Besser bauen
Einmal Perspektive, bitte!
Eine ressourcenschonende Landschafts- und Stadtentwicklung benötigt Zeit, gute Struktur und die Kraft, Menschen zu begeistern. Die Entwicklungsgesellschaft indeland GmbH will genau das im Rheinischen Braunkohlerevier schaffen. Eine Geschichte von Vergangenheit und Zukunft, Abschied und Hoffnung.
Von Susanne Götze und Susanne Schwarz
Einst war Eschweiler der Vorbote der Zukunft. Hier fing man im 19. Jahrhundert an, schwarze Goldstücke aus den Bergen zu holen, die die Schornsteine zum Dampfen und damit die Kassen zum Klingeln brachten. Die Region um die Stadt in der Nähe von Aachen lieferte die Schlüsselbranche für die deutsche Industrialisierung: Während in Großbritannien die Textilverarbeitung wichtig wurde, prägte Deutschland die Kohle. Die „Wiege des Bergbaus“ wird Eschweiler deshalb immer noch gern genannt.
In Eschweiler spielt das noch eine große Rolle. Das schwarze Gold kommt zwar kaum noch aus den Bergen, dafür aber umso mehr aus dem Boden. Von der Steinkohle ist man zur Braunkohle übergegangen, die über Tage gewonnen wird. Wie der von Kratern zerfressene Boden erzählen die Arbeitsbiographien vieler Anwohner Geschichten von der Kohle. Das Geschäft der Kohlekonzerne läuft aber nicht mehr und selbst wenn es das täte: Es treibt den menschengemachten Klimawandel an und muss eher früher als später aufgegeben werden, das steht fest, auch wenn es noch keine politisch festgelegte Deadline gibt. Längst ist die Kohle nicht mehr die wohlstandbringende Innovation der Energiegewinnung, die klimafreundlichen erneuerbaren Energien sind auf der Überholspur.
Eschweiler: vom Vorboten der Zukunft zur Nachhut der Vergangenheit?
Kyra Pfeil will das ändern. Die 34-jährige Raumplanerin von der Entwicklungsgesellschaft indeland arbeitet seit vier Jahren daran, die Region auf die anstehende Transformation vorzubereiten. Spaziert sie durch Eschweiler oder die nahegelegenen Orte Inden und Jülich, plant sie im Kopf schon die Zukunft: Sie ist sicher, dass sich Menschen im Jahr 2030 froh sein werden, aus den umliegenden Ballungsräumen in diese beschauliche Region ziehen zu können. Auch viele ehemalige Tagebaumitarbeiter haben in dieser Zukunftsvision eine neue Arbeit in neu angesiedelten Unternehmen gefunden: zum Beispiel in Logistik-Firmen, im Tourismus, in den Bereichen Materialien und Werkstoffe und auch bei Startups und Forschungsinstituten. Der Tagebau Inden ist dann keine Mondlandschaft mehr, sondern mit Wasser aufgefüllt ein Badesee, an dem sich die Familien am Wochenende erholen – ein Gewässer in der Größe des Tegernsees und damit größter Baggersee Deutschlands. Manche haben dann vielleicht sogar das Glück, in den schönen neuen Eigentumswohnungen am Ufer zu wohnen.
In Inden, ein paar hundert Meter vom künftigen Ufer entfernt, ist in den letzten zwei Jahren eine besondere Wohnsiedlung entstanden sein: Das Faktor X-Baugebiet im Inden-Seeviertel.
Dort wird die Zukunft klimafreundlichen Bauens erprobt. Das besondere daran ist die ganzheitliche Herangehensweise, der Blick über eine Zeitspanne von 50 Jahren. Üblich ist das Sparen von Energie bei der Nutzung von Gebäuden. Im Seeviertel geht es um mehr: Wie viel Energie steckt in den Baustoffen, der Konstruktion, wie langlebig sind Baustoffe und Bauteile, wie flexibel können Grundrisse auf wandelnde Anforderungen der Nutzer reagieren? Alle der 35 Häuser sparen mindestens 50 Prozent Primärenergie, Treibhausgase und nicht nachwachsende Ressourcen gegenüber einem „normalen“ ortsüblichen Haus ein. Der Faktor 2 der Ressourcenproduktivität im Bau ist dort dann Wirklichkeit.
Für diese Vision arbeiten Kyra Pfeil und ihre Kollegen rund um die Uhr. Teile davon sind schon konkret in Planung, der Indesee etwa, vor allem die Faktor X-Siedlung. Ende 2016 waren nach rund acht Monaten der Vermarktung alle Grundstücke verkauft, erste Gebäude wurden nach Fertigstellung der Erschließung im September errichtet. Von der aufregenden und nachhaltigen Zukunft im Ganzen sind im Hier und Jetzt aber noch nicht alle überzeugt.
Es macht etwas mit einer Region, wenn die Anwohner wissen, dass für ihre Vergangenheit und Gegenwart in der Zukunft nur noch in Museen Platz sein wird – auch wenn die Zeiten mit der Kohle nicht immer rosig waren. Acht Orte sind dem Tagebau Inden über die Jahrzehnte gewichen, der letzte erst vor drei Jahren. „Es ist nicht immer einfach, das Potenzial dieser Region auch in die Köpfe der Menschen zu bringen“, meint Pfeil. „Manche Menschen haben Angst vor Veränderung, weil sie um ihren Arbeitsplatz bangen oder Angst vor fremden Einflüssen haben“, findet die Raumplanerin.
"Und manche Menschen können sich einfach nicht vorstellen, dass sie sich etwas vorstellen dürfen!“
Genau hier will die Entwicklungsgesellschaft ansetzen. Sie hilft Städten und Gemeinden im „indeland“ bei der Transformation: Dabei geht es eben nicht nur um die Flutung des Tagebaus oder die Uferbepflanzung, sondern um neue Perspektiven und die Schaffung eines, so Kyra Pfeil, „attraktiven Wirtschafts- und Lebensraumes“. Die Region soll sich für ein Leben nach der Braunkohle rüsten und ein neues Image bekommen – und zwar ein besseres.
Auch wenn für das Ende der Kohleverstromung in Deutschland noch kein Datum gesetzt ist, steht das Ende des Tagebaus Inden fest: Im Jahr 2030 läuft die Betriebsgenehmigung aus.
Für die Entwicklungsgesellschaft indeland sind 15 Jahre ein kleines Zeitfenster; als Raumplaner denkt man nicht in Tagen, sondern in Jahrzehnten.
Für einen Menschen, der in Eschweiler, Inden oder Jülich wohnt, sieht das anders aus. Da sind 15 Jahre vielleicht ein Fünftel eines Lebens. Es gibt einiges, worauf sich die Anwohner des Tagebaus Inden nun vorbereiten müssen: Immerhin fällt in nicht allzu ferner Zukunft der große Arbeitgeber der Region weg, gleichzeitig wird die jetzige Mondlandschaft wieder ein Stück begehbare Heimat sein.
Einen großen Vorteil haben die indeländer immerhin, wie das Wuppertal Institut im vergangenen Jahr in einer Studie festgestellt hat: Für sie ist nicht schon einmal eine Identität verloren gegangen.
Anders die Lausitzer, die am anderen großen Kohlerevier des Landes leben. Für sie bedeutete die Wende genau das.
In der DDR war die Kohlewirtschaft der Lausitz Staatsziel, 80.000 Menschen erarbeiteten damit ihren Lebensunterhalt in den Achtzigerjahren, später – nach der Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik wurden mehrere Tagebaue und Kohlewerke geschlossen – waren es nur noch 8.000. „In der Lausitz fand ein Strukturbruch statt, aber wir haben mehr Zeit und können den Wandel aktiv angehen“, so Pfeil. Ein weiterer Vorteil sind die städtischen Ballungsgebiete im Rheinland. Aachen, Köln, Düsseldorf und das Ruhrgebiet sind nicht weit weg und bieten Arbeitsplätze und Kultur, aber auch die realistische Perspektive, Flächenengpässe für Gewerbe und Wohnen aufzufangen.
Bereits heute kümmert sich die Entwicklungsgesellschaft indeland gemeinsam mit zahlreichen Partnern darum, dass das Leben direkt in der Kohleregion auch noch nach der Kohle lebenswert bleibt: Es geht um Gewerbeflächen für die Ansiedlung von neuen Firmen, um Naherholung und Sportstätten. Aber auch darum, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen – schließlich geht es um ihre Zukunft. „In Schüler- und Bürgerwerkstätten fragen wir nach den Wünschen und Vorstellungen derjenigen, die am meisten von den Veränderungen betroffen sind“, erzählt Pfeil.
Gerade die Schüler sind eine Gruppe, die Pfeil besonders ansprechen will: Ihr Leben in der Region steht im Grunde noch am Anfang und braucht Perspektiven. Für sie ist die Planungsphase von 15 Jahren zudem eine besonders lange Zeit, nämlich etwa die Verdopplung ihres gesamten bisherigen Lebens, in dem sie als Heimat nur die verkraterte Mondlandschaft des Tagebaus kannten.
„Gerade junge Leute können sich oft nicht vorstellen, was in 15 Jahren alles passieren kann – das ist alles noch so weit weg“,
meint Pfeil. Sie finden aber Gefallen daran, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen: In ihren Zukunftsvisionen bekommt der Baggersee Strandbars, schwimmende Inseln und eine Schwebebahn, mit der man aus der Luft die schöne Landschaft bestaunen kann. Kyra Pfeil ist zuversichtlich: „Je näher 2030 rückt, desto euphorischer werden die Menschen“.
Dr. Susanne Götze und Susanne Schwarz arbeiten für verschiedene Medien zu Klima- und Ressourcenschutz. Im factory-Magazin Divestment schrieb Susanne Götze zuletzt über den CO2-Preis Eine Robin-Hood-Steuer für den Klimaschutz, Susanne Schwarz über den Ausstieg von Kommunen aus der fossilen Energiewirtschaft Die Angst vorm Sägen am eigenen Ast.
Mehr Beiträge zum Thema Nachhaltiges, ressourceneffizientes Bauen im factory-Magazin Besser Bauen. Das steht kostenlos zum Download, ist schön illustriert und mit sämtlichen Beiträgen, Zahlen und Zitaten angenehm lesbar auf Tablets und Bildschirmen. Online im Themenbereich sind zunächst nur einige Beiträge verfügbar – dafür lassen sie sich dort auch kommentieren und bewerten.
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