Ab dem ersten August lebt die Menschheit für den Rest des Jahres über ihre Verhältnisse: Sie geht an die Reserven, die nicht regenerierbar sind. Sie lebt "auf Pump" bei einem Gläubiger, der den wachsenden Schuldenstand zu Katastrophen werden lässt.
Der Earth Overshoot Day ist eine jährlich wiederkehrende Mahnung: Je weiter er vorn im Kalender liegt, desto höher die Überlastung der Biosphäre. Dabei ist die Verantwortung dafür unterschiedlich: Deutschlands Overshoot Day 2024 war bereits am zweiten Mai. Würden alle Menschen so viel verbrauchen, wären drei Erden nötig, nicht “nur” 1,7.
Der globale Erdüberlastungstag ist eine der markantesten Erinnerungen im Kalender – zumindest bei den Engagierten für Klima- und Umweltschutz. Mittlerweile erinnern nicht nur entsprechende Organisationen an den übermäßigen Ressourcenverbrauch. Auch viele Unternehmen nutzen die Gelegenheit, um auf die Notwendigkeit der Ressourcenschonung hinzuweisen – und ihre eigenen diesbezüglichen Leistungen.
Kreislauf ohne Rebound?
Das verheißt echte Marketingblüten: So verweist z. B. 3M Deutschland darauf, dass laut eigener Studie 55 Prozent der Deutschen so genannte “Green Jobs” als essenziell für die Eindämmung des Klimawandels halten. Und Sanitärausstatter Grohe wirbt für eine neue Toilettengeneration, die Abfälle direkt an der Quelle behandelt – ohne ressourcenintensiven Anschluss an Kanalisation oder Kläranlage.
Die Bemühungen der Unternehmen in allen Ehren, aber ohne eine von allen getragene echte Reduktion des Verbrauchs der natürlichen Ressourcen, die vorrangig auf Kreislaufführung verarbeiteter Stoffe, lange Nutzungsdauern, Reparaturfähigkeit, erneuerbare Energien, weniger Fleischproduktion und Food-Waste, Bauen im Bestand und weniger Flächen- und Naturverbrauch setzt, wird sich der Earth Overshoot Day kaum so schnell nach hinten im Kalender bewegen, wie es für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen notwendig wäre.
So wird zwar an allen oben genannten Stellschrauben gedreht, siehe Circular Economy Action Plan der EU, siehe Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie, Ecodesign-Richtlinie und digitaler Produktpass. Und immerhin bewegt sich der globale Erdüberlastungstag auch seit zehn Jahren praktisch auf der Stelle, wandert also wenigstens nicht weiter Richtung Jahresanfang. Das dürfte daran liegen, dass weltweit mehr Photovoltaik- und Windkraftanlagen die fossile Stromerzeugung mit Kohle, Öl und Gas ersetzen. Während es hier große Fortschritte gibt, sieht es bei der Reduktion der Materialverbrauchs weiterhin düster aus.
Ressourcenschutz wirksam machen
Die bisherigen Ansätze zu Zirkularität und Materialeinsparung scheinen eher leichte Berührungen dieser Stellschrauben zu bleiben, ohne größere Wirkung. Denn eine entsprechende Wirtschaftsordnung mit z. B. einer nationalen Ressourcenschutz- analog zur Klimaschutzgesetzgebung mit richtungsweisenden Rahmen- und Marktbedingungen für alle Akteure fehlt bisher.
Dazu gehörte auch eine wirksame Ressourcensteuer, die Ressourcenentnahme und den “Verbrauch” mit einem steigenden Preis verbindet. Das Festhalten an einer absatzorientierten linearen Wertschöpfungsordnung führt trotz steigender Effizienz und Produktivität nicht zu einem gemäßigteren Naturverbrauch, siehe Rebound, siehe Flugverkehr.
So ist die primäre Energieversorgung noch immer zu 80 Prozent fossil basiert – mit einer weiteren Überlastung der Atmosphäre, Meere, Gesundheit ... So sind sechs von neun planetaren Grenzen überschritten, die Risiken eines kippenden Erdsystems inklusive menschlicher Konflikte sicht- und spürbar.
Ändert sich die globale Wirtschaftsweise nicht, steigt der Ressourcenverbrauch bis zum Jahr 2060 um 60 Prozent, stellt das International Resources Panel (IRP) der Vereinten Nationen in seinem Global Resources Outlook 2024 fest. Schon der gegenwärtige Verbrauch führt bereits zu “55 Prozent der Treibhausgasemissionen, 40 Prozent der jährlich 200 Millionen Lebensjahre kostenden Feinstaubemissionen und 90 Prozent des landnutzungsbedingten Biodiversitätsverlusts”, heißt es im factory-Magazin Wohlstand in seiner Zahlenrubrik.
Ohne Änderung erledigen sich alle Hoffnungen auf die Erreichung globaler Umweltabkommen zur Begrenzung der Erderhitzung, der Wüstenbildung und des Verlusts der biologischen Vielfalt – und der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDG), warnt das IRP.
Genug wäre eine Lösung
Zwar macht der Ausbau der Erneuerbaren Energien weltweit Fortschritte und Mut, dennoch bleiben die Randbedingungen für fossile Investitionen trotz Emissionshandel und CO2-Preis weiterhin gut bzw. erlaubt, selbst in den vermögenden Ländern. Wie oben erwähnt: 80 Prozent der Primärenergieproduktion sind weiter fossil. Stranded Assets lösen offenbar genauso wenig Ängste aus wie überschrittene Kipppunkte. Eher wird auf fossilen blauen Wasserstoff aus Erdgas gewettet, dessen Treibhausgase dauerhaft in ausgebeutete Erdgaskavernen gepresst oder zu Schaumstoff und Isoliermaterial wird.
Und die Circular Economy erreicht bei aller Euphorie offenbar noch keine Ressourceneinsparung. So ist sie zwar inzwischen offenbar "Megatrend", der Umfang der Diskussionen, Debatten und Artikel zur CE hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht, konstatiert der Circularity-Gap-Report 2024. Aber die globale Zirkularität sinkt dennoch weiter – statt zu steigen: Vom ohnehin niedrigen Niveau von 9,1 Prozent verwendetem Sekundärmaterial in der globalen Wirtschaft 2018 auf 7,2 Prozent 2023 – ein Rückgang um 21 Prozent.
In der gleichen Zeit, von 2018 bis 2023, hat die Welt über 500 Gigatonnen Material verbraucht. Das sind in fünf Jahren 28 Prozent dessen, was die Menschheit seit dem Jahr 1900 in bisher 123 Jahren verbraucht hat.
Es geht also kein Weg daran vorbei, über Suffizienz, über ein “Genug zum guten Leben für alle” zu reden und diese Erzählung zur regelbasierten Ordnung zu machen. Und dabei nicht die Gerechtigkeit zu vergessen. Denn der Ressourcenverbrauch lässt sich durch Gleichheit senken. Sonst bleibt der lange geduldigen Biosphärenbank nur noch die Verkündung der Insolvenz.
Damit das alles nicht zu deprimierend wird, hier nochmal gern der Hinweis auf das factory-Magazin Wohlstand. Das mit feinen Rezepten für große und kleine Politiken doch noch einmal Mut machen möchte, die Erzählung zu verändern – und auf jeden Fall mit Genuss. #MoveTheDate. Weitere Lösungen auch im kommenden Magazin Kapital.