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    Website-Ausschnitt der Initiative Lieferkettengesetz.de

Ressourcen schützen heißt Menschen schützen

Ressourcenschutz ist nicht nur der beste Klima- und Artenschutz. Das gleiche gilt auch für den Schutz von Menschenrechten – besonders von indigenen Bevölkerungsgruppen. Zudem sind diese oft die besten Bewahrer der weltweit überlebenswichtigen biologischen Vielfalt. Dennoch schreitet der Rohstoffabbau in ihren Lebensräumen voran, vertreibt sie und vernichtet diese. Ein konsequentes Lieferkettengesetz müsste ihren Schutz sichern.

Menschenrechte sind nicht verhandelbar, heißt es. Sie gelten als oberste Grundlage humanitären Handelns. Wenn es um Rohstoffe geht, spielen sie aber häufig keine Rolle. So leiden indigene Gruppen auch in heutigen Zeiten immer noch unter der Missachtung ihrer Rechte. Der weltweite Ressourcenhunger hat noch nie vor ihren Lebensräumen halt gemacht und bedroht sie auch weiterhin — auch wenn die Geschichte der Kolonialisierung und Versklavung Mahnung genug sein sollte.

Selbst wenn es weltweit heute geschätzt etwa 476 Millionen Indigene gibt und sie damit nur einen Anteil von sechs Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, sind sie dennoch wesentlich bedeutend für Klima- und Artenschutz – trotzdem leiden sie unter extremer Armut und Verfolgung. Auf sie entfallen etwa 19 Prozent der extrem armen Menschen der Welt. Darauf weisen viele Menschenrechtsorganisationen anlässlich des Internationalen Tags der indigenen Völker (bzw. autochthonen Völker) am 9. August hin.

Ihre Forderungen nicht nur an diesem Tag: Weniger Ressourcenverbrauch der wohlhabenden Bevölkerungsgruppen und besserer Schutz der indigenen. Die Resonanz in den Medien 2022 dazu ist gelinde gesagt bescheiden, wie ein Blick in Google-News belegt – selbst wenn einzelne wie der Radiosender Cosmo sich diesem Tagesthema ausführlicher widmen.

Indigene sind Garanten der Vielfalt

Die Bedeutung der indigenen Gruppen für den einigermaßen zivilisierten Fortbestand der Menschen ist dabei nicht zu unterschätzen. Sie tragen nicht nur nicht zu Erderhitzung und Ressourcenverbrauch bei, sie sorgen auch für die Erneuerung von Ressourcen, die Bewahrung biologischer und kultureller Vielfalt.

Genetische Vielfalt, die Apotheke der Welt sind nur einige Stichworte dazu. Selbst vermeintlich soziale Innovationen wie die Verwaltung von Gemeingütern, auch Commons genannt, lassen sich für alternative statt extraktivistische Wirtschaftsweisen von ihnen lernen. Ein Buen Vivir, ein gutes Leben für alle, ist ohne ein anderes Denken von solidarischer Gemeinschaft kaum möglich.

Doch im Moment sieht es nicht danach aus, dass die Menschen die kulturellen Ressourcen Indigener für ihr weiteres wohlständiges Zusammenleben nutzen möchten. Eher geht es ihnen zur Bewahrung ihrer etablierten Lebens- und Wirtschaftsweise um die weitere Ausbeutung der Rohstoffe auf den verbliebenen Gebieten der Indigenen – ob bereits geschützt oder nicht, interessiert dabei nicht.

Oft wird sogar der Naturschutz gegen indigene Gruppen gewendet, wenn sie aus Nationalparks gewaltsam vertrieben werden oder ihre traditionelle Nutzung verboten wird. Immer wieder kommt es zu solchen Fällen, auch im Rahmen von Klimaschutzprojekten zur Emissionskompensation für Unternehmen und Ländern, die klimaneutral werden wollen und müssen.

Bedrohlich wachsender Rohstoffabbau  

Besonders bedroht sind indigene Gruppen aber überall durch den immer noch ungebremsten Ressourcenhunger der Industriestaaten. Denn der Abbau von Rohstoffen wie Kohle, Uran, Lithium, Nickel, Kupfer oder Eisenerz geht in vielen Teilen der Welt mit Menschenrechtsverletzungen und massiven, dauerhaften Umweltschäden einher, schreibt der BUND.

Beispiel Kohle: Auch durch ihren Abbau sind Indigene bedroht. So werden seit Beginn des brutalen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine fieberhaft Bezugsquellen außerhalb Russlands gesucht. Schon jetzt soll mehr so genannte "Blutkohle" aus Kolumbien nach Deutschland kommen – beispielsweise für das Uniper-Kohlekraftwerk Datteln IV, hinzu kommen die Kraftwerke der Chemie- und Zementindustrie.

Dabei ist schon seit Jahrzehnten bekannt, dass im Zuge des kolumbianischen Steinkohleabbaus Indigenenrechte systematisch missachtet werden. Der dort befindliche größte Steinkohletagebau Lateinamerikas El Cerrejón wird „Monster“genannt. 

Nicht ohne Grund: Seinetwegen werden in den umliegenden Wayyú-Gemeinden dringend benötigtes Wasser umgeleitet und ganze Dörfer umgesiedelt. Die Folge: Landkonflikte, Dürre und die Verbreitung von Krankheiten. Zudem sind indigene Anführer*innen Ziel von politischen Einschüchterung und Attentaten.

Gewaltsame Vertreibung

Auch eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken ist keine Lösung der Energiekrise, weder hier noch in Frankreich oder sonstwo. Kommt der Rohstoff nicht aus Russland, kommt er beispielsweise aus den Gebieten der Dene und Cree in Kanada und der Aboriginals in Australien. Meist gegen ihren Willen und ohne Aufklärung über die Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der dort lebenden Menschen, sagt BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock.

Klar ist, dass auch die massive Expansion des Agribusiness vielerorts das Überleben Indigener bedroht, „Ihre grundlegendsten Rechte – darunter die Rechte auf angemessene Nahrung, Wasser und eine gesunde Umwelt – werden ständig von öffentlichen und privaten Akteuren verletzt", sagt Marian Henn, Lateinamerikareferent von FIAN Deutschland, dem FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk.

Die COVID-Pandemie und Naturkatastrophen infolge des Klimawandels hätten ihre prekäre Situation noch verschlimmert. Die Bundesregierung sei aufgefordert, eine Strategie zur Umsetzung der jüngst in Kraft getretenen ILO-Konvention 169 vorzulegen, so Henn. Die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation ist die einzige internationale Vereinbarung zum Schutz indigener Gruppen.

Indigene Territorien würden häufig gewaltsam enteignet, um großen landwirtschaftlichen Nutzflächen weichen, meist für Soja-, Palmöl- und Zuckerrohr-Plantagen oder für die Viehzucht. Zudem spielen die von Indigenen Gruppen bewohnten ländlichen Gebiete in vielen Fällen eine bedeutende Rolle für Klimaschutzstrategien in Form von Staudammprojekten, internationalen Emissionshandel-Mechanismen oder Waldschutzprojekten, bestätigt auch FIAN.

Der wachsende Einsatz gefährlicher Pestizide verschmutze vielerorts Wasserquellen, zerstöre die Biodiversität und führe zur Vertreibung Indigener Gemeinden. Gewaltsame Auseinandersetzungen bei Räumungen sowie systematische Repression und Kriminalisierung Indigener Völker und Landrechtsverteidiger*innen seien weitere Merkmale des anhaltenden Verdrängungs-Prozesses.

Wie gegenwärtig die Gewalt ist, zeigen einige Beispiel aus der Arbeit von FIAN:

So kämpfen etwa 30.000 Indigene vom Volk der Guarani-Kaiowá im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul um Zugang zu ihren traditionellen Gebieten. Sie werden immer wieder von ihrem Land vertrieben, um Platz für Plantagen zu schaffen.
Am 24. Juni drangen Einheiten der Militärpolizei und Großgrundbesitzer in das von den Guarani-Kaiowá besetzte Gebiet, Guapoy, ein, um diese gewaltsam zu vertreiben. Bei diesem Angriff wurden mehrere Menschen verletzt und einer getötet.

In Paraguay wurden im vergangenen Jahr 725 indigene Familien in Paraguay von ihrem Land vertrieben. Die Räumungen fanden hauptsächlich in Gebieten statt, in denen die Agrarindustrie auf kleinbäuerliche und indigene Gebiete vordringt. Paraguay ist das Land mit der höchsten Landkonzentration der Welt, ein Erbe der 50-jährigen Diktatur von General Strössner. Kriminalisierung und Verfolgung indigener Gemeinschaften, die ihre Landrechte verteidigen, haben in den letzten Monaten zugenommen.

Nocheinmal "Blutkohle": In Kolumbien werden seit Jahren die Rechte der Indigenen Gemeinschaft der Wayúu durch das Bergbauprojekt Cerrejón verletzt. Kein Zugang zu sauberem Wasser, Landraub sowie Verfolgung und Einschüchterung von Menschenrechtsverteidiger*innen sind die Folgen des Abbaus von Kohle, die später in andere Länder wie Deutschland exportiert wird.

Verantwortung ohne Strategie

Immerhin: Am 21. Juni dieses Jahres trat in Deutschland die ILO Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation in Kraft. Es ist das bisher einzige international verbindliche Abkommen zum Schutz Indigener Völker.

Der ILO 169-Koordinationskreis, darunter auch FIAN Deutschland, fordert die deutsche Bundesregierung auf, noch in dieser Legislaturperiode eine ressortübergreifende Strategie zum Schutz der Rechte Indigener Völker zu erarbeiten und konsequent umzusetzen.

„Nach dem Inkrafttreten der ILO Konvention 169 muss die Bundesregierung jetzt endlich ihre extraterritoriale Verantwortung wahrnehmen und sich für die konsequente Anwendung der Konvention zum Schutz der vertraglich zugesicherten Rechte Indigener Völker einsetzen. Dazu gehören etwa das Recht auf Erhalt der kulturellen Identität, das Recht auf Beteiligung an staatlichen Entscheidungen sowie das Recht auf Land und Ressourcen“, sagt Marian Henn von FIAN.

Daher gelte es genau darauf zu achten, unter welchen Bedingungen importierte Agrar- oder mineralische Rohstoffe an- und abgebaut würden. Bei Verstößen müssten notfalls Import-Verbote greifen oder Klagen von Betroffenen zugelassen werden, so Henn. Regeln ließe sich das durch ein konsequentes Lieferkettengesetz.

Indigene schützen Artenvielfalt

Slow Food Deutschland nimmt den internationalen Tag der indigenen Völker zum Anlass, um auf die Schlüsselrolle aufmerksam zu machen, die indigenen Völkern auf dem Weg zu einem resilienten und nachhaltigen globalen Ernährungssystem zukommt.

Denn über 80 Prozent der weltweit verbliebenen Artenvielfalt befindet sich in den Ländern und Gebieten indigener Völker und lokaler Gemeinschaften. "Diese Vielfalt als Garantin leistungsfähiger Ökosysteme werden wir nur dann bewahren, wenn wir das Leben und die Lebensweise der indigenen Menschen schützen", schreibt Slow Food.

Den einheimischen Arten kommt eine Schlüsselrolle beim Einsatz für globale Ernährungssicherheit und -souveränität zu. Sie sind an die Bedingungen in ihren Herkunftsregionen angepasst und dadurch resistenter als die standardisierten Kulturpflanzen, die aktuell unser Ernährungssystem dominieren. 

Die Bewahrung des Wissens um lokale Pflanzensorten, der Schutz ihres Saatguts und die Förderung ihres Anbaus ermöglicht es gerade den Menschen im globalen Süden, sich selbst zu ernähren und somit unabhängiger von krisenanfälligen globalen Lieferketten zu leben.

„Wer sich die indirekten Kosten der eigenen Lebensweise und die damit verbundenen Auswirkungen insbesondere auf die indigenen Völker der Welt bewusst macht, gelangt zwangsläufig zur Hinterfragung wirtschaftlicher und politischer Modelle, die unsere Ressourcen ausbeuten und zerstören", sagt Dali Nolasco Cruz, neu gewähltes Mitglied des internationalen Vorstands von Slow Food und langjährige indigene Aktivistin.

Wirksames Lieferkettengesetz

Angesichts der Suche nach neuen Rohstofflieferanten und der zu erwartenden weiteren Beschleunigung der Extraktion und der industriellen Landwirtschaft in indigenen Gebieten fordern viele Nichtregierungsorganisationen ein Verbot des Bezugs derartiger Rohstoffe.

Bislang sind jedoch deutsche und europäische Unternehmen nicht dazu verpflichtet, in ihren Lieferketten auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu achten: Das deutsche Lieferkettensorgfaltpflichtengesetz tritt erst 2023 in Kraft, eine europaweite Regelung gibt es bislang noch nicht.

Die EU-Kommission hatte im Februar zwar einen Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz vorgelegt. Dieser enthält jedoch noch viele Schlupflöcher, wie zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen aus Deutschland und Europa kritisierten. In ihrem Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP zu einem „wirksamen EU-Lieferkettengesetz“ bekannt.

Bisher sieht es so aus, dass demnächst mehr Blutkohle aus Kolumbien, Flüssig-Gas aus Katar oder Schweröl aus Uganda nach Deutschland kommt, ohne dass der Schutz indigener Gruppen, der Natur und der Menschenrechte gewährleistet ist.

Zwar unterstützen die Gruppen der Initiative Lieferkettengesetz die beschlossenen Importstopps von Rohstoffen aus Russland – die Leidtragenden dürften aber nicht Menschen und Umwelt in den neuen Lieferländern werden.

Das es dazu kommen wird, ist absehbar. So will Deutschland, um russisches Erdöl zu ersetzen,  die Importe aus anderen Ländern steigern. Herkunftsländer wie Nigeria, Kasachstan oder die Vereinigten Arabischen Emirate sind jedoch für schwere Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen berüchtigt.

Der französische Konzern TotalEnergies plant zudem Erdölbohrungen und Pipelines in ökologisch hochsensiblen Regionen in Uganda und Tansania. Die weltweit längste beheizte Schwerölpipeline soll durch Schutzgebiete gebaut werden. Um Nickelimporte zu ersetzen, suchen Unternehmen Ersatz aus Indonesien und den Philippinen. In beiden Ländern sind Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen beim Abbau von Nickel weithin bekannt.

"Ein Embargo für russisches Öl darf nicht dazu führen, dass wir im Jahr 2022 fossile Megaprojekte wie dieses weiter vorantreiben und für Jahrzehnte unsere Abhängigkeit zementieren", fordert Antje von Broock vom BUND. Stattdessen müsse ein EU-Lieferkettengesetz Erdölunternehmen dazu verpflichten, Risiken für Mensch und Umwelt zu minimieren und ihr Geschäftsmodell in Einklang mit dem 1,5°-Ziel des Pariser Übereinkommens zu bringen.

Dazu müssten Unternehmen ihren Energie- und Rohstoffverbrauch drastisch senken und einen Beitrag zur Rohstoffwende leisten. Das würde jedoch einen massiven Umbau der fossilistischen Wirtschaft hin zu einer zirkulären, suffizienten und damit gerechteren nötig machen.

Der wirksame Schutz von indigenen Ressourcen wäre der wichtigste erste Schritt dahin.

Mehr zum Thema in den factory-Magazinen Vielfalt, Klimaneutral und Change – und in den entsprechenden Online-Themenbereichen.

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