Besser bauen

„Grüne“ Gewerbegebiete – geht das?

Deutschland hat ein Flächenproblem: Zu viel Grün wird betoniert. Insbesondere die Kommunen wurden lange Zeit nicht müde, neue Gewerbeflächen auszuweisen, um Unternehmen anzulocken. Ganz vorsichtig entsteht heute ein gegenläufiger Trend.

Von Jörg Staude

Wer deutsche Städte per Auto oder Bahn erreicht, dem bietet sich oft ein tristes Bild. Als erstes kommen Gewerbegebiete mit den ewig gleichen Langhallen samt vorgebauten Erkern. Umgeben von betonierten Straßen, an denen die Straßenlampen in Reih‘ und Glied stehen. Viele Firmen ziehen bis heute an den Stadtrand in neue Gewerbegebiete, die mit großzügigen Flächen, billigen Mieten und staufreier Verkehrsanbindung lockten.

Der wachsende Versandhandel zeigt ebenfalls Folgen: Entlang der Autobahnen und Schnellstraßen entstehen auf der grünen Wiese vermehrt Logistikzentren, die auch bisher ortsgebundene Gewerbetreibende anziehen, die weiteren Leerstand in verödenden Orten hinterlassen.

Mehr Verdichtung und neue Flächen

Noch immer tragen die Kommunen in Deutschland, wie die Grünen in einer Bundestags-Anfrage vom März 2015 beklagen, ihre Konkurrenz um Wirtschaftskraft und Einwohner aus, indem sie möglichst viele Bau- und Gewerbegebiete ausweisen – und dann später mit hohen Kosten wegen geringer Auslastung zu kämpfen haben. 

Verdichtung in der Stadt und Ausweisung neuer Flächen an den Ortsrändern – derzeit gibt es noch beide Trends. Nach Angaben des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) ging in kreisfreien Großstädten von 2011 bis 2014 die durchschnittliche Siedlungs- und Verkehrsfläche pro Einwohner leicht um 1,6 Prozent zurück, in dünn besiedelten ländlichen Landkreisen stieg dieser Flächenanteil dagegen um 1,5 Prozent. Gerade auf dem Land versuchen die Orte offenbar noch immer, sich Einwohner (und Steuerkraft) durch neues Bau- und Gewerbeland abspenstig zu machen.

Genaue Angaben über den Flächenverbrauch bundesdeutscher Gewerbegebiete – und deren Leerstand – sind offiziell nicht zu haben. Nach der neuesten BBSR-Auswertung sank der Flächenverbrauch für neue Siedlungen, Gewerbe und Verkehrsinfrastruktur von 2011 zu 2014 leicht von zuvor 74 auf 69 Hektar pro Tag. Im Schnitt wird die Hälfte dieser Fläche auch versiegelt, also meist betoniert oder asphaltiert. Vom Nachhaltigkeitsziel, 2020 nur noch 30 Hektar pro Tag zuzubauen, ist Deutschland weit entfernt.

Nachhaltig und ressourcenoptimiert

Bei den Gewerbegebieten begann hier vor gut einem Jahrzehnt aber auch ein Umdenken. Länder und Kommunen erkannten: So kann es nicht weitergehen. Als vermutlich erstes Bundesland legte Nordrhein-Westfalen – dichtbesiedelt und hochindustrialisiert – im Jahr 2004 ein Projekt zur nachhaltigen Gewerbeflächenentwicklung auf. Das Motiv: Kommunen sollten den Wettbewerb um attraktive Gewerbeflächen nicht länger zu Lasten noch vorhandener Freiflächen bestreiten. Der Umgang mit endlichen Flächen ist und bleibe eine zentrale Herausforderung nachhaltiger Stadtentwicklung, lautete das Credo.

Die Idee zog langsam Kreise: 2013 legte zum Beispiel Karlsruhe, mit 300.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Baden-Württemberg, ein Praxishandbuch zum ressourcenoptimierten Gewerbeflächenmanagement vor. Dort nehmen Gewerbe- und Mischgebiete rund 17 Prozent der Siedlungsfläche ein – ein beträchtlicher Anteil.

Karlsruhe als „wachsende Stadt“ und „High-Tech-Standort mit knappem Flächenangebot“ sei auf „intelligente Konzepte zur Flächennutzung“ angewiesen, kommentierte Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) das Handbuch. Es werde darauf ankommen, konkurrierende Nutzungen wie Wohnraum, Gewerbeflächen sowie Grün- und Erholungsräume in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.

Das innerstädtische Karlsruher Gewerbequartier Grünwinkel ist eines von bundesweit neun Modellvorhaben, bei denen das BBSR seit 2014 die „Nachhaltige Weiterentwicklung von Gewerbegebieten“ erforscht. Die anderen Projekte befinden sich in Hamburg, Oranienburg, Berlin, Dortmund, Ratingen, Kassel, Frankfurt am Main und Augsburg.

Das BBSR-Projekt läuft noch bis Ende 2018. Bei diesem gehe es aber nicht um Grundlagen- oder Trendforschung, erläutert Bernd Breuer vom Bundesinstitut. Vielmehr würden städtebauliche Konzepte und Maßnahmen für die „konkrete Praxis vor Ort“ entwickelt und erprobt sowie deren Machbarkeit und Übertragbarkeit geprüft – und zwar ausschließlich bei bestehenden Gewerbegebieten.

Was oftmals noch im Argen liegt, haben die BBSR-Forscher anhand der 2014 vorgefundenen Ausgangslage im Karlsruher Grünwinkel beschrieben. Es habe interne Nutzungs-, Nachbarschafts- und Umweltkonflikte, Mängel bei der internen wie externen Erschließung sowie ein insgesamt negatives Image des Gewerbegebiets gegeben, das eher zu den „vergessenen“ Stadträumen zählte. Ziel des Projekts müsse es sein, durch Ansprache und Aktivierung der Eigentümer, der Unternehmen sowie der Anwohner einen Impuls zu schaffen, um das Gebiet in ein lebendiges, urbanes Quartier für eine moderne Arbeitswelt zu wandeln.

Sozial, ästhetisch und ökologisch

Für Breuer umfasst Nachhaltigkeit bei Gewerbegebieten mehr als nur Ressourcenökonomie wie eine intelligente Flächennutzung. Ein nachhaltiges Gewerbegebiet schließt für den BBSR-Experten auch soziale, baukulturelle, prozessbezogene und gestalterische Aspekte ein.

Gerade die lokale Gemeinschaft eines Gewerbegebietes nimmt für Sandra Wagner-Endres vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) einen großen Raum ein. Die Firmen müssten sich am Standort in gewisser Weise „zu Hause“ fühlen. „Die Identifikation mit dem Standort ist ein zentraler Faktor. Häufig wissen Unternehmen gar nicht, wer ihre Nachbarn sind“, betont sie. 

Lokale Standortgemeinschaften stärkten dabei nicht nur, so Wagner-Endres, die Wertschöpfung vor Ort, sondern seien auch wichtig für den Erfolg betriebsübergreifender Aktivitäten, die Gewerbestandorte attraktiver und nachhaltiger machen können. Unternehmen würde so bestärkt, nicht gleich wegzuziehen, wenn sich anderswo eine günstigere Miete erzielen lässt. Zunehmend legt, beobachtet Wagner-Endres, auch die digitale Kreativwirtschaft mehr Wert auf ein funktionierendes und attraktives Stadtumfeld. Nachhaltigkeit oder Ressourcenökonomie sind aber ihrer Erfahrung nach noch keine zugkräftige Marke, um sich gerade in diesem Gewerbegebiet niederzulassen.

Wer sich schwarz auf weiß attestieren lassen will, dass sein Gewerbegebiet ressourceneffizient und nachhaltig ist, dem steht als Berater derzeit vor allem die „Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“ (DGNB) zur Seite. Die gemeinnützige Organisation mit rund 1.200 Mitgliedsorganisationen der Bau- und Immobilienwirtschaft ist mittlerweile branchenweit bekannt.
 

Zertifikate für Pioniere

Die DGNB baute ein – freiwilliges – Zertifizierungssystem für nachhaltige Gebäude und Quartiere auf. Für die Kriterien gibt es keine gesetzlichen Anforderungen, sondern diese basieren auf EU-Richtlinien und -Normen. Der abzuarbeitende Katalog ist umfangreich: Knapp 30 Kriterien gibt es in Sparten wie Ökobilanz, emissionsbedingte Umweltwirkungen, Biodiversität, Stadtklima, Flächeneffizienz und anderes mehr. 

Seit die DGNB ab 2009 das Zertifikat vergibt, wurden nach ihren Angaben mehr als 2100 Projekte in über 20 Ländern ausgezeichnet, darunter 50 Quartiere und darunter wiederum nur sechs Gewerbequartiere. Zeiträume von fünf und mehr Jahren, um die Kriterien zu erfüllen, sind dabei selbst bei neuen Gewerbegebieten keine Seltenheit, war von Wirtschaftsförderern zu hören.

Sicher: Auch bei Gewerbegebieten nimmt das „grüne Gewissen“ zu. Darüber hinaus stößt in vielen Ballungsräumen die Ausweisung neuer Flächen an Grenzen und auf Widerstände. Belange von Klimawandel und  Nachhaltigkeit rücken mehr und mehr ins Blickfeld – für Sandra Wagner-Endres vom Difu steht Deutschland bei der  Entwicklung nachhaltiger Gewerbegebiete aber noch ganz am Anfang. „Das ist ein Bohren dicker Bretter, doch für die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaftsstandorten unerlässlich“, resümiert sie.

Revitalisierung vor Neuanlage

Wer sein Gewerbegebiet im wahrsten Sinne des Wortes „ergrünen“ lassen will, für den hat die Lüneburger Leuphana-Universität einen konkreten Leitfaden gesponnen. Dieser zielt dahin, die Zerschneidung des ursprünglichen Lebensraumes durch Straßen und Schneisen zu verhindern, den Einsatz künstlichen Lichts in der Nacht zu verringern, die Außenflächen nicht durch Dünger und Pestizide intensiv zu nutzen und auch die Ansiedlung neuer, zuvor gebietsfremder Arten auszuschließen. 

Nicht alle Flächen dürfen beim Leuphana-Konzept unter die Planierraupe kommen, Abhänge und Feuchtgebiete bleiben erhalten. Es gibt kein Entwässerungssystem sondern Feuchtmulden, in denen sich Regenwasser sammeln und Kleinst-Biotope entstehen können. So kosten begrünte Dächer nach ihren Angaben mit 25 bis 35 Euro pro Quadratmeter nicht viel mehr als übliche Dächer.

Auch die Leuphana-Experten plädieren in ihrem „Bio“-Konzept dafür, vorhandene Gewerbegebiete zu revitalisieren. Das könnte am Ende sogar zu einer Art Entsiegelung führen. Dazu kommen ökologische Schutzmauern, Hecken und kleine Gehölze, in denen sich Insekten“hotels“ befinden, es gibt Fledermauskästen und Wildblumenwiesen. Grüne Gewerbegebiete – nicht grau und trist.

Jörg Staude ist Journalist und Autor bei klimaretter.info und schreibt auch für andere Medien.

Mehr Beiträge zum Thema Nachhaltiges, ressourceneffizientes Bauen im factory-Magazin Besser Bauen. Das steht kostenlos zum Download, ist schön illustriert und mit sämtlichen Beiträgen, Zahlen und Zitaten angenehm lesbar auf Tablets und Bildschirmen. Online im Themenbereich sind zunächst nur einige Beiträge verfügbar – dafür lassen sie sich dort auch kommentieren und bewerten.

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