Klimaneutral
Wie Unternehmen wirklich klimaneutral werden
Er ist attraktiv und zeugt von Zukunftsorientierung: Klimaneutralität ist derzeit als Begriff im Marketing von Unternehmen und Produkten überaus populär. Immer mehr große aber auch mittlere und kleine Unternehmen nennen Neutralitätsziele, bezeichnen sich als klimaneutral oder verkaufen ihre Produkte unter Nutzung dieses Labels. Doch es ist fraglich, ob das Konzept der Klimaneutralität tatsächlich zu echtem Klimaschutz führt.
Von Nicolas Kreibich
Als am 12. Dezember 2015 in Paris der Hammer fiel und insgesamt 196 Staaten gemeinsam das Übereinkommen von Paris verabschiedeten, wurde nicht nur ein neuer Bezugsrahmen für die internationale Klimapolitik etabliert, sondern auch ein ambitioniertes Langfristziel festgelegt: Die globale Gemeinschaft einigte sich darauf, „in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken (…) herzustellen“ (Art. 4.1 Paris Agreement).
Damit war das Ziel der Treibhausgasneutralität auf der obersten politischen Ebene angekommen. Viele Staaten griffen dieses Konzept in ihrer nationalen Zielsetzung auf. Mittlerweile haben über 130 Länder ein ähnliches Ziel definiert, in einigen Staaten ist es sogar gesetzlich festgeschrieben. Darunter auch Deutschland, das bis zum Jahr 2045 Netto-Treibhausneutralität erreichen möchte.
Inzwischen haben auch Unternehmen das Konzept der Klimaneutralität bereitwillig aufgenommen. In einer 2021 durchgeführten Untersuchung des Wuppertal Instituts stellten wir fest, dass sich bereits fast 500 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von jeweils über einer Milliarde US-Dollar ein solches Ziel gesetzt haben. Und beinahe wöchentlich kommen neue Unternehmen hinzu. Zusammengenommen verfügen diese über einen Jahresumsatz von 16 Trilliarden US-Dollar, das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt Chinas.
Diese Entwicklung ist zunächst einmal zu begrüßen. Sie ist nicht nur Ausdruck eines gesteigerten Bewusstseins der Privatwirtschaft für die Klimakrise, sondern zeigt auch, dass Unternehmen sich zunehmend Ihrer Verantwortung stellen. Zugleich stellt sich die Frage, ob die jetzige Nutzung des Konzepts der Klimaneutralität durch Unternehmen in der Lage ist, als handlungsleitende Zielvorgabe zu dienen und den – von unternehmerischer Seite – erforderlichen Anteil am gesamtgesellschaftlichen Wandel anzustoßen. Immerhin wäre die ideale, zukunftsfähige Bilanz dann die: Klimaneutrale Unternehmen stellen klimaneutrale Produkte und Dienstleistungen her, die die Konsument*innnen klimaneutral nutzen können. Das Ergebnis hieße globale Klima- bzw. Treibhausgasneutralität.
Zur Zeit muss sich das Konzept der Klimaneutralität von Unternehmen insbesondere an zwei Dingen messen lassen: Kann es Unternehmen als Orientierung dienen, um eine progressive Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels einzunehmen? Und kann es Konsum- und Investitionsentscheidungen von Kund*innen und Anleger*innen positiv beeinflussen, so dass verantwortlich handelnde Unternehmen belohnt werden?
Kompensation: fester Bestandteil und Pferdefuß
Durch die Übertragung des Konzepts der Klimaneutralität auf Unternehmen ändert sich der Bezugsrahmen grundlegend vom globalen Klimasystem hin zu einzelnen Wirtschaftseinheiten. Unternehmen haben nicht die globale Balance von Treibhausgasemissionen und die Aufnahme von Treibhausgasen durch Senken wie Wälder und Ozeane vor Augen, wenn sie Klimaneutralität für sich als Ziel definieren. Sie streben vielmehr eine ausgeglichene Balance ihrer unternehmerischen Emissionen an.
Und da nur die wenigsten Unternehmen ihre Emissionen vollständig eliminieren können, spielt die Kompensation von Emissionen hier unweigerlich eine zentrale Rolle. So lassen sich mit dem Kauf von Emissionszertifikaten oder der Investition in Klimaschutzprojekte die Emissionsreduktionen externer CO2-Produzenten von der eigenen CO2-Produktion abziehen – und der Klimagasausstoß so „kompensieren“ bis zur ausgeglichenen Bilanz, der Netto-Null.
Die Angabe der so erreichten Klimaneutralität sagt aber zunächst einmal nichts über das Verhältnis zwischen eigenen Emissionen und zugekauften Emissionsreduktionen aus. Ein Unternehmen, das durch Energie- wie Ressourceneffizienzmaßnahmen, die Umstellung auf Erneuerbare Energien und weitere Klimaschutzmaßnahmen seine Emissionen erheblich reduziert hat, bevor es ergänzend Klimaschutzzertifikate zur Kompensation nutzt, ist ebenso „klimaneutral“ wie ein Unternehmen, das seine Klimaneutralität ausschließlich durch den Zukauf von Zertifikaten erreicht hat. Das Konzept der Klimaneutralität ist bislang nicht in der Lage, das unterschiedliche Engagement der beiden Unternehmen angemessen bewerten zu können.
Mittlerweile besteht allerdings Einigkeit darüber, dass die Nutzung von Klimaschutzzertifikaten nur eine ergänzende Rolle zu eigenen Reduktionen spielen kann. Das lange geltende Paradigma, dass es für das Klima unerheblich sei, wo auf der Welt eine Tonne CO2 eingespart wird, wird somit zumindest eingeschränkt.
Ein Neutralitätsziel, das ausschließlich durch den Zukauf von Klimaschutzzertifikaten erreicht wird, ist zudem nicht kompatibel mit den Erfordernissen des Übereinkommens von Paris: Die breitflächige Anwendung dieses Ansatzes zur Erreichung der Klimaziele würde schnell an technische und planetare Grenzen stoßen. Daher sollen nur tatsächlich unvermeidbare Emissionen ausgeglichen werden.
Doch was sind unvermeidbare Emissionen? Diese so genannte Unvermeidbarkeit kann sowohl technisch als auch ökonomisch begründet sein: So fallen in einigen Sektoren und Prozessen Treibhausgasemissionen an, für deren Vermeidung es bisher keine technische Lösung gibt. Dies gilt beispielsweise für die Landwirtschaft oder den Flugverkehr.
Emissionen können aber auch aus ökonomischer Sicht unvermeidbar sein, wenn ihre Vermeidung zu unverhältnismäßig hohen Kosten führen würden. Hierdurch wird klar: Welche Emissionen als unvermeidbar angesehen werden sollten, ist äußerst schwierig festzulegen und von Sektor zu Sektor unterschiedlich. Zudem ändert sich die Unvermeidbarkeit von Emissionen im Laufe der Zeit durch den technologischen wie auch sozialen Fortschritt.
Doch nicht nur die Beantwortung der Frage, für welche Emissionen Kompensation genutzt werden darf, bringt große Herausforderungen mit sich. Auch das Sicherstellen der Qualität der genutzten Zertifikate ist alles andere als trivial.
Die Kompensation nicht vermiedener Emissionen erfolgt in der Regel durch den Zukauf von Zertifikaten aus Klimaschutzprojekten, die meistens in Entwicklungsländern umgesetzt werden. Dabei muss sichergestellt sein, dass jedes Zertifikat tatsächlich für eine vermiedene bzw. gebundene Tonne CO2 steht. Zertifizierungsstandards wie der „Gold Standard“ arbeiten seit fast zwei Jahrzehnten daran, mittels detaillierter Vorgaben und Prüfverfahren sicherzustellen, dass die Projekte einen tatsächlichen Mehrwert für das Klima erbringen.
Neben dem Klimaschutzeffekt müssen die Projektdurchführer auch die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Projekte im Auge behalten, um Synergien zu fördern und negative Effekte zu vermeiden. Dazu setzen die Zertifizierungsstandards verschiedene Schwerpunkte und nutzen unterschiedliche Verfahren, um die Qualität der Zertifikate sicherzustellen.
Die Klimaschutzwirkung mancher, insbesondere großskaliger Investitionsprojekte ist zweifelhaft, und kann zum Teil sogar kontraproduktiv sein. So binden beispielsweise schnellwachsende Waldplantagen das CO2 nur für einen gewissen Zeitraum. Dauerhaft reduziert wären die Emissionen nur, würden sie unterirdisch gelagert oder unschädlich gemacht, was technisch und wirtschaftlich aufwändig ist. Schlecht geführte Plantagenprojekte können sogar zu Mehremissionen führen.
Zudem gibt es immer wieder Fälle, bei denen für derartige Klimaschutzprojekte indigene Gruppen vertrieben werden oder die Nutzung örtlicher Lebensräume ohne Ausgleich eingeschränkt wird. Ersetzen Monokulturen dann noch klimaschützende Artenvielfalt, wird das Ganze vollends absurd.
Um solche Fehlentwicklungen zu vermeiden, haben Zertifizierungsstandards detaillierte Vorgaben und Verfahren eingeführt. Doch auch bereits fest etablierten Standards sind unter dem Übereinkommen von Paris mit einer zusätzlichen Herausforderung konfrontiert: der Gefahr der Doppelzählung. Denn anders als das Kyoto-Protokoll verpflichtet das Übereinkommen von Paris alle Länder zum Klimaschutz und jedes Land muss sich ein eigenes Klimaschutzziel setzen
Grundsätzlich tragen alle Emissionsminderungen zur Umsetzung dieses Ziels bei. Wird aber nun ein Teil der Minderungen exportiert, beispielsweise in Form von Klimaschutzzertifikaten, stellt sich die Frage, inwiefern das Verkäuferland diese Exporte in seiner Bilanz berücksichtigen muss.
Auch Unternehmen müssen „robust“ rechnen
Für den Handel von Minderungen zwischen zwei Staaten muss eine Doppelzählung ausgeschlossen werden. Nutzt das Käuferland die Minderungen, um sein Klimaschutzziel zu erreichen, muss das Verkäuferland die entsprechende Menge an Emissionen auf die eigene Emissionsbilanz aufschlagen. Das Verkäuferland kann die Minderungen also nicht nutzen, um sein eigenes Klimaziel zu erreichen.
Ob diese so genannte „robuste“ Verrechnung auch notwendig ist, wenn die Zertifikate von Unternehmen zur Erfüllung freiwilliger Ziele wie Klimaneutralität genutzt werden, ist nicht abschließend geklärt. Viele Stakeholder, darunter auch die deutsche Bundesregierung, setzen sich jedoch für eine solche robuste Verrechnung ein, um eine Doppelzählung auch dann zu verhindern, wenn die Zertifikate von Privatakteuren genutzt werden.
Diese Position ist nachvollziehbar, denn auch aus Sicht von Unternehmen und Verbraucher*innen macht es durchaus einen Unterschied, ob die für die eigene Klimaneutralität genutzte Minderung zugleich auch von einem Land zur Umsetzung seines nationalen Klimaschutzziels verwendet wird oder nicht.
Zertifikate, die zur Umsetzung von unternehmerischen Klimaneutralitätszielen genutzt werden, sollten daher robust verrechnet werden. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die robuste Verrechnung mit technischen und auch politischen Herausforderungen verbunden ist: Zum einen steht die Infrastruktur zur Umsetzung noch nicht zur Verfügung. Zum anderen werden Länder aller Voraussicht nach zögerlich sein, Minderungen bilanziell zu exportieren, da dies die Umsetzung ihrer nationalen Klimaschutzziele erschweren könnte.
Trotz dieser Herausforderungen führt aber dennoch kein Weg an der robusten Verrechnung von Klimaschutzzertifikaten vorbei, wenn Unternehmen diese für ihre Klimabilanz nutzen wollen.
Mehr Transparenz durch einheitliche Vorgaben?
Auch wenn klar ist, dass Kompensation bei den meisten Unternehmen ein zentraler Schritt auf dem Weg zur eigenen Klimaneutralität ist – das genaue Ausmaß der geplanten Nutzung von Klimaschutzzertifikaten bleibt häufig intransparent. Denn insgesamt schließen nur die wenigsten Firmen den Ausgleich von Emissionen explizit aus. Häufig machen sie hierzu gar keine Angaben.
Überhaupt mangelt es bei den von den Unternehmen kommunizierten Zielen an Transparenz. Denn die von ihnen vorgelegten Ziele selbst sowie die Strategien für deren Erreichung sind höchst uneinheitlich: So unterscheiden sie sich hinsichtlich des Ziel- und Ausgangspunktes und sehen häufig keine oder nur unklare Zwischenziele vor.
Erhebliche Unterschiede gibt es auch bei den von den Zielen abgedeckten Emissionsquellen. So verzichten beispielsweise viele Unternehmen auf die vollständige Einbeziehung ihrer Wertschöpfungskette oder berichten nur teilweise darüber.
Verbindliche Vorgaben zur Zieldefinition und eine einheitliche Berichterstattung über den Fortschritt der Umsetzung könnten hier zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit führen. Bewertungsstandards wie der kürzlich von der Science-based Targets Initiative (SBTi) vorgestellte Net-Zero Standard tragen dazu bei, dass die Ziele von Unternehmen leichter nachzuvollziehen sind.
Die Methoden müssten jedoch weiter verbessert werden, um die in Analysen identifizierten Schwachstellen bei der Bewertung von Zielen zu beheben. Neben privatwirtschaftlichen Initiativen treten zunehmend staatliche Akteure auf den Plan und entwickeln Richtlinien, damit sich Unternehmen robuste Ziele setzen, die mit Maßnahmen hinterlegt sind.
Transparente Kommunikation? Fehlanzeige
Mehr Einheitlichkeit und Transparenz in der Zieldefinition ist auch bei der zweiten maßgeblichen Funktion von Klimaneutralität nötig, nämlich der positiven Beeinflussung von Konsum- und Investitionsentscheidungen. Denn bisher verwenden Unternehmen in ihrer Kommunikation viele unterschiedliche Begriffe, erläutern jedoch selten, was sie darunter genau verstehen.
Doch tatsächlich sind die bilanziellen Unterschiede zwischen Klimaneutralität, Treibhausgasneutralität und CO2-Neutralität mitunter groß, für Laien jedoch nicht ohne weiteres zu erkennen.
Dass erhebliche Unterschiede bestehen, zeigt das Beispiel Flugverkehr: Flugzeuge emittieren nicht nur große Mengen an CO2, sondern setzen auch andere Stoffe wie Stickoxide, Wasserdampf und Ruß in großer Höhe frei. Das führt dazu, dass der gesamte Beitrag des Flugverkehrs zur Erderwärmung in etwa drei Mal so hoch ist wie der Beitrag der CO2-Emissionen alleine.
Während das Konzept der CO2-Neutralität streng genommen nur die ausgestoßene Menge an Kohlenstoffdioxid berücksichtigt, müssten bei der Nutzung des Konzepts Klimaneutralität dagegen die gesamten Auswirkungen auf das Klima einbezogen werden.
Es herrscht also ein erheblicher Mangel an Transparenz und Vergleichbarkeit, der es Konsument*innen und Investoren erschwert, das unternehmerische Engagement in Sachen Klimaschutz bei ihren Investitions- oder Konsumentscheidungen zu berücksichtigen.
Weiter erschwert wird dies durch den Umstand, dass Klimaneutralität nicht nur als unternehmerische Zielvorgabe genutzt, sondern zum Teil auch zur Beschreibung eines bereits erreichten Zustands verwendet wird. Bezeichnet ein Unternehmen sich oder seine Produkte als klimaneutral, besteht damit stets die Gefahr, dass Konsument*innen daraus schließen, ihr Konsum habe „unterm Strich“ keine Auswirkungen auf das Klima.
Diese Schlussfolgerung ist in dem Konzept als solchem angelegt, indem es den Begriff der Neutralität enthält. Sogar die Unterscheidung, ob die Klimaneutralität bereits erreicht wurde oder als Ziel für die Zukunft festgelegt wurde, ist häufig schwierig.
Wie weiter: Reform vs. Revolution
Angesichts der identifizierten Schwachstellen des Konzepts der Klimaneutralität stellt sich also die Frage, ob sich diese unter Beibehaltung des Konzepts beheben lassen, oder man das Konzept grundsätzlich in Frage stellen muss.
Hierauf eine Antwort zu finden fällt nicht leicht, denn es steht einiges auf dem Spiel. Der Begriff der Klimaneutralität hat in der Wirtschaft eine ungeahnte Dynamik entfaltet und Unternehmen dabei unterstützt, die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben. Klimaneutralität nun als Konzept zu verteufeln könnte bedeuten, das Kind mit dem Bade auszuschütten und das freiwillige Klimaschutzengagement zum Erliegen zu bringen.
Schließlich sind nicht alle der identifizierten Herausforderungen mit dem Konzept der Klimaneutralität als solchem verbunden. So ist die fehlende Transparenz der Ziele nicht dem Konzept anzulasten. Vielmehr mangelt es hier an entsprechenden Vorgaben, die Unternehmen zu einer einheitlichen Offenlegung ihrer Informationen verpflichten. Initiativen wie die Science-Based Targets Initiative (SBTi) könnten, wie erwähnt, hier zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit der Ziele beitragen.
Anders sieht es bei der Nutzung von Klimaneutralität als Claim in der Werbung und der Unternehmenskommunikation aus. Die Gefahr, dass Konsument*innen die Klimaneutralitätsversprechen falsch interpretieren, ist sozusagen Teil des Konzepts. Staatliche Vorgaben wie jene in Frankreich, die zur Offenlegung bestimmter Informationen wie dem Anteil der durch Kompensation ausgeglichenen Emissionen verpflichten, können dieser Gefahr entgegenwirken. Vollständig beseitigen lässt sie sich damit jedoch nicht.
Auch die Probleme und Herausforderungen, die mit der Kompensation von Emissionen einhergehen, lassen sich nicht im Rahmen der jetzigen Nutzung des Konzepts der Klimaneutralität überwinden. Denn die Kompensation der eigenen Emissionen stellt stets eine Alternative dar, mit der die unternehmenseigenen Klimaschutzmaßnahmen konkurrieren müssen.
Bei Preisen von unter fünf Euro pro vermiedener Tonne CO2 war die Kompensation in der Vergangenheit häufig günstiger als die Umsetzung eigener Maßnahmen innerhalb des Unternehmens. Dies erschwerte es Nachhaltigkeitsbeauftragten, Unterstützung für unternehmenseigenen Klimaschutz zu gewinnen.
Dieses Missverhältnis wird sich jedoch aller Voraussicht nach in Zukunft ändern. Denn qualitativ hochwertige Emissionsminderungen, die mit dem Klimaschutzziel des Herkunfslandes verrechnet wurden, werden deutlich teurer. Sie müssen schließlich in Maßnahmen erzeugt werden, deren Umsetzung dem Geberland zu teuer oder zu aufwändig ist.
Noch ist ungewiss, inwiefern Entwicklungsländer überhaupt dem Export solcher Zertifikate zustimmen werden. Für Unternehmen wird es daher bis auf weiteres schwierig bleiben, solche Einheiten zu kaufen. Zugleich besteht in Entwicklungsländern weiterhin ein erheblicher Bedarf an Finanzmitteln, um die eigenen Klimaschutzziele umzusetzen. Ein unternehmerisches Klimaschutzkonzept, das an der unternehmenseigenen Klimaneutralität orientiert ist, kann diese Mittel allerdings nicht bereitstellen.
Global denken, lokal handeln
Daher gilt es, über die eigene bilanzielle Klimaneutralität hinaus zu denken. Unternehmen sollten sich dem Ziel verschreiben, ihren Beitrag zur globalen Klimaneutralität zu leisten und die Umsetzung des Übereinkommens von Paris voranzutreiben. Erste Ansätze, wie ein solches Engagement aussehen könnte, gibt es bereits.
Der von WWF im Jahr 2020 entwickelte “Blueprint for Corporate Action on Climate and Nature” sieht neben der Umsetzung ambitionierter eigener Minderungen auch die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen jenseits der Unternehmensgrenzen vor. Die Höhe der Finanzmittel ist dabei an einen internen CO2-Preis gekoppelt. So eröffnet sich ein sehr viel breiteres Spektrum an Möglichkeiten des Engagements.
Neben der Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen mit unmittelbarem Impact können auch langfristig angelegte Maßnahmen gefördert werden, die größere transformative Effekte erzielen. Die breite Akzeptanz für einen solchen Ansatz gilt es nun aufzubauen.
Ein erster Schritt in diese Richtung besteht darin, sich von einem Konzept der Klimaneutralität zu lösen, das sich nur innerhalb der Unternehmensgrenze abspielt. Wir sollten beginnen, Klimaneutralität als globales Ziel zu begreifen, an dem wir unser Handeln ausrichten müssen. Eigene Emissionsminderungen bis hin zur nahezu vollständigen Vermeidung müssen an erster Stelle stehen. Diese Maßnahmen sollten begleitet werden von Investitionen in nachhaltige Klimaschutzmaßnahmen jenseits der eigenen Unternehmensgrenzen.
Nicolas Kreibich arbeitet als Senior Researcher im Forschungsbereich Internationale Klimapolitik am Wuppertal Institut. In seiner Arbeit befasst er sich mit den marktbasierten Klimaschutzinstrumente des Übereinkommens von Paris, dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt sowie unternehmerischem Klimaschutz.
Literatur
- Day, Thomas, Silke Mooldijk, Sybrig Smit, Eduardo Posada, Frederic Hans, Harry Fearnehough, Aki Kachi, Carsten Warnecke, Takeshi Kuramochi und Niklas Höhne (2022): Corporate Climate Responsibility Monitor 2022.
- Fearnehough, Harry, Aki Kachi, Silke Mooldijk, Carsten Warnecke und Lambert Schneider (2020): Future role for voluntary carbon markets in the Paris era - Final report (Climate Change No. 44/2020) (p. 94).
- Kreibich, Nicolas, Jens Teubler, Markus Kühlert, Nadine Braun und Victoria Brandemann (2021): Klimaneutralität in Unternehmen: zehn Empfehlungen für die Umsetzung, Zukunftsimpuls (Vol. 20). Wuppertal: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.
- SBTi (2021): SBTi Corporate Net-Zero Standard. Science-based Targets Initiative.
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