Ende August waren es noch 35.000 – bis zum 7. September kamen dann noch fast 20.000 dazu. Und so konnten am 16. September 2024 exakt 54.584 Kläger*innen die so genannte "Zukunftsklage" für besseren Klimaschutz mit einreichen.
Die Zukunftsklage, getragen von Greenpeace und Germanwatch, ist inzwischen die dritte Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zum unzureichenden Klimaschutz der Bundesregierung erhalten hat.
Dabei geht es um nicht weniger als die Grundrechte, die die deutsche Verfassung garantiert. Bereits 2021 hatte das Bundesgericht einer solchen Beschwerde stattgegeben und die damalige Bundesregierung von CDU und SPD hatte die Ziele im Klimaschutzgesetz verschärfen müssen.
Hohe Wahrscheinlichkeit konkreter Vorgaben
Das dürfte aller Voraussicht auch wieder passieren – wenn die Verfassungsrichter*innen 2025 ihren Beschluss bekannt geben. Muss oder will diesen noch die Ampelkoalition vor der Bundestagswahl 2025 umsetzen, wird es spannend.
Befasst sich erst die nächste Bundesregierung damit, steht sie vor den gleichen Schwierigkeiten: Schon jetzt fordern Autokonzerne wie Volkswagen die Aussetzung der von der EU seit langem immer wieder reduzierten Flottengrenzwerte für Emissionen und die Rücknahme des Stops für Neuzulassungen von Verbrenner-Pkw ab 2035.
Und die Stahlindustrie will ebenfalls Arbeitsplätze abbauen, auch hier wegen Absatzschwierigkeiten. Dabei sind die Produktionsrückgänge aufgrund der hohen Energiepreise die Faktoren, die 2023 zu den hohen Emissionsreduktionen geführt haben – und weniger das Innovationsniveau der deutschen Industrie.
Gegendruck mit Grundgesetz
Der Klimaschutz steht unter Druck – und nicht nur im Mobilitätssektor. Umso wichtiger erscheint daher der Gegendruck mit dem Grundgesetz in der Hand.
Und so ist die eingereichte Verfassungsbeschwerde ist eine von drei Beschwerden, mit der fünf deutsche Umweltverbände gemeinsam mit einzelnen Beschwerdeführer*innen gegen die unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung sowie insbesondere die Abschwächung des Klimaschutzgesetzes (KSG) klagen.
Neben Greenpeace und Germanwatch erheben auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sowie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gemeinsam mit dem Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) jeweils eine Beschwerde.
Der Verfassungsbeschwerde für eine klimagerechte Zukunft hatten sich in rund zehn Wochen erstmals alle in Deutschland lebenden Menschen ab 14 Jahren anschließen können. Die Kläger*innen fordern ein verfassungskonformes Klimaschutzgesetz und Schritte zur CO2-Reduktion im Verkehr.
“Die Bundesregierung verschleppt wirksame und sozial gerechte Klimaschutz-Maßnahmen und verletzt damit Freiheits- und Gleichheitsrechte”, sagt die Rechtsanwältin der Beschwerdeführenden, Roda Verheyen. “Um unsere Grundrechte zu wahren, müssen Emissionsreduktionen rechtzeitig eingeleitet und umgesetzt werden - die Novelle des Klimaschutzgesetzes erreicht genau das Gegenteil.”
Verkehrspolitik im Fokus
Bereits 2021 hatten einige der Beschwerdeführenden in Karlsruhe erstritten, dass Klimaschutz verfassungsrechtlich geboten ist und nicht zu Lasten junger Menschen aufgeschoben werden darf.
Die erfolgreichen Beschwerdeführenden von 2021 klagen daher gemeinsam nun mit 54.584 Menschen erneut gegen die Verletzung ihrer Grundrechte. Sie kritisieren insbesondere das Verkehrsministerium unter Volker Wissing (FDP) dafür, dass es seit 2021 seine Klimaziele verfehlt und schnell wirksame Maßnahmen wie ein Tempolimit verhindert.
Schiebe die Bundesregierung Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr weiterhin auf, würden bereits in den 2030er Jahren harte Einschnitte bis hin zu Fahrverboten für Verbrenner drohen, so Greenpeace und Germanwatch in ihrer Pressemitteilung. Dies zeige eine vergangene Woche von ihnen veröffentlichte Studie des New Climate Institute.
Davon wären vor allem Menschen mit geringem Einkommen betroffen, die in ländlichen Gebieten ohne öffentliche Verkehrsanbindung leben oder körperliche Einschränkungen haben.
Verfassunsgericht dürfte 2025 öffentlich verhandeln
Dass die Aussicht auf genauere Vorgaben für Maßnahmen durch das Gericht groß ist, zeigt ein Blick zurück:
2021 hatte das Verfassungsgericht noch keine genauen Vorgaben gemacht, sondern lediglich eine Fortschreibung der CO2-Reduktionsziele über das Jahr 2030 hinaus verlangt – dem konnten Bundesregierung und Bundestag mit der Novelle des KSG schon innerhalb weniger Wochen nachkommen.
Aber damals habe sich Karlsruhe Damals vor allem für künftige Auseinandersetzungen in Stellung gebracht, schreibt Christian Rath in der taz. Das Bundesverfassungsgericht habe zum einen Klimaklagen ohne Nachweis einer gegenwärtigen Belastung ermöglicht. So können Kläger*innen sich auf künftige Freiheitsverluste durch verspätete Klimaschutzmaßnahmen beziehen.
Zudem habe Karlsruhe 2021 den Klimaschutz zum Staatsziel erklärt und das von der Wissenschaft berechnete nationale CO2-Budget zum verfassungsrechtlichen Maßstab gemacht.
Dann aber hätten sich die Richter*innen erstmal zurückgehalten, um die Politik arbeiten zu lassen, so Rath: Eine Klimaklage gegen die Bundesländer lehnten sie als unzulässig ab, eine Klage auf Verschärfung der Klimaziele ebenfalls. Mit der Ablehnung einer Klage auf sofortige Einführung eines Tempolimits hätten sie den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont. Doch nun sei es wohl mit der Zurückhaltung vorbei, so die taz.
Rath vermutet, dass es wohl eine mündliche Verhandlung geben werde, auch wenn das bei Verfassungsbeschwerden nicht üblich ist: Als Ausgleich für den Klima-Beschluss 2021, den sie wegen der Corona-Pandemie nicht öffentlich verhandelte und der deswegen umso überraschender wirkte.
Grundrechte wahren und Kosten sparen
Weil eine wirksame Emissionswende im Verkehr nicht nur Grundrechte schützen würde, sondern auch weniger kostet, müsste eine pragmatische Haushaltspolitik eigentlich entsprechende Maßnahmen für mehr Investitionen in öffentlichen Infrastrukturausbau ergreifen können.
Und sie dürfte auch auf Einnahmenerhöhungen z. B. durch Abbau umweltschädlicher Subventionen und durch Wiedereinführung einer Vermögensbesteuerung nicht verzichten können, statt wie derzeit aus haushalterischer Not bei der Bahninfrastruktur zu kürzen. Immerhin steht eine Vermögensteuer für Superreiche sogar bei den G20-Gipfeln auf der Agenda.
Zudem kann sie auch auf eine gerechtere Vermögensverteilung nicht verzichten, denn die Krisenbewältigung und Zustimmung dazu hängt auch von der materiellen Wohlstandsverteilung ab. Das zeigen Studien wie zuletzt zur CO2-Bepreisung.
Nimmt sie darauf keine Rücksicht, hat sie auch mit einer populistischen Antimigrationspolitik keine Chance, den Zulauf zu nationalistischen, umwelt- und wohlstandsfeindlichen Positionen zu verhindern.
Mehr zum Verständnis von Freiheit im gleichnamigen Magazin oder Themenbereich, mehr zu dem, was längst im Verkehrsbereich hätte passieren müssen und auch die Entscheider*innen in der Autoindustrie hätte sehen müssen im factory-Magazin Mobilität.