Schon im letzten Jahr war es das "Schneller", das dem Nabu einen Negativpreis wert war: Der Deutschlandpakt zur Planungsbeschleunigung. Wenn auf Umweltverträglichkeitsprüfungen und Beteiligungsverfahren für schnellere Bauvorhaben verzichtet werde, werde das auch zu mehr Naturzerstörung beitragen, so die Befürchtung des NABU. Seit 2020 prämiert der Verband mit dem “Dinosaurier” nicht mehr Personen, sondern Projekte. Das ressourcenintensive Bauen war seitdem schon zweimal Thema.
Nun geht der „Dinosaurier des Jahres 2024“ an das „Schneller-Bauen-Gesetz“, das der Berliner Senat Anfang Dezember 2024 beschlossen hat. Aus Sicht des NABU steht das Gesetz symbolisch für eine Politik, "die eine dringend notwendige ökologische und soziale Stadtentwicklung zugunsten vermeintlich schnellerer Bauvorhaben opfert."
Zwar brauche die Wohnungskrise in Berlin dringend Lösungen, sagt auch NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger, "aber das Schneller-Bauen-Gesetz setzt an den falschen Stellen an." Unter dem Vorwand des Bürokratieabbaus würden Regelungen gestrichen, die für den Klimaschutz, die Artenvielfalt und die Lebensqualität in den Städten unverzichtbar seien.
Weniger Natur- bedeutet weniger Klimaschutz
Schon jetzt müssten Städte und Gemeinden Arten- und Klimaschutz viel stärker fördern, in dem sie Flächen schützen, Naturkorridore aus- statt verbauen, um die Lebensbedingungen in der Stadt für die Bewohner*innen im Zuge einer schadens- und kostenmindernden Klimaanpassung zu erhalten, und um ihren Teil für die Einhaltung von nationalen und internationalen Natur- und Klimaschutzzielen zu leisten.
Ausbau im Bestand, zirkuläres Bauen, recyclinggerechtes Bauen und Vergesellschaftung wären Maßnahmen, um effektiv Ressourcen und damit Natur und Klima zu schonen – und so auch schneller, günstiger und gerechter Wohnraum zu schaffen.
Zwar sind im neuen Gesetz auch Erleichterungen für Umnutzungen, Dachgeschossausbauten und Aufstockungen enthalten – aber eben auch zu Kompensationsmaßnahmen, Ausnahmen zum Biotopschutz, zu Mitwirkungsrechten von Umweltverbänden, zu "Waldumwandlung", "Waldausgleich" und Baumschutz.
Erlaubt sind derartige Ausnahmen dann gern mit dem Hinweis "bei überwiegend öffentlichem Interesse … bei der Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit preiswertem Wohnraum, sozialer Infrastruktur, Barrierefreiheit, energetischer Sanierung und dem Einsatz erneuerbarer Energien."
Ausgleich berechtigter Interessen?
Für den NABU hat eine nachhaltige Stadtentwicklung die Aufgabe, “zwischen unterschiedlichen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Interessen, aber auch Belangen des Umweltschutzes und der Gesunderhaltung der Bevölkerung abzuwägen und zu vermitteln”. Die einseitige Bevorzugung des Wohnungsbaus führe dagegen zwangsläufig zur Verletzung anderer, berechtigter Interessen: Das gefährde den sozialen Frieden und erinnere stark an § 246e BauGB auf Bundesebene, heißt es.
So seien Grünflächen kein Luxus, sondern unverzichtbar für die Zukunftsfähigkeit von Städten, insbesondere angesichts der Auswirkungen der Klimakrise. Auch in Berlin zeigten sich diese deutlich: Viele Menschen litten unter Rekordtemperaturen, Hitzeinseln, Starkregen und Stürmen. "Die Folgen sind schlechte Luft, abgedeckte Dächer, vollgelaufene Keller und umgestürzte Bäume", so der NABU in seiner Pressemitteilung zum Preis.
Der Berliner Senat habe ein Gesetz formuliert, das diese Probleme noch verschärfe. Es erlaube Eingriffe in geschützte Naturräume, oft ohne ausreichenden Ausgleich. Gleichzeitig würden die Beteiligungsrechte der Bezirke durch eingeschränkte Mitspracherechte massiv beschnitten. Dabei zeigen alle Projekte des Wandels, die Bürger*innen zur Gestaltung miteinbeziehen, dass nach gemeinsamer Debatte bessere und für alle tragfähigere Maßnahmen entstehen. Und gerechtere Lösungen, die auch das Vertrauen in demokratische Politik stärken.
Bauen auf versiegelten Flächen statt ökologisch wertvollen
Dr. Melanie von Orlow, Geschäftsführerin des NABU-Landesverbandes Berlin befürchtet, dass das Gesetz zu einem massiven Nettoverlust an Stadtgrün führen wird, da Ersatzmaßnahmen künftig kaum noch kontrolliert werden oder teilweise sogar entfallen dürfen. Berlins Naturschätze wie beispielsweise der Emmauswald in Neukölln, die Moorlinse in Buch oder die Elisabeth-Aue im Norden Berlins seien dadurch akut bedroht.
Tatsächlich biete Berlin noch ungenutzte Potenziale für neuen Wohnraum: Durch Bauen auf versiegelten Flächen könnte Platz für weitere 75.000 Wohnungen geschaffen werden, ohne weitere Grünflächen zu zerstören.
Stattdessen würden ökologisch wertvolle Flächen geopfert. Auch sei die Idee des schnelleren Bauens nicht gleichbedeutend damit, dass bezahlbarer Wohnraum entstehe.
„Wohnungsnot ist ein drängendes Problem, aber dieses Gesetz löst es nicht. Was wir brauchen, sind intelligente Wohnkonzepte und bedarfsgerechtes Bauen vorzugsweise auf bereits versiegelten Flächen.” Der Erhalt von Natur sei kein Selbstzweck, sondern eine Lebensversicherung – gerade für Städte wie Berlin, sagt Vorstand Krüger.
Städte wie Wien, Kopenhagen und zunehmend auch Paris würden zeigen, dass es auch anders gehe. Dort würden Freiräume erhalten oder wiederhergestellt, Nachverdichtung sinnvoll umgesetzt und Bürger*innen beteiligt. „Berlin sollte sich an diesen Vorbildern orientieren, statt weiter auf rückwärtsgewandte Strategien zu setzen“, fordert Krüger.
Gesetz ohne soziale Bindung
Das neue Schneller-Bauen-Gesetz werde erst 2026 Wirkung zeigen, sagte Bausenator Christian Gaebler (SPD) der dpa anlässlich der Zubauzahlen von 2024, so die taz: Nur 15.000 Wohnen entstanden neu, das Ziel von 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr erneut verfehlt, und damit das schlechteste Ergebnis seit 2016. Privat finanziert dürften vor allem Wohnungen entstehen, die sich bei durchschnittlich 15 bis 20 Euro Miete pro Quadratmeter weniger vermögende Haushalte kaum leisten können. Eine soziale Mietpreisbindung existiert nur für 30 Prozent der Wohnungen, in München sind es inzwischen 50 Prozent.
Gegenkonzept könnte eine landeseigene so genannte “Bauhütte” sein. Damit ließen sich die Kompetenzen für Forschung, Planung und Ausführung öffentlicher, sozialer und vor allem auch klimaschonender Bauprojekte bündeln, heißt es von sozial-ökologisch orientierten Wohnungspolitiker*innen. “Auf diesem Weg würden nicht internationale Baukonzerne und deren „irre Preispolitik“, sondern gemeinnützige Bauträger und kleine Handwerksbetriebe gefördert”, zitiert die taz. Von sozialer und damit ressourcenschonender Preisbindung und Ausrichtung ist jedoch im neuen Berliner Baugesetz nichts zu sehen.
Dabei könnte man sich durchaus ein fortschrittliches Baugesetz mit Vorbildcharakter vorstellen: Eines, dass die Kriterien der 2024 im Bund beschlossenen Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie berücksichtigt – und die der seit 2007 bestehenden und 2024 novellierten Nationalen Biodiversitätsstrategie 2030 – und auch die der neuen Klimaanpassungsstrategie (2024). Lösungen, wie sich diesen entsprechend schneller und ressourcenschonender Wohnraum schaffen lässt, zeigt das factory-Magazin "Besser bauen” – und im gleichnamigen Themenbereich gibt es auch die aktuellsten Nachrichten dazu.