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Digitalisierung muss stärker dem sozial-ökologischen Wandel dienen

Die Digitalisierung des Alltags, von Arbeit, Produktion und Konsum hat insgesamt bisher nicht zur Verringerung des Ressourcenverbrauchs und damit der Treibhausgasemissionen geführt. Eher treiben durch sie effizientere Produktion und komfortabler Konsum den Verbrauch weiter an, während eine digitalisierte Circular Economy mit Digitalpass und Ressourcenbilanzen kaum voran kommt. Ein großes Bündnis von Organisationen und Institutionen aus Wissenschaft und Gesellschaft fordert nun von der Politik eine stärkere Verankerung der Digitalisierung für die Transformation.

Mit der Digitalisierung sind seit vielen Jahren – wenn nicht Jahrzehnten – viele Hoffnungen auch auf einen Wandel für mehr Klima- und Ressourcenschutz verbunden. Fest steht zumindest, dass ihr Einsatz im Arbeits- und Konsumalltag stetig steigt, vieles wird effizienter und komfortabler. Manche Geräte wie das Smartphone ersetzen ein Dutzend andere wie Kamera, Radio, TV, Computer, Navigationsgerät, Notizblock.

Und dennoch: Die Digitalisierung entkoppelt das Wirtschaftswachstum bislang nicht vom Energieverbrauch, so das Ergebnis einer Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) 2022. Im Gegenteil: Steigende Energieverbräuche des Informations- und Kommunikationstechnologie-Sektors (IKT) und höheres Wirtschaftswachstum konterkarieren eine Reduktion des Energiebedarfs.

Auch wenn es Erfolge in Teilbereichen gibt, ist die ökologisch-soziale Wandelbilanz der Digitalisierung übersichtlich. So war die Einschätzung der Menschen in Deutschland während der Lockdown-Phase der Pandemie 2020, dass z. B. durch Home-Office und weniger Verkehr der Mehrwert der Digitalisierung für die Umwelt durchaus steigen würde. Es gab Hoffnungen, dass mit ihr auch neue Arbeits(zeit)modelle und damit eine wertschätzendere Gesellschaft entstehen könnte.

Effizienzgewinne führen zu Mehrverbrauch

Auch in Unternehmen lässt sich durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz die Transparenz über die Prozesse erhöhen, zeigen Projekte, vorgestellt im factory-Magazin Industrie. Mit den gewonnenen Datenmengen können sie den Einsatz von Materialien und Energie effizienter steuern, eine digitale Ressourceneffizienz 4.0 kann mehr Ressourcen sparen.

Doch ihre Effizienzgewinne stecken Unternehmen in den allermeisten Fällen in die Erhöhung ihres Absatzes, wie Untersuchungen zeigen. Der sogenannte Rebound-Effekt führt zu mehr statt weniger Ressourcenverbrauch – und damit zu weniger Klima- und Artenschutz inklusive wachsender gesellschaftlicher Unsicherheit.

Dabei sind die Chancen der Digitalisierung für den sozial-ökologischen Wandel ja durchaus da. Würden Stoffe im Produktionsprozess digital registriert und mit ihrer Öko- und Sozialbilanz in einem Digitalpass verpflichtend im Handel landen, ließe sich nicht nur eine entwaldungsfreie, menschengerechte und ökologische Lieferkette etablieren, sondern auch eine konsequente Circular Economy. Und sicher ist, dass sich ohne diese eine klimaneutrale Welt nicht erreichen lässt. Zudem ließe sich mit Datenschutz und Suffizienz auch der Rebound begrenzen.

Was also tun? "Die Digitalisierung muss stärker in den Dienst der Gesellschaft und des sozial-ökologischen Wandels gestellt werden", fordern nun 13 Organisationen aus Umwelt,- Klima- und Naturschutz, Digitalpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Wissenschaft anlässlich der bevorstehenden Bits & Bäume-Konferenz ab 30. September 2022 in Berlin.

Digitalisierung mit Bedingungen

"Digitale Technologien sollten durch gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe und innerhalb der planetaren Grenzen zur Verbesserung von Lebensbedingungen und der Umwelt beitragen, anstatt durch explodierenden Energiebedarf, Ressourcenverbrauch und mangelnde Teilhabe vor allem des Globalen Südens existierende Krisen noch weiter zu verschärfen", heißt es in ihrem Appell.

Das Bündnis richtet sich mit über 60 thematischen Forderungen an die Bundesregierung, die Europäische Union und politische Akteure weltweit –  und hofft auf eine entsprechend konstruktive Debatte bei der Konferenz, der zweiten seit 2018.

Die Organisationen fordern, dass die Politik die strategischen Rahmenbedingungen für die Digitalisierung am Natur-, Klima- und Ressourcenschutz sowie am Erhalt der Biodiversität ausrichtet. Nur so könne die Digitalisierung insbesondere in den Sektoren Energie, Mobilität, Landwirtschaft, Industrie und Konsum zu grundlegenden sozial-ökologischen Transformationen beitragen.

Damit einhergehend müsse die Digitalisierung ein weltweit faires Wirtschaftssystem unterstützen, das dem Globalen Süden eine gerechte und wirtschaftliche Teilhabe ermöglicht. Lokale Gemeinschaften, zivilgesellschaftliche Gruppen und indigene Völker seien bei der Gestaltung der globalen Digitalwirtschaft und -politik aktiv einzubeziehen.

Damit gehen die Forderungen des Bündnisses deutlich über die Ansätze der jüngst beschlossenen Digitalstrategie der Bundesregierung hinaus.

Pflichten für eine umwelt- und menschengerechte Digitalwirtschaft

Thomas Korbun, wissenschaftlicher Geschäftsführer am IÖW, fordert die digitale Wirtschaft zu mehr Verantwortungsübernahme auf, aber auch Regulierung durch die Politik: „Digitalunternehmen müssen in die Pflicht genommen werden, Informationstechnologien und -infrastrukturen ohne Kompensation klimaneutral und an einer Kreislaufwirtschaft orientiert herzustellen und zu betreiben.“

Auch auf immer weiter verbreitete automatisierte Entscheidungssysteme gehen die Forderungen ein, denn diese werfen aus Sicht einer nachhaltigen Entwicklung viele Fragen auf. Korbun: „Wir fordern, dass Mitbestimmungs- und Grundrechte in den Daten und Algorithmen gewahrt werden, die der Entscheidungsfindung zugrunde liegen. Prüfkommissionen unter zivilgesellschaftlicher Aufsicht sollten dies sicherstellen, Auflagen formulieren und Nichteinhaltung sanktionieren können.“

Vor dem Hintergrund zunehmender Ernährungskrisen betonen die Organisationen zudem die Schlüsselrolle der Digitalisierung für die Landwirtschaft. „Gerade in Zeiten von Ernährungs- und Agrarkrisen braucht es einen umfassenden Rechtsrahmen, damit die Digitalisierung einen positiven Einfluss auf eine nachhaltige Landwirtschaft entwickeln und auf die Verwirklichung der globalen Ernährungssouveränität hinwirken kann. Digitalisierung muss sich an den Umweltzielen und den Bedürfnissen einer bäuerlich-ökologischen Landwirtschaft orientieren, damit diese unabhängig von Plattform-, Saatgut- und Landmaschinenkonzernen agieren kann“, so DNR-Geschäftsführer Florian Schöne.

„Die aktuellen Krisen haben noch deutlicher gemacht: Wir müssen unsere Gesellschaft grundlegend umbauen. Die Digitalisierung muss dazu aktiv so gestaltet werden, dass sie nachhaltig und ressourcenschonend wirkt und dass dabei Datenschutz nicht als Hemmschuh missverstanden, sondern genau wie IT-Sicherheit immer mitgedacht wird“, sagt Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs. „Die Konferenz „Bits & Bäume“ soll die Zivilgesellschaft vernetzen und auch Antworten finden, denn die nun drängenden Fragen haben wir lange genug aufgeworfen. So verstehen wir auch den Forderungskatalog des Bündnisses: als klaren Auftrag an die Regierung und als Update zu ihrer unzureichenden Digitalstrategie.“

Mehr zum Programm und zur Anmeldung auf der Seite von Bits & Bäume.

Mehr zu den Themen Digitalisierung, Circular Economy, Industrie und Klimaneutralität in den jeweiligen factory-Magazinen – oder inklusive entsprechender News in den Themenbereichen.

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