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Neues Klimaschutzgesetz ersetzt Sofortmaßnahmen bei Verkehr und Gebäuden

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 15. Juli 2024 die zweite Novelle des Klimaschutzgesetzes (KSG) unterzeichnet. Damit tritt das Gesetz genau zu dem Zeitpunkt in Kraft, an dem nach dem bisher gültigen KSG wegen nicht erfüllter Klimaschutzziele Sofortmaßnahmen in den Sektoren Verkehr und Gebäude fällig geworden wären. Auch gegen das neue KSG sind Klagen angekündigt.

Bis zuletzt hatten verschiedene Umweltverbände von Greenpeace bis Deutsche Umwelthilfe darauf gehofft, dass Bundespräsident Steinmeier (SPD) die umstrittene Neufassung des KSG nach wochenlanger Prüfung nicht mit seiner Unterschrift in Kraft setzt. Für den Fall der Ausfertigung der Gesetzesänderung hatten sie Klagen wegen der unzureichenden Klimaschutzgebung der Bundesregierung angekündigt.

Nun tritt das neue Gesetz doch und exakt zu dem Zeitpunkt in Kraft, an dem neue Klimaschutz-Sofortprogramme für die Sektoren Verkehr und Gebäude fällig gewesen wären – die die nun überholte aber wegweisende Fassung des KSG von 2021 zum jeweils 15. Juli des Folgejahres der Überschreitung vorschrieb.

Besonders Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) konnte die seitdem gesetzten jährlichen Sektorziele mit seiner Auto- und Verbrenner-orientierten Verkehrspolitik nicht erreichen. Er hatte deswegen auf zügige Änderung des KSG gedrängt und sogar mit Fahrverboten gedroht, falls er nach altem KSG zum schnellen Handeln verurteilt würde.

Nun sind die Sektorziele Vergangenheit, auch wenn die Klimaschutzziele 2030 und 2045 auch in der neuen Novelle die gleichen bleiben. Jetzt bedarf es nur noch übergeordneter Sofortprogramme der gesamten Regierung – und das auch erst, wenn Ziele zwei Jahre in Folge verfehlt werden.

 

“Verfassungswidrigkeit nicht gegeben”

Der Bundespräsident habe das Gesetz im Rahmen seiner Prüfung gemäß Artikel 82 Absatz 1 Grundgesetz (GG) eingehend auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft, teilt das Präsidialamt mit: "Im Mittelpunkt der Prüfung stand die Vereinbarkeit mit den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in dem Klimaschutzbeschluss vom 24. März 2021 (Az. 1 BvR 2656/18) aufgestellt hat. In seiner Prüfung ist der Bundespräsident zu dem Ergebnis gekommen, dass evidente Verfassungswidrigkeit nicht gegeben ist."

Damit ist das “Zweite Gesetz zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes” ausgefertigt und tritt einen Tag nach seiner Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 18. Juli 2024 in Kraft.

So helfe der Bundespräsident nun der Regierung dabei, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und Verkehrsminister Wissing erhalte einen Freifahrtschein für die Klimaschutzlücke von 180 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Verkehrsbereich, beklagt Jürgen Resch, Geschäftsfüher der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die Ampelregierung müsse zudem nach dem neuen Gesetz keine einzige weitere Klimaschutzmaßnahme auf den Weg bringen.

Resch kündigte eine Klage des DUH gemeinsam mit elf jungen Menschen vor dem Bundesverfassungsgericht an – wie seinerzeit vor dem historischen Klimaurteil 2021. "Unsere 200 Seiten Klageschrift sind fertig und werden eingereicht, sobald das Gesetz in Kraft tritt."

 

Mehr Ambition statt Aufweichung gefordert

Update 16.7.24: Der DUH hat am 16. Juli seine weiteren Schritte in den bestehenden und der neuen Klimaklage gegen die Bundesregierung erläutert und die Verfassungsbeschwerde im Volltext veröffentlicht. Denn das in beiden Fassungen des Gesetzes enthaltene zentrale Klimaschutzprogramm der Bundesregierung reiche nach wie vor nicht aus, um das vorgeschriebene Klimaziel 2030 zu erreichen.

Die zweite Novelle würde nun zudem Grundrechte verletzen, es sei in vier Kernpunkten mit dem im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entwickelten "Gebot der intertemporalen Freiheitssicherung unvereinbar". So werde das versprochene Ziel der Klimaneutralität bis 2045 nicht erreicht. Das aktuelle Restbudget von 3,9 Gigatonnen für die Einhaltung der 1,75 Grad Grenze maximaler Erderhitzung wäre nach neuem KSG bereits Anfang 2032 aufgebraucht – 13 Jahre vor dem Erreichen der Treibhausgasneutralität.

Von einem Emissionspfad, der wie vom BVerfG gefordert, „unter Wahrung des verbleibenden Emissionsbudgets zur Klimaneutralität führt“, könne daher keine Rede sein, fasst Klinger zusammen.

Der Verband kündigte an, alle zu den Klimaschutzprogrammen gewonnenen Klimaklagen der DUH auch nach Änderung des Klimaschutzgesetzes in Revisionsverfahren fortzusetzen. Die DUH hat bereits im November 2023 und Mai 2024 mehrere Klimaklagen gegen die Bundesregierung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gewonnen. Die Verfahren hätten trotz der Gesetzesentkernung Bestand. Zudem verklagt der DUH die Bundesregierung vor dem Verwaltungsgericht Berlin wegen der wiederholt viel zu späten Vorlage des Klimaschutzberichts.

“Die Frist zur Veröffentlichung des Klimaschutzberichts ist abgelaufen”, sagte Remo Klinger, der die DUH in den Klimaklagen vertritt. “Wir werden nicht dabei zusehen, dass der Klimaschutzbericht, wie bereits 2023, mit fast einem Jahr Verspätung veröffentlicht wird.” 

 

Verschiebung kommt teuer

"Auch mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes gilt am Ende die einfache Rechnung: Tun Gebäude- und Verkehrssektor weiterhin zu wenig, werden das andere Sektoren langfristig nicht ausgleichen können", sagt Viviane Raddatz, Klimachefin beim WWF Deutschland. "Neben den Folgen fürs Klima drohen dann Strafzahlungen an die EU. Weitere Prokrastination ist für alle letztlich die teuerste Option."

Von Greenpeace kommt ebenfalls entsprechende Kritik. "Die viel zu hohen Emissionen gerade im Straßenverkehr können nicht weiter von anderen Bereichen ausgeglichen werden", erklärt Greenpeace-Verkehrsexpertin Marissa Reiserer. "Dieses zahnlose Klimaschutzgesetz deckt die Untätigkeit des Verkehrsministers und verletzt in der Folge unser aller Grundrechte." Dagegen werde Greenpeace zusammen mit Germanwatch und tausenden Menschen klagen, kündigte sie an.

Mit seiner Unterschrift legitimiere der Bundespräsident gewissermaßen rückwirkend den Rechtsbruch der Bundesregierung beim Klimaschutz, beklagt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). "Deutschland vertagt den Klimaschutz damit weiter in die Zukunft." Das Bundesverfassungsgericht habe 2021 ein klares Urteil gesprochen, doch die Ampel-Koalition verweigere die Umsetzung.

Der BUND klagt mit dem Solarenergie-Förderverein Deutschland und vier Einzelkläger*innen gegen das novellierte Klimaschutzgesetz. Die Kläger*innen hoffen auf eine Anerkennung nach dem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs. Das hatte das Menschenrecht auf staatlichen Klimaschutz in einer Klage gegen die Schweiz bestätigt. Die Schweizer Bundesversammlung ignoriert das Urteil allerdings.

 

Klagen und Kosten

Neben dem BUND und dem Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) führen die DUH sowie auch Greenpeace und Germanwatch nun jeweils eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht.

Ende 2023 hatte der BUND zudem vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Recht bekommen, dass die Bundesregierung rasch wirksame Sofortprogramme für Gebäude und Verkehr vorlegen muss. Die Bundesregierung ist dagegen in Revision gegangen.

Der verpflichtende politische Auftrag zu handeln, ist indessen weiterhin gegeben, wie auch der Expertenrat für Klimafragen jüngst wieder unterstrichen hat. Denn obwohl mit der Gesetzesnovelle, die jährlichen Sektorziele entkräftet wurden, ist Deutschland nach der EU-Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing) weiterhin verpflichtet, auch die Ziele der bisher nicht vom Emissionshandel betroffenen Sektoren bis 2030 zu erfüllen. Seit 2023 muss Deutschland bis 2030 die Treibhausgasemissionen in diesem Bereich um 50 Prozent gegenüber 2005 mindern.

Andere Länder, die diese Sektorziele übererfüllen, könnten der Bundesregierung für ihre Zielverfehlungen Emissionszertifikate verkaufen. Doch diese werden knapp und somit ebenfalls teuer für die Staatshaushalte.

Ohne wirksamen Klimaschutz in den Bereichen Gebäude und Verkehr dürften sich also weder in Europa noch in Deutschland die gesetzlichen Klimaziele erreichen lassen. Schnell wirksame und kostengünstige Maßnahmen wie ein Tempolimit will die deutsche Bundesregierung nicht vornehmen, ebensowenig einen über die höhere Besteuerung hoher Vermögen und Einkommen finanzierten wirtschaftlichen Ausgleich für weniger Vermögende, um sie in der Transformation nicht zu überfordern. Dabei ließe sich gerade darüber die Akzeptanz zur kostspieligen weiter aufgeschobenen Wärmewende verbessern.

Warum und wie eine solche Politik gestaltet sein muss, können Sie im factory-Magazin Design lesen. Und im factory-Magazin Wohlstand erläutern verschiedene Autor*innen, warum wir für die Bewältigung der Polykrise ein neues Verständnis von Wohlstand benötigen. Und die richtigen Rezepte gibt es auch noch dazu.

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