Ressourcen

Mit Circular Economy zur Ressourcenwende

Die Begrenzung der Erderwärmung und damit mehr Widerstandskraft gegenüber Krisen können wir nur erreichen, wenn uns neben der Wende bei der Energieerzeugung diese auch beim Rohstoffverbrauch gelingt. Das bedeutet, dass wir die derzeit ressourcenvernichtende lineare Wirtschaftsweise möglichst zügig zu einer konsequenten Circular Economy umwandeln müssen. Dazu sind viele Schritte und Ideen notwendig – und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen gefordert.

Von Sören Steger und Henning Wilts

Das Ziel der Klimaneutralität wird ohne eine ambitionierte Energiewende nicht zu erreichen sein – weder in Deutschland oder Europa noch global. Dieser Wandel weg von den fossilen hin zu den erneuerbaren Energien findet mittlerweile allgemein Zustimmung. Was in der Debatte jedoch häufig noch untergeht: Ohne eine Ressourcenwende, die Rohstoff-, Material- und Energieeinsatz umfasst, wird dieses Ziel unerreichbar bleiben.

Schließlich gehen heute global schon 50 Prozent aller Treibhausgasemissionen auf den nicht nachhaltigen Umgang mit Ressourcen zurück. Und ohne drastische Veränderungen wird sich der Ressourcenverbrauch bis 2060 nochmal fast verdoppeln – trotz möglicher neuer Technologien, die bis dahin die Marktreife erlangt haben könnten. Modellierungen des Wuppertal Instituts im Rahmen der Circular Economy Initiative Deutschland haben gezeigt: Selbst ein 2 Grad Pfad wird deswegen in Deutschland nur im Rahmen einer Circular Economy gelingen, die den Ressourcenbedarf durch den Ausstieg aus der Wegwerfgesellschaft massiv senkt.

Notwendig ist dafür der gleichzeitige und koordinierte Einsatz ganz unterschiedlicher Hebel: Zum einen müssten unsere Produkte viel stärker als heute aus „Sekundärrohstoffen“, also aus recycelten Materialen hergestellt werden. Derzeit liegt nach Angaben von Eurostat der Anteil von Sekundärrohstoffen in der deutschen Industrie nur bei ca. 13 Prozent. Dass technisch heute schon deutlich mehr ginge, zeigen beispielsweise die Niederlande mit über 30 Prozent. Und statt ein tatsächlich hochwertiges Recycling zu forcieren, setzt Deutschland auch heute noch in vielen Bereichen auf den Import neu gewonnener Rohstoffe u. a. aus Russland.

Zum anderen müsste man aber auch die recycelten Rohstoffe viel effizienter eingesetzen. Das bedingt auch weiterhin das Tüfteln an Einzelprozessen: Papier doppelt bedrucken spart zwar definitiv Ressourcen und schont das Klima. Viel relevanter ist aber der Fokus auf neue Geschäftsmodelle, häufig ermöglicht durch die Digitalisierung: Statt Zeitungen zu drucken und zu verteilen, ist es viel effizienter, sie als E-Paper oder online zur Verfügung zu stellen.

Die Lösung steckt in der Betrachtung

Jenseits dieser Binsenweisheiten liegen die eigentlich spannenden Fragen: Neue Geschäftsmodelle, die zum Beispiel auf Mehrfachnutzung, Leasing oder Remanufacturing basieren, können massiv zur Ressourceneffizienz beitragen – ob sie es tatsächlich tun, hängt stark von der konkreten Umsetzung und den Rahmenbedingungen ab.

Um beim Beispiel zu bleiben: Der E-Reader ist vermutlich nur dann die bessere Alternative, wenn er auch anständig recycelt wird und darin eingesetzte Rohstoffe wie Gold, Kupfer oder Palladium auch zurückgewonnen werden – und wenn er auch für andere Anwendungen genügt.

Das gilt auch und insbesondere für die Digitalisierung: Intelligent eingesetzt kann sie ein massiver Treiber einer ressourcenleichten Kreislaufwirtschaft sein; z. B. wenn exakt die Angaben darüber, wo genau im E-Reader das Gold steckt, dem Recycler am Ende der Nutzungsphase digital zur Verfügung stehen.

Das simple Beispiel zeigt, dass Kreislaufwirtschaft kein Ziel an sich ist, sondern ein Instrument, ein Alternativkonzept, das – wenn sinnvoll umgesetzt – in einzelnen Bereichen massive CO2-Einsparungen bewirken kann: Nach Berechnungen des Thinktanks Material Economics könnte konsequente Zirkularität in Schlüssel-Industriesektoren wie Stahl, Aluminium, Zement und Plastik in Europa den Strombedarf in der Herstellung so drastisch reduzieren, dass damit 60.000 Windräder eingespart werden könnten.

Aktuell besonders spannend sind die Hebel der Circular Economy an der Schnittstelle zwischen Ressourcen und Energie im Bausektor: Hier muss der Energiebedarf pro Quadratmeter Wohnfläche drastisch sinken, um die gesetzlich definierten Klimaziele zu erreichen – z. B. durch bessere Wärmedämmung, bessere Fenster oder effizientere Heizungssysteme.

Sanieren mit Konzept

Grade die großen Wohnungsbaugesellschaften stehen daher vor der Frage, ob sie ihre häufig in den 1960er Jahren gebauten Mehrfamilien-Häuser unter diesen Vorgaben überhaupt noch rentabel betreiben können oder ob sie nicht sinnvoller abreißen und neu bauen sollten – dann mit den aktuell zur Verfügung stehenden Technologien wie Wärmepumpen etc., die den Energiebedarf drastisch reduzieren können.

Allerdings: Fokussiert man allein auf den Energiebedarf in der Nutzung, ergibt sich kein vollständiges Bild, denn die Produktion der benötigten Rohstoffe für den Bau benötigt natürlich auch erhebliche Mengen an Energie, z. B. für den Zement oder den eingesetzten Stahl. Diese sogenannte „graue Energie“, die in den verschiedenen Baumaterialien gebunden ist, geht beim Abriss eines Gebäudes weitestgehend verloren.

So sind wir in Deutschland stolz auf Recyclingquoten für sogenannte „Bau- und Abbruchabfälle“ von über 90 Prozent – doch weniger als 10 Prozent der Abfälle gehen erneut in den Hochbau, sondern werden zu Straßen, Schallschutzwänden oder Abdeckungen für Deponien. Die Qualität der Rohstoffe geht bei dieser Form des „Downcyclings“ also weitgehend verloren.

Aus Sicht der Circular Economy sollte der Fokus also viel stärker auf der Verlängerung der Nutzungsdauer bestehender Gebäude liegen, insbesondere auf der Sanierung von Bestandsgebäuden. Modellierungen des Wuppertal Instituts für ein großes Wohnungsunternehmen zeigen, dass hier über die Zeit gesehen CO2-Einsparungen von über 50 Prozent gegenüber dem Szenario „Abriss und Neubau“ erreicht werden könnten (siehe Abb. 1 im factory-Magazin Ressourcen).

Also – und das belegen diese Ergebnisse – kommt es auf den intelligenten Einsatz solcher zirkulären Strategien an: Wer einfach nur saniert, ohne die Energieversorgung des Hauses zu modernisieren, kann am Ende sogar mit einer schlechteren Klimabilanz dastehen als beim Neubau – erst die Kombination aus Sanierung und Wechsel auf Wärmepumpe oder Fernwärme bringt den gewünschten Effekt.

Lediglich auf die Vermeidung von Abfällen zu schauen – die beim Sanieren mit Sicherheit immer niedriger sind als beim Abriss – ist also genauso wenig ausreichend wie ausschließlich auf den Energiebedarf in der Nutzung:  Es braucht den integrierten Blick auf Energie und Ressourcen und  – darauf aufbauend – die Wahl der intelligentesten Strategien, um unsere Wirtschaft in Richtung einer klimaneutralen und gleichzeitig ressourcenleichten Zukunft zu transformieren.

Vom Reden zum Handeln

Damit stellt sich aber natürlich die Frage, wie sie der Sachverständigenrat für Umweltfragen treffend formuliert hat: Wie kommt man in Deutschland bei der Circular Economy „von der Rhetorik in die Umsetzung“? Denn der Anteil recycelter Materialien in der Industrie, die so genannte „Circular Material Use Rate“, ist in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren lediglich von knapp 11 auf 13 Prozent gestiegen.

Das sind weniger als 0,2 Prozentpunkte pro Jahr. Soll sich die Quote wie von der Europäischen Kommission gefordert jedoch bis 2030 verdoppeln, wäre ein jährlicher Anstieg von 1,1 Prozent notwendig. Entsprechend müsste die Transformation um einen Faktor 5 beschleunigt werden – und dieser Faktor steigt mit jedem Monat ohne umfassende Impulse der Politik und zielgerichtete Investitionen der Industrie.

Der Koalitionsvertrag sieht dazu unter anderem die Entwicklung einer „nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ vor, die hier den dringend benötigten Rahmen für die benötigten Veränderungsprozesse bilden könnte: So soll die Industrie verpflichtet werden, bei der Herstellung neuer Produkte sogenannte Mindestrezyklatquoten nachzuweisen, also einen Anteil recycelter Materialien.

Dadurch würden massive Anreize ausgelöst, Abfälle möglichst sortenrein zu erfassen, sie besser zu recyceln und dafür auch das Produktdesign zu optimieren – beispielsweise weg von immer komplexeren Materialverbänden hin zu Produkten, bei denen sich die verschiedenen Rohstoffe möglichst einfach wieder trennen lassen.

Dafür notwendig wären allerdings Investitionen, die die der Energiewende nochmals deutlich übertreffen würden – die Wirtschaft verlangt daher nachvollziehbar nach langfristiger Planungssicherheit, beispielsweise mit Blick auf die Qualitätsanforderungen für recycelte Materialien oder die zulässigen Nachweisverfahren.

Hier fehlt es noch an klaren Normen und Standards, auf die sich die Industrie berufen könnte. Schnell wird das nicht gelingen. Denn kurzfristige Veränderungen dieser Anforderungen könnten dazu führen, dass getätigte Milliardeninvestitionen von einem Tag auf den anderen nahezu wertlos würden.

Standards und Visionen entwickeln

Das Deutsche Institut für Normung (DIN) erstellt daher momentan zunächst eine sogenannte Normungsroadmap für die Circular Economy (das Wuppertal Institut ist darin u. a. für den Bereich Verpackungen involviert). Sie soll klären, wo solche Standards konkret fehlen oder komplett veraltet sind. Häufig ist zum Beispiel unklar, wann ein Abfall wieder ein Rohstoff und damit wieder frei handelbar wird.

Auf dieser Basis ist die Politik gefordert, ein klareres Bild einer zirkulären Zukunft zu entwickeln: Wie soll zirkuläre Wertschöpfung in Deutschland im Jahr 2030 bzw. 2050 aussehen, auf welchem der dargestellten Hebel soll der Fokus liegen?

Diese und weitere damit verbundene Fragen wird die Politik nicht im stillen Kämmerlein beantworten können, hier braucht es einen umfassenden Beteiligungsprozess aller Akteure – sowohl der Industrie als auch der Zivilgesellschaft.

Die Herausforderung liegt im Faktor Zeit: Eine ressourceneffiziente und gleichzeitig klimaneutrale Circular Economy ist möglich, das steht fest. Aber wenn wir die notwendigen Rahmenbedingungen nicht so schnell wie möglich entwickeln, wird die CE nicht in Deutschland, sondern in den Niederlanden oder noch wahrscheinlicher in China realisiert – und damit auch die Wertschöpfung und die erhofften Arbeitsplatzeffekte. Aktuell ist Deutschland noch in einer hervorragenden Ausgangsposition, droht diese aber leichtfertig zu verspielen.


Sören Steger ist Senior Researcher im Forschungsbereich Stoffkreisläufe der Abteilung Kreislaufwirtschaft im Wuppertal Institut, dessen Leiter ist Dr. Henning Wilts. Er schreibt seit der Ausgabe Circular Economy (1-2017) immer wieder zum Thema im factory-Magazin, zuletzt im Heft Industrie (2-2021).

Das factory-Magazin Ressourcen enthält alle Beiträge zum Thema und illustriert mit einer Bilderserie zur Ausbeutung und Nutzung natürlicher Ressourcen und deren Folgen. Dazu gibt es Zahlen, Zitate und eine Wordcloud. Das PDF-Magazin im Querformat lässt sich auf allen Screens inklusive Smartphones und Tablets lesen – und kostenlos downloaden. Im Online-Themenbereich Ressourcen erscheinen die Beiträge des Magazins nach und nach. Dort sind sie auch mit entsprechenden aktuellen News verbunden.

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