Circular Economy
Remanufacturing: besser alt statt neu
Ressourcenschonung ist der beste Klimaschutz. Doch der Ressourceneinsatz in der Produktion ist noch viel zu hoch, um nachhaltig zu sein. Remanufacturing, die Wiederaufarbeitung gebrauchter Produkte, verbessert hingegen ihre Qualität und spart Rohstoffe und Kosten. Während in den USA und China schon kräftig refabriziert wird, steht Europa noch am Anfang: Remanufacturing könnte der Kern unternehmerischer Ressourceneffizienz werden, flankiert durch entsprechendes Design und ein zweites Preisschild.
Von Verena Kern
Seit einigen Monaten trägt Rolf Steinhilper den Titel „Remanufacturer of the Year“. Oder kurz: „Reman 2016“. Die internationale Auszeichnung, die seit 2005 vergeben wird, ehrt mit dem Professor für Umweltgerechte Produktionstechnik an der Universität Bayreuth einen Mann, der sich seit Langem für einen Bereich der Kreislaufwirtschaft einsetzt, der in der breiten Öffentlichkeit noch kaum bekannt ist: Remanufacturing.
Der Begriff stammt aus der Industrie und ist deshalb bislang nur Fachleuten geläufig. Doch das dürfte sich in Zukunft ändern. Remanufacturing ist eine wachsende Branche. Gemeint ist der industrielle Prozess zur Instandsetzung von Produkten nach ihrem Nutzungszyklus. Zu deutsch: Refabrikation oder Aufarbeitung. „Das Ziel“, sagt Steinhilper, „ist die Wahrung oder Wiederherstellung der Produktgestalt und der Produkteigenschaften für eine erneute Verwendung.“
Aufgearbeitete Produkte sind damit einem Neuprodukt gleichwertig oder gar höherwertig. Das spart Ressourcen, Energie, CO2-Emissionen und natürlich sehr viel Geld.
In Sachen Remanufacturing ist Steinhilper hierzulande der engagierteste Mentor. Schon vor knapp zwanzig Jahren hat er das Standardwerk „Produktrecycling. Vielfachnutzen durch Mehrfachnutzung“ veröffentlicht. Er brennt für das Thema, reist um die Welt, besucht Kongresse und Konferenzen, um für etwas zu werben, das nach seiner Überzeugung allen Vorteile bringt. „Für den Kunden ist Remanufacturing die volle Qualität zum halben Preis, für den Hersteller die ganze Technik bei halbierten Kosten“, sagt Steinhilper. „Und das Ganze bringt doppelten Gewinn für die Unternehmen und die Umwelt.“
Deutsche Produkte sind zu ressourcenintensiv
Mit Ressourcen sparsamer umzugehen ist dringend nötig. Vor allem in den reichen Ländern ist der Verbrauch an Rohstoffen enorm. Für Deutschland hat das Umweltbundesamt gerade den ersten nationalen Ressourcenbericht vorgelegt – mit Zahlen, über die man „stolpert“, wie UBA-Chefin Maria Krautzberger sagt. Der deutsche Rohstoffverbrauch liegt demnach deutlich über dem weltweiten Durchschnitt. Statistisch verbraucht jeder Einzelne jährlich mehr als 16 Tonnen Metall, Beton, Holz und andere Rohstoffe. Das sind pro Tag 44 Kilo.
Der überwiegende Teil davon besteht aus nicht nachwachsenden Rohstoffen, dies sind hierbei vor allem fossile Energieträger, Mineralien, Metallerze. Und diese stammen zu 70 Prozent aus dem Ausland. „Mit unserem Konsum“, sagt Krautzberger, „beuten wir die Rohstoffe anderer Länder aus und exportieren die damit verbundenen Umweltschäden.“
Zwar ist Deutschlands Ressourcenverbrauch inzwischen rückläufig. Zur Jahrtausendwende lag er noch bei 1,53 Milliarden Tonnen pro Jahr, bis 2011 sank er um 15 Prozent auf 1,3 Milliarden Tonnen. Bewirkt hat das vor allem eine höhere Effizienz beim Einsatz der Rohstoffe. Doch der Rückgang ist noch nicht schnell und umfangreich genug, um Umweltverträglichkeit zu erreichen.
„Würden alle Länder weltweit so wirtschaften wie Deutschland, wären mehr als drei Erden notwendig“, sagt Julia Otten von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Gemeinsam mit anderen Umwelt- und Klimaschützern macht Germanwatch jedes Jahr mit dem Earth Overshoot Day darauf aufmerksam, dass die Menschheit mehr Ressourcen verbraucht, als die Erde zur Verfügung stellen kann. 2016 rutschte die Welt schon am 8. August ökologisch in den roten Bereich, fünf Tage früher als im Vorjahr.
Nach Berechnungen des Umweltverbands BUND müsste der weltweite Ressourcenverbrauch bis 2050 auf die Hälfte des Stands von 2000 reduziert werden, um einen nachhaltigen Zustand zu erreichen. Das käme einer Begrenzung des Rohstoffverbrauchs auf maximal drei Tonnen pro Jahr und Person gleich. Zur Erinnerung: Die Deutschen liegen jetzt bei 16 Tonnen.
Mit Effizienzsteigerungen allein, so das UBA, wird das nicht zu haben sein. Man muss ans Eingemachte. Etwa mit einem Ressourcenschutzgesetz, das die relevanten Rechtsbereiche wie Bergbaurecht, Raumordnungs- oder Baurecht bündelt und die Regeln zum Schutz von Rohstoffen konkretisiert. Oder mit Ermäßigungen bei der Mehrwertsteuer, um ressourceneffiziente Produkte attraktiver zu machen. Und mit Suffizienz als allgemeinem Leitbild.
Bessere Bilanzen mit Remanufacturing
Ein Baustein um Stoffkreisläufe zu schließen, kann auch das Remanufacturing sein. Seine Potenziale, sagt Rolf Steinhilper, sind längst noch nicht ausgeschöpft. Bis zu 90 Prozent der Rohstoffe könnten künftig durch Remanufacturing erhalten bleiben.
Bislang konzentriert sich das Verfahren zur Wiederaufarbeitung noch vor allem auf die Autoindustrie. Was an Remanufacturing läuft, findet zu rund zwei Dritteln hier statt. Auch der oben erwähnte „Reman of the Year“-Award fokusiert auf diese Branche.
Caterpillar etwa, ein US-amerikanischer Hersteller von schweren Nutzfahrzeugen, schafft es nach eigenen Angaben, rund zehn Prozent der Bestandteile seiner Fahrzeuge wieder aufzuarbeiten, vom Motor über Kolben bis zur Ölpumpe. Das unternehmenseigene „Cat Reman“-Programm wird als Kerngeschäft angesehen. „In der Regel kostet eine Reman-Komponente den Kunden 75 Prozent des Preises eines Neuteils“, sagt einer der Caterpillar-Ingenieure.
Hierzulande ist der Autozulieferer Bosch der Marktführer. Sein „1:1 Reman“-Programm deckt mehrere tausend verschiedene Kfz-Ersatzteile ab, von Pumpen über Schaltgeräte bis zu Mengenteilern. Kosteneinsparungen von 30 bis 40 Prozent gegenüber einen Neuteil sind möglich.
Konkret läuft das Remanufacturing so ab: Zunächst wird das Produkt auf seine Funktionstüchtigkeit überprüft und die Aufarbeitungsmöglichkeiten eingeschätzt. Dann erfolgt die vollständige Demontage und Reinigung aller Bauteile, eine weitere Prüfung und schließlich die Aufarbeitung, bevor es zur Wiedermontage und abschließenden Funktionsprüfung kommt.
Neben den niedrigeren Kosten bietet Remanufacturing auch eine bessere Umweltbilanz. Das Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung hat errechnet, dass ein aufgearbeiteter Motor gegenüber einem Neuteil rund 37 Kilo CO2-Äquivalente einspart. Bei einem Starter sind es neun Kilo, bei einem Turbolader 23 Kilo.
Caterpillar bietet seinen Reman-Service schon seit 1973 an, Bosch sogar schon seit 1965. Das kommt nicht von ungefähr. Fahrzeuge bieten sich für das Remanufacturing aus mehreren Gründen an. Erstens ist ein Fahrzeug kein Wegwerfprodukt. Zweitens besteht es aus vielen Teilen, die einfach demontiert werden können. Drittens wird es als normales Verhalten angesehen, dass Fahrzeuge repariert werden, wenn etwas kaputt geht. Und schließlich gibt es durch Kfz-Teilehändler und Werkstätten eine Infrastruktur, um den Warenfluss in zwei Richtungen zu organisieren, der für die Abwicklung nötig ist.
Mittlerweile hat sich das Remanufacturing aber schon auf weitere Branchen und Produkte ausgeweitet: bei der Bahn, im Flugzeugbau, bei medizinischen Geräten wie MRT, Computertomographie, Röntgen, Ultraschall oder Mammographie, bei IT-Produkten wie Computern, Handys, Kopierern, Faxgeräten, Tonern oder Druckern, bei Industrieanlagen wie Motoren, Generatoren, Transformatoren, Pumpen, Kompressoren.
Auch bei Windturbinen wird wiederaufgearbeitet. Die spanische Firma Repoweringsolutions ist nach eigenen Angaben führend in dem Bereich. Bei einem 500-Kilowatt-Windrad gibt sie die Kosten mit 335.000 Euro gegenüber 500.000 Euro bei einer neuen Anlage an. Bei einer 1.500-Kilowatt-Anlage stehen 850.000 Euro 1,26 Millionen Euro gegenüber.
Um aber Remanufacturing auch auf Produkte auszudehnen, die bislang noch eher in die Wegwerf-Kategorie gehören, werden noch große Anstrengungen erforderlich sein.
Kreislauf als Konzept
Das hat auch die Politik erkannt. Der G7-Gipfel, der im Juni 2015 unter deutscher Präsidentschaft im bayerischen Elmau stattfand, hat nicht nur die Dekarbonisierung als Ziel formuliert. Beschlossen wurde außerdem eine Initiative für Ressourceneffizienz, bei der Remanufacturing und Kreislaufwirtschaft ausdrücklich als Schwerpunkt benannt wurden.
Auch die EU ist auf dem Gebiet aktiv. Nach Einschätzung der Europäischen Kommission hat sich Europa bislang zu sehr auf die Recycling-Industrie konzentriert und droht gegenüber den USA und China ins Hintertreffen zu geraten, die beide bereits über eine Remanufacturing-Strategie verfügen. Deshalb wurde das European Remanufacturing Network ERN ins Leben gerufen. Es soll einen industriepolitischen Ansatz zu fördern, der neue Geschäftsmodelle etablieren, für Innovationen sorgen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen kann.
Mit dem Forschungsprojekt ResCoM (Resource Conservative Manufacturing) will die EU außerdem ganz konkret Unternehmen dabei unterstützen, den Wandel von den bislang vorherrschenden linearen Geschäftsmodellen hin zu wiederverwertenden Geschäftsmodellen zu schaffen. Erklärtes Ziel ist der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft. „We help manufacturers capture value by closing the loop“, heißt es programmatisch bei ResCoM.
Wenn Unternehmen „den Kreis schließen“, entstehen ökonomische und ökologische Vorteile, ist die EU überzeugt. Die Firmen steigern ihre Wettbewerbsfähigkeit, erhöhen ihre Ressourceneffizienz und können ihre Kosten so „signifikant“ drücken. Dadurch, so ist die Idee, kann es für europäische Unternehmen sogar möglich werden, den Markteintritt von Wettbewerbern aus nichteuropäischen Niedriglohnländern zu verhindern.
Im Vergleich zur Neuproduktion schrumpft beim Remanufacturing die Menge der verwendeten Rohstoffe auf zehn bis 15 Prozent, schätzt die EU. Die mögliche Energieeinsparung beziffert sie auf 85 Prozent. Das Fazit: Auf Reman zu setzen, heißt, die Umweltverschmutzung deutlich zu begrenzen und dabei auch noch für Wirtschaftswachstum zu sorgen.
Bis eine umfassende Kreislaufwirtschaft aufgebaut sein wird, ist es noch ein weiter Weg. Auch wenn sie zum großen Teil noch außerhalb des Blickfelds des Konsumenten stattfindet, hat die Transformation dennoch längst begonnen.
Der Preis für den Kreis
Im vergangenen Herbst hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ihr Integriertes Umweltprogramm 2030 vorgestellt. Einer der Vorschläge ist die Einführung eines Zweiten Preisschildes. Ein solches Etikett möchte die SPD-Politikerin in Zukunft auf allen Produkten sehen, angefangen bei Elektrogeräten.
Das Etikett soll, so erklärt es die Ministerin, eine „zusätzliche Produktinformation“ darstellen. Es soll Angaben zu Ressourcenverbrauch, Mindesthaltbarkeit und Reparaturfähigkeit enthalten – und damit die wahren Kosten für Umwelt und Gesellschaft widerspiegeln. Für die Verbraucher soll es so leichter werden, „nachhaltige Kaufentscheidungen zu treffen“. Bei Lebensmitteln, argumentiert Hendricks, sind umfassende Angaben zu den Inhaltsstoffen längst vorgeschrieben. Warum also nicht auch bei anderen Produkten?
Wird das „Zweite Etikett“ tatsächlich Realität, wird es für Hersteller noch attraktiver, sich dem Remanufacturing zuzuwenden. Wenn für den Kunden sichtbar wird, dass bereits benutzte Materialien und Komponenten eingesetzt wurden, kann das die Kaufentscheidung beeinflussen.
Auch das Umweltbundesamt verfolgt diese Idee. Seine Ressourcenkommission hat sich gerade von Ursula Tischner eine Studie erstellen lassen, wie Produktkennzeichnungen beschaffen sein müssen, um dem Konsumenten eine brauchbare Information an die Hand zu geben.
Tischner ist Expertin für nachhaltiges Design. Sie hat den ersten ressourceneffizienten Einbaukühlschrank entwickelt und setzt sich dafür ein, Nachhaltigkeit „in das System hineinzudesignen“. Der Vorschlag ihres Teams für die UBA-Ressourcenkommission beinhaltet fünf Kennzahlen, die in die Kennzeichnung von Produkten einfließen sollten. Da ist zum einen die Lebens-, Funktions- und Nutzungsdauer in Zeiteinheiten. Die Unternehmen sollen erklären, welche Lebensdauer ihr Produkt garantiert bei ordnungsgemäßen Gebrauch erfüllt. „Dabei“, sagt Tischner, „sollten angemessene Reparatur- und Instandhaltungsaktivitäten berücksichtigt und angegeben werden.“
Wichtig wäre außerdem der sogenannte lebenszyklusweite Ressourceninput. Also wieviele gebrauchte oder nichtgebrauchte Ressourcen verwendet wurden sowie der Einsatz von Energie, Wasser und Fläche.
Auch die spezifischen Verbrauchswerte für eine typische und reale Nutzungssituation sollten angegeben werden, dazu Kennzahlen für Kreislauffähigkeit, also zur Wieder- und Weiterverwendbarkeit, zu Demontage- und Zerlegungsmöglichkeiten von Produkt, Komponenten und Materialien. Auch der CO2-Fußabdruck könnte laut Studie zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt werden, sobald standardisierte Erhebungsmethoden etabliert sind.
Noch hört sich das recht kompliziert an. Und noch ist ein solches „Zweites Preisschild“ mit umfassenden Produktinformationen reine Zukunftsmusik. Doch je mehr Unternehmen Remanufacturing betreiben, desto mehr werden sie selber daran interessiert sein, dass der Kunde das auch erfährt.
Verena Kern ist freie Journalistin in Berlin. Ihre Schwerpunkte sind Umwelt-, Klima- und Energiethemen. Seit 2011 gehört sie zum Redaktionsteam des Online-Magazins klimaretter.info. Daneben schreibt sie für die Frankfurter Rundschau, Deutsche Welle und Fachmagazine. Im factory-Magazin Divestment schrieb sie Warum Divestment die Welt verändern wird.
Mehr Beiträge zum Themenspektrum Circular Economy oder Kreislaufwirtschaft, zu Remanufacturing, Repair und ReUse, zu Zero-Waste und Möglichkeiten einer neuen Wirtschaftsordnung finden Sie im factory-Magazin Circular Economy. Das PDF-Magazin ist kostenlos herunterladbar und lässt sich besonders gut auf Tablet-Computern und am Bildschirm betrachten. Vorteil des Magazins: Es ist durchgehend gestaltet und enthält sämtliche Beiträge, Fotos und Illustrationen sowie zusätzliche Zahlen, Zitate und eine Wordcloud – während online zunächst nur wenige Beiträge verfügbar sind.
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