Die Klimauhr tickt weiter – oder vielmehr die Klimazeitbombe, wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres es nennt. Die globalen Treibhausgasemissionen steigen zwar weniger stark – doch sie müssten eigentlich viel schneller sinken. Zwar sanken sie beispielsweise in Deutschland 2022 um 1,9 Prozent, nötig wären aber jährlich mindestens sechs Prozent. Und hierzulande gilt ein Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Zielen für alle Wirtschaftsbereiche.
Der Weltklimarat warnt nun mit der Zusammenfassung seiner Berichte der letzten sieben Jahre, dem so genannten Synthesebericht, noch einmal vor den Folgen des Nichterreichens der Begrenzung der Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius.
Weltweit nahmen viele reichweitenstarken Medien diese Warnung auf. Immerhin stimmen auch die politischen Vertreter*innen der Staaten den Empfehlungen der Spitzenforscher*innen zu, wenn die Sachstandsberichte final formuliert werden, es besteht also eigentlich Konsens zwischen Wissenschaft und Politik über das Vorgehen.
2,6 bis 3 statt 1,5 Grad Celsius
Nichtsdestotrotz setzen die Länder mit ihrer Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik nicht auf konsequentes Handeln. Mit ihren gesetzten Zielen, bei denen ohnehin nicht sicher ist, ob sie mit den gewählten Maßnahmen erreicht werden – siehe Deutschland – erreichen sie ohnehin nur eine Begrenzung auf höchstens 2,5 Grad. Und so steuert die Welt weiterhin auf eine Temperaturerhöhung von 2,6 bis 3 Grad zu – mit entsprechenden Konsequenzen.
Dieser jetzt vorgelegte so genannte Synthesebericht ist der vierte und letzte Teil des sechsten Sachstandsberichts (Assesment Reports AR6) des "Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC), als Einrichtung der Vereinten Nationen auch Weltklimarat genannt. Der erste Teil erschien 2021 mit der Warnung, dass die durchschnittliche Erderwärmung bereits 2030 1,5 Grad erreicht, wenn die Treibhausgasemissionen bis dahin nicht um die Hälfte fallen.
Die ersten drei Teile mit jeweils annähernd tausend Seiten behandelten die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimakrise einschließlich der Beobachtungen und Prognosen der Erwärmung, die Auswirkungen der Klimakrise und wie darauf reagiert werden sollte und die Wege zur Reduktion der Treibhausgasemissionen. Außerdem sind drei kürzere IPCC-Berichte enthalten, die seit 2018 zum Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze, zu Landmassen und zu Ozeanen erschienen.
Letzte Warnung vor der Grenze
Im Grunde liefert der Synthesebericht keine neuen Erkenntnisse, sondern fasst in kürzerer Form die Ergebnisse und Empfehlungen der früheren Berichte zusammen. Verbunden sind damit aber ausdrücklich die Warnungen vor irreversiblen Temperaturerhöhungen mit katastrophalen Folgen und dass es nun um "Jetzt oder Nie" gehe, um mit raschen und radikalem Handeln die Katastrophe zu verhindern.
Mit dem Bericht soll sich die Weltpolitik vor allem auf den nächsten UN Klimagipfel vorbereiten. Die Conference of the Parties, der COP28, beginnt am 30. November 2023 in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dort wird der Stand der weltweiten Emissionsreduktion diskutiert, um das in Paris 2015 gemeinsam vereinbarte Klimaziel zu erreichen. Der Bericht zeigt abermals, dass die Staaten davon weit entfernt sind.
"Es war ein Paukenschlag, als der Weltklimarat im Jahr 2018 feststellte: Es wäre gefährlicher als zuvor gedacht, die Erde um mehr als 1,5 Grad aufzuheizen – aber um das zu verhindern, müssten sich die CO2-Emissionen bis 2030 fast halbieren. Das waren schließlich nur zwölf Jahre für einen unvorstellbar großen Umbau der Weltwirtschaft", schreibt die taz.
Und weiter: "Fünf dieser wenigen Jahre sind nun schon um, aber die Zahlen haben sich kaum verändert. Im Vergleich zum Jahr 2019 müssten die globalen CO2-Emissionen bis 2030 um 48 Prozent sinken, 2050 praktisch bei null liegen, heißt es in dem neuen Bericht. Seit 2019 sind die globalen Emissionen eher noch weiter angestiegen, statt zu sinken. Das Problem wird also größer statt kleiner."
Lösungen vorhanden, Opfer der Nichtanwendung die Ärmsten
Um das 1.5°C Grad Ziel in Reichweite zu halten, gäbe es Lösungen in allen Sektoren, es brauche aber großen Gestaltungswillen, gemeinsames Handeln und massive Investitionen, um das zu schaffen, kommentiert Elmar Kriegler, Ko-Leiter der Forschungsabteilung „Transformationspfade“ am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Leitautor des Fünften und Sechsten Sachstandsberichts des IPCC. Kriegler verweist auf die enge Verknüpfung von Klimawandel und Gerechtigkeit im Bericht: "Es sind die Ärmsten, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben und am härtesten von ihm getroffen werden. Eine gerechtere Welt erfordert aktiven Klimaschutz."
Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK und ehemaliger Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe 3 des IPCC betont, dass es auch gute Nachrichten gäbe: "Der Report zeigt, dass in bestimmten Weltregionen gerade eine Entkoppelung von CO2-Emissionen und Wirtschaftswachstum einsetzt, dass also eine hohe Lebensqualität auch mit geringen Emissionen erreichbar ist.”
"Technisch wäre die nötige Emissionsminderung machbar und sogar wirtschaftlich sinnvoll, ergibt sich aus dem Bericht", so die taz. "Schlüsseltechnologien für eine klimaneutrale Welt sind im vergangenen Jahrzehnt deutlich billiger geworden, Solarstrom und Batterien zum Beispiel um 85 Prozent, Windstrom um 55 Prozent. Dem Report nach fließt aber immer noch mehr Geld in die fossile Infrastruktur, die die Klimakrise weiter antreibt, als in Klimaschutz und -anpassung."
Laut IPCC-Bericht müssten die weltweiten CO2-Emissionen bis 2030 um 48 Prozent gegenüber 2019 sinken, um die Erderwärmung bei 1,5 Grad zu begrenzen, bis 2035 sogar um 65 Prozent.
Everything, everywhere, all at once
"Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlbefinden und die Gesundheit des Planeten", berichtet die Tagesschau. "Fast die Hälfte der Weltbevölkerung, bis zu 3,6 Milliarden Menschen, leben demnach in Regionen, die besonders starke Folgen des Klimawandels erleben dürften. Schon jetzt sind Folgen wie häufigere und stärkere Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren sichtbar, etwa die Hitze und Überschwemmungen in Indien und Pakistan im Jahr 2022 und die anhaltende Dürre südlich der Sahara. In Somalia könnte es laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wegen der Dürre im vergangenen Jahr bis zu 43.000 zusätzliche Todesfälle gegeben haben."
Der Bericht sei ein klarer Aufruf, die Klimabemühungen jedes Landes und jedes Sektors in jedem Zeitrahmen massiv zu beschleunigen, betonte António Guterres bei der Vorstellung. Um deutlich zu machen, dass es in den verbleibenden Jahren bis 2030 wirklich um alles geht, nutzte António Guterres sogar den diesjährigen Oscar-Gewinnerfilm: “Our world needs climate action on all fronts: everything, everywhere, all at once.”
Den nächsten umfassenden Sachstandsbericht AR7 wird der Weltklimarat wahrscheinlich nicht vor 2030 final veröffentlichen – es ist also der letzte Synthesebericht innerhalb der "weniger-als-1,5-Grad"-Periode.
Allerdings könnte es sein, dass nun, da die Folgen der Klimakrise gut sichtbar wären und die wissenschaftlichen Erkenntnisse ebenfalls, der Klimarat auch in kürzeren Zyklen Berichte für die Politik erstellen müsste, um sie bei den entscheidenden Weichenstellungen wissenschaftlich konkreter zu unterstützen. Schließlich habe die gemeinsame Abstimmung zwischen Wissenschaft und Politik eigentlich eine hohe Autorität für letztere, so Ottmar Edenhofer.
Widerstand gegen Wandel auflösen
Was in welchen Bereichen mit welchen Mitteln in Deutschland zu tun ist, um die Emissionsminderung und Klimaneutralität, steht eigentlich klar und deutlich fest. Aber die Widerstände gegen den notwendigen Wandel und gegen Investitionen und gerechte Beteiligung daran, scheint ungebrochen.
Die Ampelregierung müsse endlich ihr lähmendes Hickhack um E-Fuels, Tempolimit und LNG-Überkapazitäten beenden, fordert entsprechend der Klimaexperte Karsten Smid von Greenpeace. "Wer sich jetzt noch einer kompletten Umstellung auf erneuerbare Energien und einem Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas entgegenstellt, ignoriert die eindringlichen Warnungen der Klimawissenschaft. Die deutsche Regierung muss jetzt dringend einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien umsetzen, einen Kohleausstieg bis spätestens 2030 auch in Ostdeutschland durchsetzen und keine weiteren Gasfelder erschließen.“
Mehr zu dem, was machbar und nötig ist, lesen Sie im factory-Magazin, das frei zum Download zu verschiedenen Themen zur Verfügung steht. Wie zum Beispiel das factory-Magazin Ressourcen. Denn die größte Emissionsminderung verspricht ein konsequenter Ressourcenschutz, der nicht nur die Energieerzeugung, sondern auch die Kreislaufführung von Ressourcen und den Überkonsum betrifft. Ebenfalls Forderungen des IPCC.