Die Novellierung des bundesdeutschen Klimaschutzgesetzes 2021 war ein wichtiger Meilenstein für den Klimaschutz. Vor fast genau zwei Jahren, am 24. März 2021, hatte das Bundesverfassungsgericht die Festlegung von Klimaschutzzielen nach 2031 eingefordert, um die Grundrechte zukünftiger Generationen zu sichern. Nun steht nach den langen Verhandlungen des Koalitionsausschusses der Regierung eine erneute Änderung an, die landesweit kritisch diskutiert wird.
Denn nachdem die Treibhausgasemissionen 2022 in Deutschland nur um 1,9 Prozent gesunken waren, und einzelne Sektoren wie Gebäude und Verkehr erneut ihre Ziele verfehlt hatten, die Verkehrsemissionen wiederholt gestiegen waren, sollte der Koalitionsausschuss neue Leitlinien für eine Beschleunigung des Klimaschutzes aushandeln.
Schließlich müsste Deutschland seine Treibhausgasemissionen eigentlich jährlich um mindestens sechs Prozent senken, um Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Und der Weltklimarat IPCC hatte in der Zusammenfassung seines sechsten Sachstandsberichts nocheinmal auf die Dringlichkeit schnellen Handelns hingewiesen – um die nach wie vor vorhandene Möglichkeit zur Verschärfung der Klimawandelfolgen nicht zu verspielen. Was Deutschland tun müsste, um schneller Emissionen auch in den "Problem-Sektoren" zu senken, ist eigentlich deutlich klar.
Ziel des Koalitionsausschusses sollte also die Modernisierung und Beschleunigung des Klimaschutz sein. Die Ergebnisse stoßen besonders bei Umwelt- und Naturschutzorganisationen auf massive Kritik, aber auch bei Wissenschaftler*innen. Auch der von der Bundesregierung eingerichtete Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hat die Beschlüsse diskutiert.
"Modernisierung und Beschleuigung – aber bitte zukunftsweisend" beschreibt der RNE die geplante Reform. So erkennt der ehemalige DGB-Vorsitzende und neue Ratsvorsitzende Reiner Hoffmann an, dass die Bundesregierung gemeinsame Leitlinien für die Beschleunigung der Energiewende und des Infrastrukturausbaus verabschiedet habe. Damit der Naturschutz dabei nicht wie angekündigt zurückgefahren werde, will der Rat seine schon Ende 2022 vorgelegten Vorschläge einbringen, wie man Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen und gleichzeitig auch den Naturschutz stärken könne.
Kritisch sieht der Rat hingegen die im Papier der Koalitionäre angekündigten Änderungen an den Sektorzielen des Klimaschutzgesetzes, heißt es in der Pressemitteilung des RNE. „Das 2021 auf Druck des Bundesverfassungsgerichts novellierte Klimaschutzgesetz sieht für alle Sektoren ambitionierte Zwischenziele vor, um das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 zu erreichen", so die stellvertretende Ratsvorsitzende Gunda Röstel. "Alle Sektoren werden sich anstrengen müssen, die jeweiligen Zwischenziele zu erreichen. Es erscheint uns in dieser Situation nicht denkbar, einen Sektor aus seinen Verpflichtungen zu entlassen. Auch in Zukunft müssen alle Sektoren, auch der Verkehrssektor, ihren Beitrag leisten. Das beispielhaft richtungsweisende Klimaschutzgesetz Deutschlands sollte erhalten bleiben.“
Und offenbar kennt auch der RNE die Bedeutung der sozialen Frage für die Lösung der Klimakrise bzw. der Mehrfachkrise. „Der Beschluss, die Transformation künftig stärker über den Emissionshandel und damit über den Markt statt über das Klimaschutzgesetz zu steuern, birgt Risiken. Durch einen solchen Ansatz werden die Energiepreise steigen", sagt Reiner Hoffmann. "Das wird insbesondere sozial schwächere Gruppen treffen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden." Der RNE werde die Bundesregierung hier eng begleiten, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer gerechten Transformation sicherzustellen, kündigt er an.
Der Einsatz bestimmter neuer Technologien und auch neuer innovativer Lösungen können aus Sicht des RNE eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität spielen, so Hoffmann. „Neue Technologien allein reichen aber nicht. Benötigt werden gleichzeitig auch neue Geschäftsmodelle, um die wirtschaftlichen Chancen zu nutzen, die auch mit der Transformation einhergehen können.“
Insgesamt erscheint dem RNE der Ansatz des Koalitionsausschusses zu stark technologisch orientiert. Der Nachhaltigkeitsrat weist darauf hin, dass die notwendigen Veränderungen auch mit sozialen Härten für einzelne Bevölkerungsgruppen verbunden sein werden, wenn nicht politisch gegengesteuert wird.
Reiner Hoffmann: „Diese ungleichen Belastungen müssen aber von Anfang an durch sozial differenzierte Maßnahmen abgefedert werden. Starke Schultern müssen auch einen größeren Teil der Kosten der Transformation tragen.“
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