Der starke Verlust von Pflanzen- und Tierarten, der seit Jahrzehnten dokumentiert wird, gerät neben der Klima- und Wirtschaftskrise allmählich stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Zuletzt stellte der aktuelle Living-Planet-Index fest, dass in den letzten 50 Jahren der Bestand an von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien weltweit bereits um 68 Prozent gesunken ist. Hinzu kommt, dass von den 20 Zielen, die sich die Vereinten Nationen vor zehn Jahren auf ihrem Biodiversitätsgipfel in Aichi bis 2020 gesetzt hatten, bisher kein einziges erreicht wurde, wie der Global Biodiversity Outlook der UN berichtete.
So bedroht die mangelnde Umsetzung der Biodiversitätsziele auch das Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (SDGs) sowie des Pariser Klimavertrags.
Dabei sind die hohen, spektakulären Verluste einzelner Arten nur die eine, traurige Seite der Entwicklung. Viel dramatischer, aber weniger bekannt, ist die Bedeutung der Vielfalt der Arten. Schließlich gewährleistet die Biodiversität auf der Erde, zu der die Vielfalt der Arten, die genetische Vielfalt innerhalb der Arten und die Vielfalt der Ökosysteme gehören, die Lebensgrundlagen aller Lebewesen und damit auch der Menschen.
Denn von der Biodiversität hängen fundamentale Prozesse wie das Pflanzenwachstum und die Stabilität von Stoffkreisläufen ab. Die biologische Vielfalt nimmt aber weltweit kontinuierlich ab. Dieser Verlust habe mittlerweile ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht, sagen die meisten Forscher*innen. Deshalb befassen sich zahlreiche wissenschaftliche Studien und Experimente mit der Bedeutung der Biodiversität für das Funktionieren von Ökosystemen und ihrem Nutzen für den Menschen.
Artenverlust mit direkten Konsequenzen für die Menschheit
Eines der größten und am längsten laufenden Projekte zur Biodiversität ist das Jena Experiment, von 2002 bis 2019 gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und koordiniert an der Universität Jena. In dem Experiment haben Forscherinnen und Forscher von verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen Effekte der Biodiversität im Grünland untersucht. Anhand einer umfassenden Quantifizierung von Zyklen wichtiger chemischer Elemente sowie der Untersuchung von über- und unterirdischen Prozessen haben sie die zugrunde liegenden Mechanismen aufgedeckt.
„Die Arbeiten des Jena Experiments belegen, dass der aktuelle Artenverlust direkte Konsequenzen für die Menschheit hat“, sagt Professor Wolfgang Wilcke. Er hat für das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) an dem Experiment mitgewirkt und den Zusammenhang zwischen pflanzlicher Diversität und dem Stickstoff- und Phosphor-Kreislauf erforscht. „Damit brechen scheinbar selbstverständliche Beiträge der Natur für uns Menschen weg.“
Als Beispiele nennt der Geoökologe die Produktion von Biomasse für Nahrungsmittel, Textilien, Baustoffe und Energieträger sowie für die Wasser- und Nährstoffkreisläufe. Deren Veränderung und Reduktion habe schwerwiegende Folgen wie Hochwasser, Dürre oder Grundwasserkontamination. „Um diese Entwicklung aufzuhalten und die Artenvielfalt zu schützen, bedarf es weiterer Forschung sowie praktischer Maßnahmen auf allen Ebenen – vom einzelnen Konsumenten über nationale Regierungen bis hin zu internationalen Gremien“, so Wilcke.
Bedeutung der Biodiversität nur mit interdisziplinärer Forschung aufklärbar
In einer Serie von drei Publikationen in der Zeitschrift Nature Ecology & Evolution hat das Jena Konsortium zwischen 2018 und 2020 wichtige Ergebnisse publiziert: Je mehr Ökosystemfunktionen, wie ein geschlossener Nährstoffkreislauf, und daraus resultierende Ökosystemleistungen, zum Beispiel die Biomasseproduktion, erreicht werden sollen, desto mehr Pflanzenarten bräuchte man, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Gemeinsam mit dem BioDIV Experiment in den USA fand das Jena-Konsortium außerdem heraus, dass die Ergebnisse der künstlichen Experimente, in denen Pflanzenartenmischungen in der Regel zufällig zusammengesetzt wurden, beständig sind und sich auf die natürliche Welt übertragen lassen.
In der neuesten Publikation kommt das Jena Experiment zu dem Schluss, dass sich Ökosystemfunktionen und -leistungen nicht allein aus den Eigenschaften der Pflanzen vorhersagen lassen. Vielmehr ist die gesamte Komplexität der biotischen und abiotischen Interaktionen eines Ökosystems zu berücksichtigen, das heißt alle Wechselwirkungen in der belebten und der unbelebten Natur.
Quelle: KIT