„sMon – Biodiversitätstrends in Deutschland“, so heißt das Projekt des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), in dessen Rahmen die Datensammlung entstanden ist. Forscher*innen von iDiv, der Universitäten Jena, Halle und Rostock, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) sowie des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) waren daran beteiligt – und die oberen Naturschutzbehörden aller 16 Bundesländer. Die Pflanzenvielfalt ist von hoher Relevanz für die Produktivität von Ökosystemen.
29 Millionen Daten zur Verbreitung von Gefäßpflanzen – das sind höhere Pflanzen, die durch Leitbahnen Wasser und Nährstoffe transportieren, anders als Algen und Flechten – flossen in die Analysen ein, die im Rahmen des Vorhabens ausgewertet wurden.
Das Ergebnis ist erschreckend: In der Fläche ist über ganz Deutschland hinweg in jedem Rasterfeld (ca. 5 mal 5 Kilometer) ein mittlerer Rückgang der Artenvielfalt um rund zwei Prozent pro Jahrzehnt zu verzeichnen. Das heißt, dass auf einer Fläche in den 1960er Jahren z.B. noch 10 verschiedene Arten einer Pflanze wuchsen, 60 Jahre später sind es nur noch knapp acht. Bei der hohen Abhängigkeit der Produktivität und Widerstandskraft von der Vielfalt von Ökosystemen ist dieser Rückgang der Biodiversität alarmierend – der Verlust wirkt auch auf den Menschen.
Die Untersuchungen ergaben, dass zu den Verlierern insbesondere Archäophyten zählen. Das sind Arten, die durch den Menschen, aber bereits vor der Entdeckung Amerikas nach Deutschland gelangten. Dazu gehören unter anderem große Teile der Ackerbegleitflora in Deutschland, wie die Saat-Wucherblume und der Echte Frauenspiegel (Bild oben), aber auch Arten, wie der Große Klappertopf und der Gute Heinrich.
Dagegen konnten sich viele Neophyten, also Arten, die nach 1492 Deutschland erreicht haben, ausbreiten, wie zum Beispiel das Drüsige Springkraut oder das Schmalblättrige Greiskraut.
Die Ergebnisse der Studie machen aber deutlich, dass selbst diese Zunahme die Verluste der Artenzahl pro betrachteter Flächeneinheit nicht ausgleichen konnten.
BfN-Präsidentin Prof. Dr. Beate Jessel schlussfolgert: „Es wird einmal mehr deutlich, dass wir in unserem Umgang mit Natur und Landschaft zu einem Umdenken kommen müssen. Denn die in der Studie nachgewiesenen Bestandsrückgänge erstrecken sich über die gesamte Fläche Deutschlands. Das macht deutlich: Wir müssen breit in der Fläche an der Land- und Forstwirtschaft ansetzen, die beide zusammen ja 80 Prozent der Flächen in Deutschland einnehmen. Naturverträglichere Nutzungsformen sind dringend geboten.“
„Die Ergebnisse haben uns in dieser Deutlichkeit wirklich überrascht. Sie zeichnen ein sehr düsteres Bild des Zustandes der Pflanzenvielfalt in Deutschland“, sagt Erstautor Dr. David Eichenberg von iDiv. „Dabei wurde bestätigt, dass die Rückgänge nicht auf die ohnehin seltenen oder besonders gefährdeten Arten beschränkt sind, sondern offensichtlich schon seit längerem ein schleichender Biodiversitätsverlust der Mehrzahl der Pflanzenarten in Deutschland stattfindet.“
Die Autoren halten es für wahrscheinlich, dass der beobachtete Rückgang der Pflanzenvielfalt wesentliche Auswirkungen auf die Biodiversität und die Leistungen von Ökosystemen hat. Aufgrund der oft sehr komplexen Zusammenhänge zum Beispiel über Nahrungsnetze und Kaskadeneffekte, können derartige Verluste sehr gravierende Auswirkungen haben. Offensichtlich werden die vielschichtigen Beziehungen bei den Insekten, die sowohl in ihrer Vielfalt als auch in ihrer Häufigkeit abnehmen.
Die Studie zeige aber auch, dass die Datenlage weiterhin verbessert werden muss, um auch schleichende Verluste der biologischen Vielfalt möglichst frühzeitig zu entdecken. Um dies zu erreichen, legt das Bundesamt für Naturschutz gerade die Grundlagen für ein Monitoring mittelhäufiger Pflanzenarten in Deutschland. Im Gegensatz zu seltenen Arten, deren Bestände und Vorkommen oft gut untersucht sind, fallen Verluste bei den mittelhäufigen bis häufigen Arten mit den gegenwärtigen Erfassungsmethoden erst spät oder gar nicht auf.
Für die im Fachjournal Global Change Biology veröffentlichte Studie wurden erstmals für Deutschland derart große und heterogene Datensätze zusammengeführt und statistisch belastbar ausgewertet. Grundlage dafür war die Datenbank FlorKart, in der das BfN Verbreitungsdaten der Flora Deutschlands zusammengefasst hat. Sie sind überwiegend das Ergebnis intensiver ehrenamtlicher und für den Naturschutz unverzichtbarer Kartierungsleistungen. Ergänzt wurde der Datensatz durch weitere, an Universitäten, anderen wissenschaftlichen Einrichtungen, aber auch durch Privatpersonen erhobene Datensätze zu Pflanzenvorkommen. Die Nachweislücken wurden durch Berechnungen von Vorkommenswahrscheinlichkeiten gefüllt. Verbreitungsdaten von 2136 der gut 4300 in Deutschland etablierten Pflanzenarten flossen in die Berechnungen ein. Nicht untersucht wurden Arten mit sehr geringen Meldehäufigkeiten.
Die Studie wurde unter anderem gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT 118, 202548816) im Rahmen von „sMon – Biodiversitätstrends in Deutschland".
Originalpublikation:
Eichenberg D., Bowler D. E., Bonn A., Bruelheide H., Grescho V., Harter D., Jandt U., May R., Winter M., Jansen F. (2020): Widespread decline in central European plant diversity across six decades; Global Change Biology. DOI: 10.1111/gcb.15447
Bild: Venus-Frauenspiegel (Legousia speculum-veneris). Von Fornax in der Wikipedia auf Deutsch. Uploader to Commons is Körnerbrötchen. - Übertragen aus de.wikipedia nach Commons., Gemeinfrei, commons.wikimedia.org/w/index.php