Bei besserer Datenlage ließe sich der Tonnentag wie der Earth Overshoot Day für Deutschland auch im Kalender verfolgen. Während der Earth Overshoot Day, der Erdüberlastungstag, sich jährlich im Kalender nach vorn verschiebt, da der nicht erneuerbare Ressourcenverbrauch jährlich wächst, sollte analog der Tonnentag im Kalender nach hinten wandern, weil sich zum Thema Lebensmittelverschwendung in Deutschland wenig tut.
Dabei hat sich die Bundesregierung im Klimaschutzplan 2050 neben der Reduzierung von Stickstoffüberschüssen, von Emissionen aus der Tierhaltung, der Ausweitung des ökologischen Landbaus und der Umschichtung von Agrarsubventionen auch eine Begrenzung der Lebensmittelverschwendung vorgenommen und will die Lebensmittelabfälle und -verluste im Land bis 2030 halbieren. Konkrete Politikinstrumente dafür hat sie bis heute jedoch nicht benannt.
Von einem Programm für nachhaltigen Konsum, einer nationalen Strategie gegen Lebensmittel- und damit Ressourcenverschwendung mit konkreten Reduktionszielen für einzelnen Branchen und der Schaffung einer nationalen Koordinierungsstelle, wie der WWF und andere NGO es fordern, scheint die Bundesregierung im Superwahlkampfjahr 2017 weit entfernt. Dabei hat sie sich 2016 nicht nur einen Klimaschutzplan gegeben, sondern auch zur Einhaltung der Internationalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, den Sustainable Development Goals (SDG), verpflichtet.
Und Sustainable Development Goal (SDG) 12 sieht vor, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung im Handel und auf Verbraucherebene zu halbieren und die Verluste in der Produktion und der Lieferkette, einschließlich der Nachernteverluste, zu reduzieren. Von einer klaren Strategie im Bund ist jedoch keine Spur zu sehen, dabei ist eine Einsparung von fünf Millionen Tonnen Lebensmittelverlusten in der gesamten Kette innerhalb von knapp 12 Jahren keine einfache Sache.
Und so bleibt auch der Tonnentag auf dem 2. Mai im Kalender stehen, statt wie in einem fortschrittlichen und umweltbewussten Land wie Deutschland nach vorn im Kalender zu wandern, um anzuzeigen, dass es eben auch weniger als ein Drittel aller in Deutschland produzierten Lebensmittel sein können, die in die sprichwörtliche Tonne gelangen. Denn das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung hierzulande ist erschreckend. Gut ein Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs von 54,5 Millionen Tonnen geht auf dem Weg vom Acker zum Teller verloren oder wird verschwendet - insgesamt 18 Millionen Tonnen meist noch perfekt genießbare Lebensmittel.
„Umgerechnet sind alle Nahrungsmittel, die wir in den ersten vier Monaten von 2017 produziert haben, auf dem Müll gelandet“, erklärt Tanja Dräger de Teran, WWF-Referentin für Landwirtschaft. Die 2015 veröffentlichte WWF-Studie Das große Wegschmeißen rechnete vor, dass pro Sekunde in Deutschland 313 Kilo genießbare Nahrungsmittel unnötigerweise weggeworfen werden. Bei einigen Produkten ist die Verschwendung besonders hoch. Eine andere WWF-Studie hatte ergeben, dass etwa 35 Prozent der deutschen Kartoffeln nicht auf die Teller der Verbraucher gelangen, da ihr Äußeres nicht den strengen Anforderungen des Handels genügt. Jedes Jahr werden so 1,5 Millionen Tonnen Kartoffeln verschwendet – etwa 60.000 LKWs mit einem Füllgewicht von 25 Tonnen.
Das Traurige an der Lebensmittelverschwendung ist vor allem, dass der Großteil davon vermeidbar wäre. „Bereits heute können wir auch ohne den Einsatz neuer Technologien, 10 der 18 Millionen Tonnen Lebensmittelverluste vermeiden - etwa durch ein verbessertes Management entlang der Wertschöpfungskette, nachhaltigere Marketingstrategien und veränderte Konsumgewohnheiten“, betont Dräger de Teran. Von den 10 Millionen Tonnen vermeidbarer Lebensmittelabfälle liegen die Einsparpotenziale zur Hälfte beim Endverbraucher, mit knapp 5 Millionen Tonnen ist das Vermeidungspotenzial bei den Großverbrauchern sowie auf der Ebene des Einzel- und Großhandels aber genauso groß.
Den WWF-Berechnungen zufolge werden jährlich 2,6 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche – in etwa die Fläche von Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland zusammen – in Deutschland für die später weggeworfenen Lebensmittel umsonst bewirtschaftet. Hinzukommen unnötig freigesetzte Treibhausgasemissionen in Höhe von 48 Millionen Tonnen.
Angesichts dieses verheerenden Ausmaßes der Verschwendung appelliert der WWF an die Bundesregierung, endlich Worten Taten folgen zu lassen und das Problem konsequent anzugehen. „Seitens der Bundespolitik hat es in der Vergangenheit viele Ankündigungen gegeben. Aber bis heute fehlt es an einer fundierten Erfassung der Lebensmittelverluste. Damit ist es auch nicht möglich nachzuweisen, ob überhaupt und was konkret erreicht worden ist“, kritisiert Dräger de Teran.
Pro Stunde gehen zwar 1127 Tonnen Lebensmittel in Deutschland verloren – und ebenso die für sie notwendigen Ressourcen zur Produktion, Beförderung, Verarbeitung und Frischhaltung, doch die Datengrundlage bezeichnet auch der WWF in seiner Studie von 2015 als unzureichend. Nach wie vor besteht substanzieller Forschungsbedarf, nicht nur um eine bessere Quantifizierung der Verluste zu erlauben, sondern auch die Gründe für sie besser zu kennen. Immerhin müssten 10 Millionen Tonnen Lebensmittel und 48 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen gar nicht erst produziert werden.
Mehr zu den Zahlen in der WWF-Studie Das große Wegschmeißen. Mehr zur Verschwendung von Ressourcen und die Aufnahme von Schulden an der Natur (Ökoschulden) im factory-Magazin Schuld & Sühne. Wie eine funktionierende Kreislaufwirtschaft das Problem der Lebensmittelverschwendung lösen könnte, lesen Sie im factory-Magazin Circular Economy. Welche einfachen Methoden zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen existieren, zeigt der Beitrag Inseln gegen den Strom aus dem factory-Magazin Utopien.
Quelle: Weltagrarbericht, WWF