Besser bauen
Der Stil entscheidet
Individuelle Wohn- und Lebensstile haben erheblichen Einfluss auf den Ressourcenverbrauch – auch in ressourceneffizienten Gebäuden. Sie sind aber gleichzeitig bedingt durch gefestigte Infrastrukturen. Wie lassen sich ressourcenleichte Lebensstile fördern, die zu einer klimaschonenden Gesellschaft führen, ohne dass die Menschen diese als Bevormundung empfinden? Welche „smarten“ Technologien unterstützen sie und mit welchem Maßnahmen nutzen diese sie tatsächlich? Darüber sprach Ralf Bindel mit Christa Liedtke, Professorin für Sustainability Research in Industrial Design an der Folkwang Universität Essen. Mit ihrem Team am Wuppertal Institut untersucht sie Lebensstilfragen und Ressourcenverbrauch in realen Lebensverhältnissen, so genannten Real-Laboren.
factory: Frau Prof. Liedtke, Sie halten den Lebensstil der Menschen entscheidend für den Ressourcenverbrauch, dessen momentane Höhe so problematisch für wirkungsvollen Klimaschutz ist. Wie beeinflusst der Lebensstil der Menschen den Ressourcenverbrauch?
Christa Liedtke: Der Lebensstil ist der Ausdruck des gesamten Ressourcenverbrauchs einer Gesellschaft und ihrer Wirtschaftsweise. Wozu ist Wirtschaft da? Sie erzeugt die Produkte, Dienstleistungen und Infrastruktuen, die die Menschen zum Leben benötigen und um ihre Bedürfnisse zu erfüllen – all das verursacht den Ressourcenverbrauch einer Gesellschaft.
Die Zusammensetzung und die Gestaltung der Infrastrukturen einer Gesellschaft setzen aber erst die Bedingungen für die Lebensstile.
Es ist in der Tat eine wechselseitige Beziehung: Sind ressourcenschonende Infrastrukturen vorhanden, nutzen die Menschen sie natürlich auch schnell und können ihren Lebensstil möglicherweise verändern. Sie setzen aber auch Grenzen. Wer zum Beispiel auf öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist, hat keinen Einfluss auf Bus- oder Zugtaktung und Streckenverlauf. So ist es auch bei den Produkten persönlicher Nutzung, die wir alle zuhause haben: Ihre Nutzungsform können wir nicht verändern, da sie entsprechend gestaltet sind. Dieses ganze System ist immer in Bewegung, denn Unternehmen gestalten Produkte, um sie absetzen zu können. Erkennen Unternehmen, dass ein Lebensstil sich verändert, sich zum Beispiel in Richtung Digitalisierung bewegt, ziehen sie auch mit ihren Produkten und Dienstleistungen nach. Ist der Breitbandausbau da, wird er auch genutzt. Das sind Entwicklungen, die wir seit der Industrialisierung beobachten können.
Gibt es Zahlen, wie groß der Anteil des privaten Ressourcenverbrauchs ist?
In Deutschland bewegen wir uns bei 70 Tonnen Ressourcenkonsum pro Kopf und Jahr. Darin ist alles enthalten, wie die öffentlichen Einrichtungen für Bildung und Gesundheit, die Produktionsanlagen, die Mobilitätsinfrastruktur, ihr Betrieb. Strukturen, die die privaten Haushalte nicht beeinflussen können. Ihr Einfluss durch direkte Konsumentscheidungen liegt aber immerhin bei der Hälfte – eine ganze Menge. Unsere ersten Berechnungen zeigten, dass wir hier bei 30 bis 32 Tonnen Ressourcenkonsum pro Kopf und Jahr liegen. Wir schätzen aber, dass wir noch nicht alles erfasst haben und der Verbrauch noch höher ist. Von Finnland wissen wir, dass es 40 Tonnen sind.
Wie hoch dürfte unser Ressourcenkonsum sein, damit er nachhaltig ist?
Der private Ressourcenkonsum bewegt sich zwischen 30 und 40 Tonnen. Wir müssen aber auf acht Tonnen runter, wenn wir nachhaltig leben wollen, um nachfolgenden Generationen die gleichen Grundlagen hinterlassen zu können. Das ist ein Faktor Drei bis Vier des geringeren Verbrauchs, den wir dafür erreichen müssen.
Sehen Sie Chancen, wie die Menschen in Deutschland dahin kommen können?
Es gibt jede Menge Möglichkeiten. Die Wirtschaft ist im Moment noch so eingerichtet, dass sie Ressourcen konsumiert. Das stammt aus der Phase der Wohlstandserzeugung, in der man noch nicht erkannt hatte, dass man mit Ressourcen schonend umgehen muss. Das ändert sich gerade. Wenn wir also die Produkt-Dienstleistungs-Entwicklung verändern und die Ressourceneffizienz miteinbeziehen, glauben wir, dass wir eine ähnliche Revolution auslösen können, wie sie mit der industriellen Revolution oder der Rationalisierug der Arbeit markiert wurde. Diese Größenordnung halten wir durch die derzeitigen technologischen Anwendungen für möglich, wenn sie auf Ressourceneffizienz ausgerichtet sind.
Ressourceneffiziente Produkte sind aber nicht alles?
Für die Nutzungsphase müssen wir viel stärker berücksichtigen, welche Dienstleistungen überhaupt gewünscht sind, so dass wir die Produkte und ihre Leistungen wirklich darauf konzentrieren. Da sind noch einmal immense Einsparungen möglich.
Was ist mit unseren übervollen Haushalten?
Dort besteht weiteres hohes Effizienzpotenzial. Schätzungsweise 90 Prozent unserer Produkte im Haushalt nutzen wir gar nicht. Sie kosten uns Miete, Fläche und Energie, dabei gibt es dafür intelligentere Lösungen. Daher sehe ich theoretisch keine großen Probleme, diesen Wert von acht Tonnen Ressourcenverbrauch pro Kopf und Jahr bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Man muss nur das Problem erkennen und die Veränderung auch wirklich wollen.
Wer muss das wollen? Die Industrie, die Politik, die Verbraucher?
An Produktions- und Konsumsystemen sind ja zuvorderst die Hersteller und die Verbraucher und Verbraucherinnen beteiligt – sie können ihren Beitrag leisten. Aber wir haben natürlich auch in unserer Wirtschaft und in unserer Gesellschaft Strukturen entwickelt, die genau das immer wieder befeuern: den hohen Ressourcenkonsum. Diese Strukturen müssen ebenfalls geändert werden – und da ist die Politik gefragt, damit sie die Rahmenbedingungen setzt, um einen fairen Wettbewerb um Entwicklung und Innovation auszulösen. Sie muss Anreize setzen, ressourceneffiziente Produkte und Dienstleistungen zu nutzen und auch Infrastrukturen schrittweise in diese Richtung umzubauen. Sonst werden wir diese Ziele nicht erreichen.
In Europa ist der Ressourcenkonsum in den Ländern und Regionen sehr unterschiedlich. In Finnland verbrauchen die Menschen sehr viele Ressourcen, in Ungarn nur ein Viertel davon. Es gibt also kein Reduktionsrezept für alle Regionen?
Dass die Menschen in Finnland so viel verbrauchen, hängt mit der Infrastruktur und der Winterfestigkeit zusammen. Dort gibt es kulturelle Gegebenheiten, die auch sehr charmant sind, wie die Sommerhäuser der Finnen und das entsprechende Straßennetz, das dafür notwendig ist. Vieles macht durchaus Sinn und ist dem gesellschaftlichen Leben zuträglich. Man muss sich genau ansehen, wo man dort tatsächlich ansetzen kann.
Verkehr und Reisen treiben auch in Deutschland den Ressourcenverbrauch.
Deutschland ist stark geprägt durch sein Energiesystem und seine Produktionsstrukturen, es ist ein Transitland mit entsprechenden Logistikstrukturen, es exportiert sehr viele Waren – das vergrößert das Gewicht unseres Ressourcenrucksacks sehr stark und deswegen muss man hier anders vorgehen als in anderen Ländern. Dann ist auch klar, dass Länder wie Griechenland, Italien und die osteuropäischen Länder ganz anders aufgestellt sind und deswegen die Menschen dort insgesamt einen anderen Ressourcenkonsum haben.
Was kann man tun?
Man muss die Ressourceneffizienzpolitik und das Management durch die Unternehmen und Haushalte sehr unterschiedlich gestalten – je nach dem, in welcher Region man sich befindet. Und so müssen auch politische Instrumente angelegt sein, damit sie den regionalen Bedingungen gerecht werden.
Zum Beispiel?
Wir erleben jetzt im Ernährungsbereich die große Welle vegetarischer und veganer Ernährung – das ist auch gut so. Jetzt gibt es aber bestimmte Landstriche, die seit Jahrhunderten von der Milchviehwirtschaft leben, warum sollte dort kein Fleisch gegessen werden, wenn die Böden nichts anderes als Viehwirtschaft zulassen? Die Berücksichtigung dieser Bedingungen machen auch in der Nachhaltigkeit Sinn.
Rund 18 Stunden verbringen Menschen in Mitteleuropa täglich in Gebäuden. Gibt es Untersuchungen, wie dort ihr Verhalten den Ressourcenverbrauch beeinflusst?
Dazu gibt es vielfältige Untersuchungen. So kochen die Menschen zuhause weniger. Sie nutzen Warmwasser, sie mögen ein gutes Raumklima, im Winter angenehme Wärme. Doch wir entdeckten große Unterschiede in der Nutzung von öffentlichen oder gewerblichen Gebäuden und dem eigenen Heim oder der Mietwohnung. Denn nur in letzteren sehen die Menschen, wie groß ihr Energieverbrauch ist. In öffentlichen Gebäuden ist er manchmal außerordentlich hoch, selbst wenn diese die besten Energiesysteme haben.
Woher kommen diese Unterschiede?
Zuhause erhalte ich eine Abrechnung über die Kosten und sehe, dass sie dieses Mal um 300 Euro höher ausgefallen ist. Dann reagiere ich – und habe auch die Möglichkeit dazu. Auch die Mobilität fördert diese Unterschiede. Wenn Menschen schneller zwischen A und B verkehren, halten sie sich wiederum mehr in Gebäuden auf. Verbindet man diese Bewegungsprofile mit den Ressourcenprofilen, lässt sich feststellen, wo im Tagesverlauf die Ressoucenpeaks liegen – und dort kann man dann ansetzen, zum Beispiel mit entsprechenden Produktentwicklungen.
Wo liegen diese Peaks?
Bei der Mobilität natürlich morgens, wenn viele zur Arbeit fahren bzw. die Kinder in die Schule müssen. Mittags haben wir dann keine konzentrierte Bewegung der Gesellschaft mehr, die Peaks verteilen sich, weil wir eine Teilzeitgesellschaft sind. Mit den Freizeitaktivitäten steigt die Kurve nochmal an. Darüber legen wir die Verhaltensweisen der Ernährung, die Nutzung von Kommunikationsinstrumenten wie Laptops und TV. Da wissen wir, dass die Nutzungszahlen hoch sind und der Ressourcenpeak wieder ansteigt, weil dann sehr viel bestellt wird – inzwischen zunehmend auch tagsüber über die Smartphones. Ordnet man den Ressourcenverbrauch diesen Kaufentscheidungen zu, erkennt man, was die Menschen wie und wann verbrauchen.
Welche Einflussnahmen stellen Sie sich vor, um diesen Ressourcenverbrauch zu reduzieren? Denn das ist doch das große Ziel.
Zuhause können wir relativ gut eingreifen. Die Menschen sollten natürlich zunächst selbst bestimmte Ziele definieren, um ihre Ressourcenverbräuche zu verändern. Dann können wir sie mit Produkten unterstützen: Wenn die Räume nicht über 21 °C warm sein sollen, abends die Heizung heruntergeregelt werden soll oder die Entscheidung getroffen wurde, dass die Schlafräume nur 18 °C haben sollen. Entsprechend der Räume kann man ein Profil erstellen, so dass der Nutzer ein Signal erhält, wenn er über einem bestimmten Wert liegt – die Folgen kann er dann wieder mit sich aushandeln.
Warum ist das so wichtig?
Wir entlassen die Menschen nicht aus dem System, damit es sich selbst steuert, wenn man es einmal festgelegt hat. Wir holen sie immer wieder in das System zurück, damit sie jeweils erneut entscheiden können. Gerade bei den großen Ressourcenverbräuchen beziehungsweise denen, die ihre Lebensqualität betreffen, ist das wichtig, um sich dieser Entscheidungen bewusst zu sein. Deswegen haben wir mit den Transformationsdesignern von der Essener Folkwang Universität ein Gerät entwickelt, mit dessen Hilfe Nutzer sehen können, wie hoch die Raumtemperatur ist, ob es „dem Raum gut geht“ – das ist wichtig z. B. wegen der Schimmelbildung und der Bauteilfeuchtigkeit – und ob es für die Nutzer passt. Ist die Luftqualität gut, ist der CO2-Wert in Ordnung? Diese Bedürfnisse stehen in Aushandlung miteinander.
Temperatur ok, Luftqualität ok – und das wirkt ressourcenschonend?
Verfügen die Menschen über diese Information, wirkt das wie ein Trainingsprogramm, und sie bekommen schnell ein Gefühl dafür, wann es sowohl ihnen als auch dem Raum gut geht – und schon bald können sie das auch ohne Gerät einschätzen, weil sie wieder ein Empfinden für die Raumqualität entwickelt haben. Mit der Konsequenz, dass Menschen kompetent darin werden, möglichst wenig Ressourcen für langfristigen Materialerhalt und Lebensqualität einzusetzen.
Lässt sich so die Sensibilität für den Ressourcenverbrauch erhöhen?
Ja, und zwar über das Argument der Gesundheit. Nutzer wissen, dass zu warme Räume schlecht für die Gesundheit wegen des zu hohen CO2-Gehalts sind, zu feuchte Räume ebenso und zusätzlich leidet die Gebäudesubstanz. Sie erkennen, dass ihre Gesundheit abhängig vom Ressourceneinsatz ist.
Aber das geht nur mit Hilfe von Technik, also im so genannten Smarten Wohnen?
Die Entwicklung, die wir anstreben, bedeutet, Technologie dort einzusetzen, wo es sinnvoll ist. Natürlich wird es smarte Steuerungen der Heizung geben – doch die Informationstableaus sind noch nicht so weit, dass Menschen diese schnell und einfach verstehen – daran muss man arbeiten. Aber es ist ja unser Ziel, möglichst wenig Ressourcen einzusetzen – und das bedeutet auch möglichst wenig smarte Technologie. Wenn ich darin trainiert bin, in einem Raum zu entscheiden, wie schlecht die Luft ist und mit der Öffnung des Fensters innerhalb weniger Minuten einen Ausgleich zu schaffen, ohne gleich die Heizung wieder hochzudrehen, brauche ich dafür kein Gerät mehr. Wir haben auch Real-Labor-Messungen in alten Gebäuden gemacht, wo es häufig Zugluft gibt. Die dort lebenden Menschen können sehr gut damit umgehen.
Wo liegen die Grenzen des smarten Wohnens?
Statten wir alle Wohnungen mit smarter Technologie wie der Sensorik aus – den Boden, die Decke, die Wände –, kostet uns das dauerhaft wahnsinnige Mengen an Ressourcen für Infrastruktur, Verarbeitungs- und Serverkapazität und -betrieb. Diese Ressourcenverbräuche für 40 Millionen Haushalte in Deutschland wären ein riesiger zusätzlicher Rucksack. Zudem sind es sehr wertvolle Ressourcen, mit denen wir schonend umgehen müssen. Natürlich sind smarte Technologien sinnvoll, aber nicht in allen Bereichen.
Dann geschieht das Erlernen derartiger Routinen mit Verleihgeräten?
Wir würden niedrig-investive Objekte vielfach entwickeln, die dann von mehreren Menschen genutzt werden können. Davon brauchen wir nur 10 statt 40 Millionen für alle Haushalte, also um den Faktor 4 weniger bei einem um Faktor X verringerten Verbrauch durch Routinen.
Das heißt, wenn zum Beispiel im ehemaligen Braunkohlerevier Indeland neu gebaut wird, brauchen die Menschen in ihren ressourceneffizienten Passivhäusern ohne Keller aber zusätzlichem Geschoss keine smarte Ausstattung, um ihr ressourceneffizientes Leben zu erlernen?
Ich würde Indeland in diesem Fall unbedingt raten, die Menschen zu fragen, in welchen Bereichen sie denn tatsächlich Unterstützung haben wollen: Welche Leistungen erhoffen sie sich von Smart Technology? Sinnvoll wäre, eine Wohnumwelt zu generieren, in der die Menschen erfahren können, wo das überhaupt wie funktioniert – um nicht zu übersteuern. Denn sonst werden Menschen zurecht müde und umgehen Systeme. So erzielt man einen Rebound-Effekt, dessen Rucksack noch auf den des Smart-Technology-Einsatzes kommt. Die Wünsche können bei den Menschen ganz unterschiedlich sein. Wollen sie einen sprechenden, selbständig bestellenden Kühlschrank – ja oder nein? Im Moment werden sie der Entscheidung enthoben, ob ein solcher Chip in einem Produkt installiert ist oder nicht. Ist er installiert, kann er auch permanent angesteuert werden. Die Bewohner müssen sich immer genau überlegen, was ihr Leben wirklich erleichtern würde und was nicht.
Weiter im Gespräch mit Christa Liedtke geht es im zweiten Teil. Dort spricht sie über das Leben in vollgedämmten Häusern mit vollständiger Digitalisierung und Haushaltsrobotern und wie eine Ressourcensteuer den Preis für das Ganze nennen könnte.
Prof. Dr. Christa Liedtke ist Biologin und Theologin und leitet den Forschungsbereich Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren am Wuppertal Institut. Sie ist Professorin für Nachhaltigkeitsforschung im Design an der Folkwang Universität in Essen und Vorsitzende der Ressourcenkommission des Umweltbundesamtes sowie Mitglied zahlreicher Expertengruppen und Jurys.
Mehr Beiträge zum Thema Nachhaltiges, ressourceneffizientes Bauen im factory-Magazin Besser Bauen. Das steht kostenlos zum Download, ist schön illustriert und mit sämtlichen Beiträgen, Zahlen und Zitaten angenehm lesbar auf Tablets und Bildschirmen. Online im Themenbereich sind zunächst nur einige Beiträge verfügbar – dafür lassen sie sich dort auch kommentieren und bewerten.
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