Dass von der E-Autoförderung zumeist Vermögendere profitieren, Mieter allein den höheren CO2-Preis bei den Heizkosten tragen müssen und Ärmere die geringsten Ressourcenverbräuche haben, aber stärker unter steigenden Umweltkosten leiden, sind nur einige Beispiele für die bisherige Schieflage, wenn es um den notwendigen Wandel geht.
Mit dem Hinweis auf diese Ungerechtigkeiten argumentieren jedoch besonders gern konservative Kräfte, die gegen diesen Wandel sind und von einem "Weiter-so" am meisten profitieren – deren Vertreter*innen diese Instrumente ohne "soziale Abfederung" aber beschlossen haben.
Dennoch stehen die sozialen Ungerechtigkeiten zurecht in der Kritik, denn schließlich geht es bei Nachhaltigkeit um Gerechtigkeit. Und nicht zuletzt das jüngste soziale Nachhaltigkeitsbarometer hatte gezeigt, dass es eine große Zustimmung in der Bevölkerung für die Maßnahmen bei Energie und Verkehr gibt – wenn sie sozial gerecht gestaltet sind. Eben diese Gerechtigkeit garantiert auch den Erfolg von Umweltpolitik.
Dass es für die notwendigen Maßnahmen auch gerechte Lösungen gibt, die eine breite gesellschaftliche Zustimmung vor allem der Ärmeren und weniger Vermögenden geben kann, haben mittlerweile z. B. die Bürgerräte gezeigt. Sie haben im Bereich Demokratie, Außenpolitik und Klima breit getragene Lösungen im Konsens gefunden, die ebenso gerecht wie effektiv sind. Und mit denen des Bürgerrats Klima ließen sich durchaus wikrungsvolle klimapolitische und gesellschaftliche Lösungen zum 1,5-Grad-Ziel schnell erreichen.
Für wirklich substanzielle Schritte zu politisch gerechten Entscheidungen, brauche es daher neue institutionelle Strukturen bzw. bräuchten die etablierten ein "Update". Zu diesem Schluss kommt eine Studie im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Open Society Foundations (OSF).
Diese neuen Strukturen müssten die Zusammenarbeit insbesondere zwischen den Ressorts Umwelt und Soziales festigen, empfehlen die Wissenschaftler*innen in einem Politikbriefing. Sie raten der Politik, das seit 2019 bestehende Klimakabinett in ein umfassendes Transformationskabinett weiterzuentwickeln. Und dieses sollte sich von wissenschaftlich begleiteten Bürgerräten und Kommissionen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen beraten lassen. Zudem sollten Gewerkschaften, Sozial-, Wohlfahrts- und Umweltverbände übergreifende Verständigungsprozesse auf den Weg bringen. So könne die Just Transition – ein sozial gerechter ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft – gelingen.
Just Transition: Gesellschaft nachhaltig und gerecht umbauen
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte die „Just Transition“ zum Leitbild der Klimapolitik erklärt. Im Ergebnis war sie für die Bevölkerung allerdings meist nur wahrnehmbar durch Fördermilliarden für die Braunkohletagebaugebiete und Subventionen für Elektroautos und ökologisch ineffiziente Hybridfahrzeuge.
Auch der Ansatz, Einnahmen aus Ökosteuern so zurückzuzahlen, dass Ärmere besonders profitieren, wurde diskutiert – aber nicht umgesetzt. Dabei gibt es von vielen Instituten und Thinktanks Vorschläge, wie auch ein steigender CO2-Preis bzw. eine Steuer Ärmere und Vermögende nicht benachteiligt und trotzdem umweltschonendere Produkte und Dienstleistungen für alle Gruppen attraktiv macht.
In ihrem Papier „Transformation? Ja, aber gerecht! Neue institutionelle Strukturen für eine Just Transition“ schlagen die Forschenden vom IÖW verschiedene Gremien und Strategien vor, um die Just Transition im institutionellen Gefüge Deutschlands zu verankern (Download: www.ioew.de/just-transition).
Bundesregierung muss Zusammenarbeit besser koordinieren
Fünf Ministerien kamen 2019 im Klimakabinett zusammen, um ressortübergreifende Lösungen zu entwickeln: Umwelt, Finanzen, Wirtschaft, Verkehr, Bau und Landwirtschaft. „Wir schlagen vor, das Klimakabinett zu einem Transformationskabinett mit weitreichenden Kompetenzen weiterzuentwickeln“, erklärt IÖW-Transformationswissenschaftler Florian Kern: „Der Staat muss integrierte und wirksame Konzepte erarbeiten, die Ökologie und Soziales verbinden. Und in so einem Transformationskabinett gehört dann etwa auch das Bundesarbeitsministerium auf jeden Fall an den Tisch, das am Klimakabinett bislang nicht beteiligt war.“
Dieses Transformationskabinett soll seine Entscheidungen nicht ‚top down‘ treffen, sondern Bürgerräte und Wissenschaftler/innen in die Entscheidungsvorbereitung mit einbeziehen sowie die vielfältigen Bottom-up-Aktivitäten stärken, insbesondere durch eine langfristige Förderung für die Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Umwelt-, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden. Anders als bei der Kohlekommission in 2018/19 müssen die Beteiligungsverfahren jedoch weg vom Kompromiss des kleinsten gemeinsamen Nenners hin zu zukunftsfähigen Lösungen kommen.
Zivilgesellschaft braucht neue Förderinstrumente
In dem dreijährigen Projekt untersuchten die Forschenden auch, wie Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbände besser zusammenarbeiten können. Obwohl die Zahl gemeinsamer Aktionen und Kampagnen wächst – jüngst starteten etwa der Umweltverband BUND und der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Kooperation – fehlen noch langfristig stabile, übergreifende Austauschstrukturen. „Wenn es zum Zusammendenken von sozialer Gerechtigkeit und effektivem Klimaschutz kommt, scheinen die Bürgerinnen und Bürger der Politik voraus zu sein: Der Bürgerrat Klima verabschiedete einen solchen Leitsatz mit 97 Prozent Übereinstimmung. Auch aus der Zivilgesellschaft kommen immer mehr konkrete Vorschläge zu dieser Problematik. Es bedarf jetzt an Foren und Formen, in denen diese Ansätze zusammengeführt und mit der Politik diskutiert, weiterentwickelt und umgesetzt werden können“, fordert Dr. Finn Heinrich von den Open Society Foundations.
Zum Thema findet am 7. September 2021 auch eine Veranstaltung mit politischen Vertreter*innen statt.
Mehr zum Thema Wandel im factory-Magazin Change, zum gerechten CO2-Preis im factory-Magazin Steuern und zur Notwendigkeit der Beteiligung im factory-Magazin Teilhabe. Oder in den entsprechenden Themenbereichen, wo auch aktuelle Meldungen dazu zu finden sind.