hat das Aktionsbündnis „Lützerath Unräumbar“ zu einem gemeinsamen Aktionstag aufgerufen.
In dem großen Bewegungsbündnis haben sich angesichts der drohenden Räumung Lützeraths ganz unterschiedliche Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung zusammengeschlossen von Alle Dörfer bleiben über Ende Gelände, Fridays for Future, Interventionistische Linke, Kohle erSetzen, Letzte Generation, Scientist Rebellion bis hin zu RWE & Co. Enteignen, End Fossil: Occupy! und Ums Ganze.
Dass diese Gruppen über einen längeren Zeitraum und am gleichen Ort ihre Kräfte bündeln und aktiv sind, zeige eine neue Qualität in der Bewegung für Klimagerechtigkeit. Gemeinsam mit den Aktivist*innen, die Lützerath seit zwei Jahren besetzt halten, will das Bündnis das Dorf verteidigen und sich der Ausweitung des Tagesbaus widersetzen, um eine Verschärfung der Klimakrise zu verhindern, heißt es in einer Pressemitteilung von Ende Gelände.
Schub für Kohlegeschäft?
Für RWE geht es bei der Räumung von Lützerath offenbar auch nicht nur ökonomische Ziele: Damit sollen nicht nur die 280 Millionen Tonnen Kohle und damit Kohlendioxid unter Lützerath frei werden, sondern auch weiteren Aktionen die Hoffnung auf Wirkung genommen werden, wie es intern heißt.
Denn der RWE-Tagebau in Garzweiler und Hambach schreitet ebenfalls fort, Proteste sind auch dort in den nächsten Jahren weiterhin zu erwarten. Dort könnten laut Gutachten der Coal Exit Research Group 300 Millionen Tonnen Kohle bereits frei abgebaut werden, die Lützerather Kohle wäre also eigentlich gar nicht nötig. Der kalkulierte Bedarf liegt bis 2030 ohnehin nur bei 271 Millionen Tonnen.
Zu hören war auch, dass Lützerath als Abraum benötigt wird, zum Böschungsbau des Tagebaus Garzweiler. Weil der dazu notwendige Abraumtransport von anderer Stelle als Lützerath teurer wäre, muss das Dorf weichen.
Schließlich macht RWE mit dem Kohle- und Kernenergiegeschäft offenbar weniger gute Geschäfte als in den Vorjahren, teilte der Konzern im November 2022 mit. Das internationale "grüne" Kerngeschäft brachte demnach rund fünf mal größere Gewinne die RWE Kohle- und Atomkraft in Deutschland. In der Energiekrise noch einmal höhere Profite durch Kohleverbrennung in abgeschriebenen Kraftwerken zu erreichen, dürfte den nicht so nachhaltig interessierten Investor*innen gefallen – verringert aber die Wahrscheinlichkeit der Begrenzung der Klimawandelfolgen.
Update am 11.1.23
Wissenschaftler*innen fordern Moratorium der Räumung
Mit tausenden Polizist*innen aus 14 Bundesländern versucht die Polizei inzwischen die Räumung des Ortes durchzusetzen.
Die Scientists for future appellieren mit einem offenen Brief an die Spitzenpolitiker*innen der NRW-Landesregierung, die Räumung auszusetzen und empfehlen ein Moratorium der Räumung.
Das Moratorium böte die "Chance für einen transparenten Dialogprozess mit allen Betroffenen zur Entwicklung von zukunftsfähigen Pfaden der gesellschaftlichen Transformation und Zeit für die Überprüfung der zugrunde liegenden Entscheidungsprämissen." Zudem könne die Glaubwürdigkeit der deutschen Klimapolitik wesentlich gestärkt werden – international und besonders bei der jungen Generation.
Aufgrund des großen auch internationalen Medieninteresses für die Räumung Lützeraths für die Erweiterung des größten Braunkohletagebaus Europas könnte ein Moratorium auch ein Signal für eine zukunftsfähige Klima- und Ressourcenpolitik sein.
Die S4F-Mitglieder befürchten, dass die deutsche Klimapolitik mit der Räumung und Abbaggerung ihre Glaubwürdigkeit verliert. Der Erhalt von Lützerath könnte ein aussagekräftiges Zeichen für die notwendige Abkehr vom fossilen Zeitalter sein.
Zudem weisen sie noch einmal darauf hin, dass es substanzielle wissenschaftliche Zweifel an der akuten Notwendigkeit einer Räumung gibt. Fünf wissenschaftliche Gutachten kämen zu dem Schluss, "dass ein Abbau der Braunkohle unter Lützerath für eine technische Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig, sondern politisch bestimmt ist."
Vielmehr stünden die Förderung und Verstromung dieser Kohle einer am Pariser Klimaabkommen und dem europäischen Klimagesetz ausgerichteten Energiepolitik entgegen. Die Verschärfung des europäischen Emissionshandels vom 18.12.2022 auf minus 62 Prozent THG-Emissionen im Stromsektor bis 2030 (bezogen auf 1990) lasse mindestens fraglich erscheinen, ob die Kohleverstromung in Deutschland bis 2030 noch wirtschaftlich sein wird, heißt es.
Auch ohne Kohle unter Lützerath kein Kollaps
Warum die Studien verschiedener Gutachter*innen zu diesem Ergebnis kommen, erklärt Dr. Pao-Yu Oei seinem Standpunkt im Tagesspiegel genauer. Pao-Yu ist Professor für „Nachhaltige Energiewende Ökonomie“ an der Europa-Universität Flensburg und Autor der FossilExit-Untersuchung dazu.
An der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit der Verbrennung der Lützerather Braunkohle bestehen demnach jedoch berechtigte Zweifel.
Es sei aber möglich, die Tagebauplanung anzupassen und das Dorf Lützerath zu erhalten, schreibt Pao-Yu. Vieles deute darauf hin, dass es nicht um zwingende Notwendigkeiten geht, sondern um eine unternehmerische Abwägung.
"Bei den aktuellen Strompreisen ist es möglich, die Kohle unter Lützerath gewinnbringend zu verstromen. RWE will, so ist anzunehmen, Lützerath abbaggern, weil es die günstigste betriebswirtschaftliche Variante ist", so Pao-Yu.
Stattdessen aber mit Abraummengen für die Verfüllung alter Gruben zu argumentieren sei nicht tragfähig: "Einerseits sind landwirtschaftliche Böden in dieser Wertigkeit in der Renaturierung nicht wiederherzustellen, andererseits gibt es Gutachten über eine ökologisch sinnvollere Lösung ohne Verfüllung des Restlochs am Tagebau Garzweiler I. Zudem berücksichtigen die aktuellen Renaturierungspläne inklusive der Pläne für Restseen nicht ausreichend die vorhandene Wasserknappheit."
Die Braunkohle unter Lützerath sei auch energiewirtschaftlich nicht notwendig, so sein Fazit. Ein Blackout drohe zu keinem Zeitpunkt. In Summe würden die volkswirtschaftlichen Kosten durch zusätzliche Klimaschäden ein Vielfaches der RWE-Gewinne betragen. Es sei daher an der Politik, durch entsprechende Eingriffe gesamtgesellschaftliche Schäden abzuwenden.
"Wenn die deutsche Klimapolitik nicht den eigenen Ruf noch mehr schädigen will, wäre sie daher gut beraten, ein Räumungsmoratorium zu verhängen und stattdessen einen transparenten Dialogprozess mit allen Betroffenen zu starten."
Mehr zur Notwendigkeit des Ressourcenschutzes als zentrales Element der Krisenbewältigung im factory-Magazin Ressourcen. Was die Industrie eigentlich dazu tun könnte, lesen Sie im entsprechenden factory-Magazin Industrie.