"Wie wollen wir leben?", diese Frage steht im Mittelpunkt der zweitägigen Genossenschaftsversammlung der GLS Bank. Mehr als 2000 Menschen haben sich dafür angemeldet, so viele wie noch nie. Schon am Nachmittag ist das neue Musikforum Bochums, dessen teilweise Finanzierung über Spenden auch eine Initiative der Bank war, fast übervoll, denn nur 1500 Personen sind feuerpolizeilich erlaubt. "Wir verteilen die Menschen und haben auch draußen noch Platz", erklärt Vorstandssprecher Thomas Jorberg.
Glücklich, wäre wahrscheinlich die häufigste Antwort auf die zentrale Frage. Doch was ist Glück, und wie lässt es sich messen? Ist, wer reich ist, glücklich, wer arm ist, unglücklich? "Geld ist nur ein Mittel zum Glück, aber nicht das Ziel", sagt Ha Vinh Tho. Er ist Direktor des Zentrums für Bruttonnationalglück in Bhutan, einem Kleinstaat mit einer Million Einwohnern am Rande des Himalaya. In Bochum hält er einen Vortrag dazu, wie sein König schon als Siebzehnjähriger erklärte, dass Glück wichtiger als das BIP sei, das Bruttoinlandsprodukt, Maßzahl aller gängigen Wirtschaftspolitik. Bhutan hat stattdessen das Bruttonationalglück in den Mittelpunkt seiner Politik gestellt (Mehr dazu in der Fotostory im factory-Magazin Glück-Wunsch). Die Bevölkerung beurteilt "gute Regierung", Kultur und Identität, Ökologie und nachhaltiges Wirtschaften. "Anders als herkömmliche Betriebs- und Volkswirtschafter sehen wir Profitmaximierung nicht als Ziel, sondern nur als Mittel." Deswegen sei wirtschaftliches Wachstum auch keine Größe für den Wohlstand einer Gesellschaft, dazu müsse auch seine Wirkung gemessen werden.
Dass Wachstum nicht alles ist, hat sogar die Versammlung der Vereinten Nationen erkannt. Trotz der global dominierenden kapitalistischen Wirtschaftsweise, hat sich die UN für Wohlstandswachstum und -messung an Bhutan orientiert. 2015 beschloss sie, 17 Nachhaltigkeitsziele bis 2030 (SDG = Sustainable Development Goals) zu erreichen, deren Umsetzung das "Bruttoglobalglück" beträchtlich erhöhen könnte. Was für Staaten und den Globus gut wäre, sei auch für Unternehmen nicht unmöglich, erwähnt Tho noch. Er sei auch beratend für den drittgrößten Konzern in Thailand tätig, B.Grimm, der sich auch an seiner "Glücksproduktion" messen lassen will.
Für die Teilnehmer der Hauptversammlung lohne sich die Anreise allein schon für den Vortrag von Ha Vinh Tho, freut sich Thomas Jorberg. Weil die Welt eine andere zu werden scheint, seien schließlich die alten Fragen wie nach der Art zu leben drängender denn je. Immerhin würden die 25000 Unternehmen, die die GLS Bank finanziert, zeigen, wie gut gemeinwohlorientiertes, nachhaltiges Wirtschaften funktioniere. "Unsere Kunden beweisen, dass ganzheitliches Wirtschaften erfolgreich ist", sagt Jorberg. Das müsse auch im globalen Maßstab funktionieren, fordert Jorberg, denn die UN-Nachhaltigkeitsziele seien schließlich verbindlich für alle Staaten der Welt, ebenso wie das Pariser Klimaabkommen. Selbst nach dem Ausstieg von Trumps US-Regierung plädiere einer der größten Ölkonzerne der Welt und jahrzehntelange Klimaleugner, Exxon, für das Pariser Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung.
"Die GLS Bank will sich deswegen stärker als bisher in die politische Diskussion einbringen", erklärt Jorberg. "Wir fordern ein, was global längst beschlossen ist." Das "Nationalargument", dass man als einzelner Staat nichts machen könne, sei mit den SDG und Paris vom Tisch. Bei der Generalversammlung der Genossenschaftsmitglieder präsentiert er deswegen vier Forderungen an die deutsche Bundesregierung, die so noch nicht einmal von den Grünen oder der Linken kommen – nicht einmal im Superwahljahr 2017: Nach einer stärkeren Besteuerung von Kapital, einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle, einem Preis für CO2-Emissionen und einer Abgabe auf Pestizide und Mineraldünger. Die Bank fordert im Einzelnen:
1. Arbeit entlasten, Kapital belasten. Digitalisierung und künstliche Intelligenz ersetzen vielfach menschliche Arbeit. Arbeit erhält dadurch weniger, Kapital mehr vom Kuchen der Einkommen. Darum braucht es eine stärkere Besteuerung von Kapital und Kapitalerlösen sowie eine steuerliche Entlastung bei den Arbeitseinkommen.
2. Ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es verteilt unsere Ressourcen besser, verringert Armut und fördert sinnstiftende Tätigkeiten. Es ist finanzierbar: durch wegfallende Sozialleistungen und Erträge aus Kapitalsteuern.
3. Ausnahmslose Abgabe auf CO2-Ausstoß. Um die Verpflichtung aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen, braucht es eine Abgabe auf Kohlendioxid. Sie sollte zunächst 40 Euro pro Tonne betragen. Deutschland muss hier als Vorbild vorangehen – für eine zukunftsfähige Energiepolitik.
4. Konsequente Abgabe auf Spritz- und Düngemittel. Die schädlichen Folgen von Spritz- und Düngemitteln dürfen nicht mehr von der Allgemeinheit bezahlt werden. Wer Wasser und Boden verschmutzt, muss dafür die Verantwortung – und damit die Kosten – tragen.
Damit ist die GLS Bank die erste und einzige Bank Deutschlands, die an die Regierung eines Landes politische Forderungen stellt. Ausführlich begründet sie ihre Forderungen hier. Jorberg betont, dass es sich dabei nicht um Forderungen aus einer bestimmten "ideologischen Ecke" handele, sondern dass sie unter Wissenschaftlern, vielen Politikern und Unternehmensführungen wie im Silicon Valley Common Sense seien. "Wir müssen alles für den Klimaschutz tun und den Wohlstand besser verteilen. Das sind langfristig die wirksamsten Mittel gegen Nationalismus, Krieg und Flucht." Um die gesamte Gesellschaft zu erreichen, brauche es nun wegweisende Entscheidungen der Politik. Die Ziele der SDG und von Paris gelten schließlich für alle, zukunftsfähiges Wirtschaften gehe nur unter diesen Bedingungen.
Dass die Bank mit ihrer eigenen Arbeit diese erfüllt, davon sind die Banker überzeugt. "Die Nachfrage nach Krediten ist größer als unsere Kapazität", sagt Jorberg. Selbst nach dem im letzten Jahr von der Generalversammlung beschlossenen Mitgliedsbeitrag von 60 Euro pro Jahr zur Sicherung der Banktätigkeit, nachdem die Gebühren- und Zinseinnahmen diese nicht mehr decken, seien in den ersten fünf Monaten des Jahres 2017 jeden Monat zwischen 1700 und 2000 neue Kunden hinzugekommen. 2016 war die GLS Bank die erste, die einen solchen Beitrag zur Mitfinanzierung einführte. Nur 3500 Kunden und 2500 Mitglieder kündigten daraufhin. "Wesentlich weniger als erwartet", sagt Jorberg. Auf die mit der Zahlungsaufforderung verschickte Mitgliedschaftseinladung habe die Bank einen Boom an Neumitgliedern erlebt, erklärte Vorstand Christina Opitz. "Noch nie haben wir in so kurzer Zeit so viele Mitglieder gewonnen." Knapp 46800 Genossen tragen die GLS Bank nun, die mit einem Eigenkapital von 392 Millonen Euro ausgestattet ist, gewachsen um 9,7 Prozent seit Anfang 2017. "Selbst die Kundeneinlagen haben sich noch um 0,4 Prozent verbessert, auf 3918 Millionen Euro", so Opitz, "dabei wollen wir keine Großanleger mehr und belasten Einlagen über eine Million Euro mit einem Negativzinssatz von 0,4 Prozent."
Erfolgreich ist auch seit Februar laufendes Projekt der Bank, das Crowdfunding über die GLS Crowd. Vor einigen Tagen wurde das dritte Projekt in voller Höhe gezeichnet. "Noch nie wurde so schnell das Crowdfunding-Ziel erreicht", freut sich Opitz. "Innerhalb von drei Monaten konnten wir insgesamt eine Million Euro für drei Projekte generieren."
Es läuft also weiterhin gut für die GLS Bank, wie die Zahlen zeigen. Zu wünschen wäre, dass ihre Forderungen ebenso gut ankommen. Gefragt nach einer Strategie, wie die Bank diese verstärkt in die Politik bringen will, hofft Jorberg vor allem auf die öffentliche Aufmerksamkeit. "Es geht gar nicht nur um Allianzen: Man muss auch Haltung zeigen." Zumindest mit den ersten Hausbesetzer*innen seit Jahrzehnten in Bochum haben die Banker schon gesprochen: Beim zukünftigen Hausprojekt müsste nur die lokale Politik mitspielen. Die Kontakte sind gut, immerhin spricht der Oberbürgermeister ebenfalls im Musikforum.
Mehr zum Glück und zur Glückserzeugung und -vermessung im factory-Magazin Glück-Wunsch.