Besser bauen
Bauen? In Zukunft nur recyclinggerecht.
Mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland geht auf das Konto des Bausektors. Nur mittels eines Paradigmenwechsel bereits in der Planung ließe sich dieses ändern. Ziel muss ein Bauen sein, das die „Nutzung nach der Nutzung“ vorausschauend mitberücksichtigt – und zwar sowohl architektonisch als auch materialtechnisch. In der Realität ist man davon noch weit entfernt. Doch nur recyclinggerechtes Planen und Bauen ermöglicht eine ressourcenschonende und klimaschützende Circular Economy.
Von Anja Rosen
Eine alltägliche Baustelle in Deutschland. Der Abbruch eines Bürogebäudes. Der Bagger beginnt, das mit Kies bedeckte Flachdach zurückzubauen. Unter dem Kies kommen Trennfolien zum Vorschein, mit Bitumenabdichtung verklebte Mineralwolle, verunreinigter Stahlbeton. Eine sortenreine Trennung von Bauteilschichten? Fehlanzeige. Ein Recycling oder gar eine Wiederverwendung von Baustoffen? An dieser Stelle unmöglich. Leider ist das keine Ausnahme, sondern die Regel.
Die so in Deutschland anfallenden Bauabfallmengen sind enorm. Für das Jahr 2014 gibt das Statistische Bundesamt das Aufkommen für Bau- und Abbruchabfälle mit über 200 Millionen Tonnen an. Statistisch betrachtet werden 90 Prozent dieser Abfälle zwar wiederverwertet, jedoch handelt es sich dabei meistens um so genanntes „Downcycling“. Die daraus entstehenden minderwertigeren Sekundärrohstoffe nutzt unter anderem der Straßenbau. Eine echte zirkuläre Wertschöpfung, die Bauen und Rückbauen als geschlossenen Kreislauf begreift, findet aber nicht statt.
Damit sich Abfälle in hoher Qualität verwerten lassen, müssen sie getrennt und sortiert werden können. Das hört sich simpel an, scheitert in der Praxis jedoch daran, dass Gebäude nach heutigem Stand für einen Rückbau dieser Art nicht vorgesehen sind – ein hochwertiges Recycling ist somit mit sehr hohem Aufwand verbunden und scheitert deswegen ökonomisch. Das wirtschaftliche und ökologische Potenzial zur Ressourcenschonung, das mit einem selektiven Rückbau einhergeht, schöpft diese Gesellschaft damit nicht aus. Ein „Design for Urban Mining“, das von vornherein den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes inklusive Rückbau und Verwertung miteinbezieht, könnte dies ändern. Dafür müssten zwei Prämissen erfüllt sein: Zum einen müsste eine recyclingfreundliche Baustoffauswahl erfolgen, zum anderen wäre bereits in der Konstruktion auch die Demontage zu berücksichtigen.
Ein Rückbau- und recyclinggerechtes Bauen beginnt in der Planung
Die Weichen hierfür stellt allein die Planungsphase. Bereits der Vorentwurf eines Bauwerks bestimmt die Möglichkeiten zur Auswahl der Materialien. Hierbei sollten Bauwillige darauf achten, dass sich diese beispielsweise nach dem Cradle to Cradle-Prinzip entweder im biologischen oder im technischen Kreislauf führen lassen. Natürliche Materialien werden dabei wieder zu Nährstoffen, technische werden hochwertig recycelt. Auf Produktebene funktioniert dies bereits ganz gut, auf Bauwerksebene sind jedoch Besonderheiten zu beachten. Soll beispielsweise für das Tragwerk Holz verwendet werden, muss der Architekt bei hohen Anforderungen an Brandschutz und Standsicherheit besonders klug planen. Kurze, sichere Fluchtwege zum Beispiel machen auch mehrgeschossige Bauten in Holzbauweise genehmigungsfähig.
Generell gilt, dass eine möglichst homogene Baustoffauswahl weniger Aufwand im Rückbau verursacht. Gleiche Wertstofffraktionen muss man dann nicht separieren, sondern kann sie gemeinsam verwerten, wie zum Beispiel ein Holztragwerk mit Holzweichfaserdämmung ohne Zusatzstoffe oder eine Aluminiumblechfassade auf Alu-Unterkonstruktion. Bei den heutigen Anforderungen an den Wärmeschutz sowie an Dichtheit gegen Feuchtigkeit und Wind ist ein komplett homogener Aufbau der Bauteilschichten jedoch nur sehr schwierig realisierbar.
Umso wichtiger ist eine sorgfältige Ausführungsplanung. Diese schließt sich an, sobald der Entwurf von der Baubehörde genehmigt ist. Denn dann wird entschieden, wie die Materialien miteinander verbaut, also gefügt werden. Den Abdichtungen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Im Sinn einer konsequenten Kreislaufwirtschaft bedeutet dies: nicht trennbare Verbundmaterialien (Komposite) dürfen nicht zum Einsatz kommen, sofern hierfür keine Herstellerrücknahmesysteme bestehen. Unterschiedliche Materialien müssen so verbaut werden, dass sie leicht lösbar und sortenrein demontiert werden können. Nicht rückstandsfrei lösbare Verklebungen sind zu vermeiden, lose Auflagen und Klemmverbindungen hingegen zu bevorzugen. So lässt sich beispielsweise eine recyclingfähige Dachabdichtungsbahn mit einer Dachbegrünung als Auflast gegen Windsog sichern.
Sanierung statt Abbruch
Ein bestehendes Bauwerk zu sanieren, statt es abzubrechen und neu zu bauen, ist aus ökologischer und oftmals auch aus ökonomischer Sicht die bessere Alternative. Der Kernsanierung, also der Wiederverwendung des Tragwerks nach Rückbau der Ausbaumaterialien, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, denn in den tragenden Bauteilen steckt die größte Masse des Bauwerks. Das Tragwerk sollte deshalb möglichst erhalten und weiter genutzt werden. Dies gilt umso mehr für sehr langlebige, aber auch ressourcenintensive und noch nicht konsequent kreislauffähige Baustoffe wie Beton.
In der Planung bedeutet dies, dass man von vornherein auf eine große Flexibilität Wert legen muss. So sollte man Raumhöhen möglichst auf verschiedene Nutzungsarten auslegen, um zum Beispiel eine nachträgliche Belüftung in einer abgehängten Decke realisieren zu können. Schächte müssen ausreichend Platz für technische Nachrüstungen bieten, und Grundrisse sollten weitgehend frei von tragenden Wänden sein, um neue Raumaufteilungen zu ermöglichen. Für Hüllflächen und im Innenausbau sollte man auf reparatur- und austauschfreundliche Konstruktionen setzen.
Wer ressourcenschonend bauen möchte, muss sich also auf einen Paradigmenwechsel einlassen – sowohl architektonisch, als auch materialtechnisch. Wichtig sind hier Vorreiter wie die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), die in ihrer neuen Bewertungsversion 2017 Circular Economy Boni verankert hat. Darüber hinaus muss politisch und rechtlich an vielen weiteren Stellschrauben gedreht werden. Der Mehraufwand für eine Planung, die auf eine echte zirkuläre Wertschöpfung im Bauwesen abzielt, ist zum Beispiel in der gängigen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) nicht abgebildet. Hier müssen Anpassungen widerspiegeln, dass eine ressourcenschonende Bauwirtschaft ihren Ursprung in einem frühen Planungsstadium hat.
Das Wissen darüber, wie Gebäude als veritable Rohstofflager dienen können, ist auf Planerseite vielfach noch nicht vorhanden: Dazu sind Aus- und Fortbildungsangebote gefragt, die das entsprechende Know-How vermitteln. Eine nachhaltig bauende Gesellschaft braucht Hochschultätigkeiten, die Forschungsprojekte offensiv vorantreiben. Die Bergische Universität Wuppertal setzt hier mit ihrem Lehrstuhl Baukonstruktion, Entwurf und Materialkunde wichtige Akzente. Zurzeit arbeitet ein Team unter der Leitung von Prof. Annette Hillebrandt an einem Konstruktionsatlas, den der Detail Verlag 2018 veröffentlichen will. Der Atlas soll Architekten als Planungsinstrument dienen, indem er systematisch rückbau- und recyclingfreundliche Materialien und Konstruktionen vorstellt.
Von der Energiewende zur Ressourcenwende
Eine wichtige Rolle spielen auch die gesetzlichen Vorgaben. Im Rahmen der Umsetzung ihrer Klimaschutzziele hat die Politik in den vergangenen Jahren den sinkenden Energieverbrauch von Wohn- und Nichtwohngebäuden forciert – umgesetzt vielfach mit Dämmsystemen, die später als gefährlicher Abfall zu entsorgen sind. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Bauens ist deshalb auch in den gesetzlichen Regularien erforderlich. Aus dem Energieausweis für Gebäude muss ein Ressourcenpass werden!
Dafür sind Leuchtturmprojekte, die das Thema Recycling und zirkuläre Wertschöpfung offensiv vorantreiben, besonders wichtig. Beispiel hierfür ist die Nachnutzung des Flughafens Berlin-Tegel. Nach Beendigung des Flugbetriebs will der Senat das Areal zu einem Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien entwickeln. Die Themen Innovation und Zukunftstechnologien gehören zur Zielausrichtung des Projekts, das als Ankermieter für das Herzstück, die Umnutzung des Terminal A, die Beuth-Hochschule für Technik in Berlin gewinnen konnte. Projektentwickler ist die Tegel Projekt GmbH.
Die Vorschläge zum Energie- und Wasserkonzept, zum Mobilitätsmanagement und zum Thema Recycling brachten dem Projekt als weltweit erstes Gewerbequartier ein Vorzertifikat der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) in Platin ein. So soll neben einer direkten Wiederverwendung ein so genanntes on-site-recycling stattfinden, eine rezyklierende Aufbereitung der Betonpisten und Flughafenflächen noch auf der Baustelle. Dasselbe gilt für Baustoffe, die im Rahmen der Umbaumaßnahmen der Bestandsgebäude zurückgewonnen und für die Neubauten des Areals direkt wieder verwertet werden sollen. Alles, was neu hinzukommt, soll recyclingfähig und leicht demontierbar sein. Eine optimierte Raumkonfiguration und eine flexible Technische Ausrüstung sollen eine mögliche Umnutzung unterstützen. Die Beuth Hochschule in der „Urban Tech Republic“ stünde somit für ein konsequent umgesetztes recyclinggerechtes Gebäudekonzept mit Signalwirkung weit über Berlin hinaus.
Auch Hersteller sind gefragt
Wesentliche Impulse müssen jetzt von den Herstellern und Auftraggebern aus der freien Wirtschaft kommen. Eine große Herausforderung ist das Thema Verbundstoffe. Viele Materialien, die Bauende heute einsetzen, gehören aus der Perspektive des Produktrecyclings auf den Index. Es müssen Anreizsysteme entstehen, die Bauherren und Industrie dazu bringen, Stoffkreisläufe in der Bauwirtschaft neu zu gewichten und das wirtschaftliche Potenzial, das mit einer ressourcenschonenden Bauwirtschaft einhergeht, zu nutzen. Schließlich geht ein großer Teil des Rohstoffverbrauchs in Deutschland auf das Konto der Bauwirtschaft, darunter sind in großem Umfang wertvolle Metalle und mineralische Materialien. Und beim so genannten Urban Mining geht es weniger um Idealismus, sondern vielmehr um Geld – Deutschland ist schließlich arm an Rohstoffen. Wenn die unterschiedlichen Akteure miteinander gemeinsame Ziele zur Ressourcenschonung entwickeln und praktikable Lösungen finden, könnte eine echte Kreislaufwirtschaft im Bauwesen entstehen. Das ressourcenschützende und ökonomische Potenzial, das damit einhergeht, ist gewaltig.
Anja Rosen ist als Architektin, Sachverständige für Nachhaltiges Bauen und DGNB-Auditorin bei der energum GmbH (agn-Gruppe) tätig. Darüber hinaus ist sie Lehrbeauftragte an der Bergischen Universität Wuppertal, Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen und forscht mit dem Schwerpunkt „Kreislaufpotenziale von Baukonstruktionen im Hochbau“. Sie ist zudem Gründungsmitglied der Initiative Ressourcenschonende Bauwirtschaft IRBau und Mitinitiatorin des Urban Mining Student Award, der 2017 das erste Mal ausgelobt wurde.
Mehr Beiträge zum Thema Nachhaltiges, ressourceneffizientes Bauen im factory-Magazin Besser Bauen. Das steht kostenlos zum Download, ist schön illustriert und mit sämtlichen Beiträgen, Zahlen und Zitaten angenehm lesbar auf Tablets und Bildschirmen. Online im Themenbereich sind zunächst nur einige Beiträge verfügbar – dafür lassen sie sich dort auch kommentieren und bewerten.
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