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Wie eine neue Bundesregierung die Umwelt- und Klimaziele bis 2030 und 2045 sozial und ökologisch gerecht erreichen kann

Nach dem historischen Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die jetzige Bundesregierung die Klimaziele konkretisiert und verschärft: Klimaneutral soll Deutschland schon 2045 sein, die Emissionen sollen bis 2030 schnell sinken. Wie die nächste Bundesregierung dies sozial und ökologisch gerecht erreichen kann, hat das Wuppertal Institut in einem Maßnahmenkatalog für die multiple Wende bei Energie, Ressourcen, Ernährung, Städten, Verkehr, Industrie und Konsum zusammengefasst.

"Die kommende Bundesregierung muss aus ambitionierten Zielen eine erfolgreiche Ressourcen- und Klimapolitik machen und dabei alle Bürgerinnen und Bürger mitnehmen." So leitet das Wuppertal Institut seinen Zukunftsimpuls zur Bundestagswahl 2021 ein – und setzt auf den Ressourcenschutz als wichtigen Hebel für Klimaschutz und gesellschaftlichen Wandel. Der Katalog zielt auf eine multiple Transformation in vielen Bereichen und bezieht auch die Ernährungs-, Urbane und Konsumwende mit ein.

„Die nächste Legislaturperiode ist die entscheidende Zeit, um die 2020er Jahre zu einer Dekade der Umsetzung zu machen und den Klimaschutzpfad unumkehrbar zu betreten“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts. Um auf den Weg zum Klimaneutralitätsziel 2045 einzuschwenken, müsse die kommende Regierung die Weichen mit einem 100-Tage-Sofortprogramm stellen. Mit dem Zukunftsimpuls "Zeit für den Kurswechsel: hin zu einer klimagerechten, ressourcenleichten Gesellschaft" liefern die Wuppertaler Wissenschaftler*innen den konkreten Rahmen dafür.

Bei der Umsetzung müsse die nächste Bundesregierung vor allem auch auf soziale Gerechtigkeit und Möglichkeit zur Teilhabe achten, erklärt Manfred Fischedick, es ginge auch um das Denken in größeren Zusammenhängen und ein Adressieren aller relevanten Nachhaltigkeitsdimensionen.

Denn gerade die so genannten "soziale Frage" wird immer wieder – und besonders im Wahlkampfzeiten – gegen notwendige und konkrete Klima- und Ressourcenschutzmaßnahmen angeführt, siehe die seit langem immer wieder geführten Debatten um vermeintliche Verbote von Einfamilienhäusern, Inlandsflügen und günstigem Grillfleisch. Um den Klimaschutz nachhaltig zu machen, müsse Gerechtigkeit nicht nur zwischen den Generationen hergestellt werden, wie das Verfassungsgericht mit seinem Urteil feststellte, sondern auch zwischen den sozialen Schichte, fordern die Wuppertaler Forscher*innen in ihrem Zukunftspapier.

So dürften die Lasten einer Wärmewende in Wohngebäuden nicht allein die Mieter*innen tragen. Trotz umfassender Finanzierungsprogramme stagniere die Wärmewende seit Jahren, hier brauche es mehr Schub – und gerechte Verteilung der Lasten.

Um den Wandel gerecht zu gestalten, empfehlen die Expert*innen des Wuppertal Instituts, gute Argumente und attraktive Rahmenbedinungen. So könne auch eine neue Bundesregierung nicht erfolgreich sein, wenn sie die Bürger*innen außen vor lasse. "Klimaschutz darf nicht so daherkommen, als wolle man die Lebensstile einer sozialen Gruppe anderen sozialen Gruppen vorschreiben", heißt es.

Allerdings müsse und könne eine erfolgreiche Klimapolitik aber die Umwelt- und Klimabilanz der Produkte und Dienstleistungen verändern. So könnten die Mobilitätsbedürfnisse weiter sichergestellt werden, wenn eine leistungsstarke Bahn, Elektroantriebe mit erneuerbarem Strom, eine attraktive Rad- und Fußgängerinfrastruktur und ein breites Angebot der öffentlichen Verkehrsmittel die alten Verbrennungsfahrzeuge und das Fliegen in Deutschland ablösen. Die Möglichkeit zur Nutzung müsse aber allen offenstehen – "Exklusion ist kein Mittel der Nachhaltigkeit."

Dass das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 allein nicht ausreicht, um das Pariser 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sagen die Wuppertaler gleich zu Beginn – Deutschland müsste schon fünf bis zehn Jahre früher klimaneutral sein. Auch deswegen hätten die 2020er Jahren eine "überragende Bedeutung": "Es darf keine Zeit im „Klein-Klein“ verloren werden, welches das politische Handeln häufig bestimmt." Mit einem dedizierten 100-Tage-Programm empfehlen die Wuppertaler*innen die Weichen für die Transformation zu stellen.

Für sieben zentrale Transformationsarenen haben sie mit Blick auf alle Bereiche von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik die jetzt notwendigen Schritte aufgeführt.

Ihre Kernempfehlungen:

Für die Energiewende: Mindestens eine Verdopplung der Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien, die intelligente Integration von flexibler Nachfrage und Speichern, der Ausbau der Infrastruktur für Wasserstoff und ein deutliches Vorziehen des Kohleausstiegs. Darüber hinaus für den Gebäudebereich ein Sofortprogramm für eine größere Sanierungstiefe und -rate für bestehende Gebäude und Klimaneutralität als Anforderung an den Neubau. Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer müssen zur Lösung des Vermieter-Mieter-Dilemmas an den CO2-Kosten anteilig beteiligt werden und staatliche Förderung muss helfen, die Kosten des Umbaus zu tragen.

Für die Ressourcenwende: Ein Übergang von der Einweg- zur ressourcenleichten und klimaneutralen zirkulären Materialwirtschaft durch klare Nachhaltigkeitsstandards, das Design von recyclingfähigen und ressourcenleichten Produkten und durch Digitalisierung einen Schub für ein besseres Management von Abfallströmen.

Für die Ernährungswende: Die konsequente Unterstützung einer nachhaltigen Außer-Haus-Verpflegung und des Einzelhandels sowie des Übergangs auf eine ökologische Agrarwirtschaft. Sensibilisierung für eine gesündere, klimaverträgliche, fleischärmere Ernährung, unter anderem durch Förderung von Fleisch-Ersatzprodukten.

Für die Urbane Wende: Städte und Gemeinden sind die Orte, an denen mehrere Wenden aufeinandertreffen: Der öffentliche Verkehr und Radwege – auch in Kleinstädten – müssen schnell und deutlich ausgebaut werden. Statt Flächen zu versiegeln sollten Grünflächen geschützt und die Mehrfachnutzung von Gebäuden erleichtert werden. Im Fokus eines schärferen Gebäudeenergiegesetzes sollten Bestandsgebäude Vorrang vor Neubauten haben.

Für die Verkehrswende: Für eine ökologische und sozial gerechte Verkehrswende müssen die Wege kürzer, der Umstieg auf Elektromobilität schneller umgesetzt und die Alternativen zum Auto und Lkw attraktiver werden. Den Zugang zu öffentlichen und privaten Mobilitätsangeboten muss die kommende Bundesregierung sozial gerecht für möglichst alle Menschen ermöglichen.

Für die Industrielle Wende: Industrie braucht Energie – versorgungssicher, konkurrenzfähig und erneuerbar. Dazu müssen Ökostrom und Power-to-X-Angebote ausgebaut, die dafür notwendigen Infrastrukturen geschaffen und die internationale Vernetzung vorangetrieben werden. Gleichzeitig muss die kommende Regierung den Unternehmen helfen, klimaverträgliche Prozesse und Verfahren unter globalen Wettbewerbsbedingungen umzusetzen und Märkte für grüne Produkte zu initiieren. Abgaben auf Primärmaterial und energieintensive Stoffe sind dafür ebenso eine sinnvolle Optionen wie Quoten und Standards – etwa im Rahmen der öffentlichen Beschaffung.

Für die Konsumwende: Die Bundesregierung sollte Experimentierräume für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster schaffen. Dafür sollte sie verstärkt Reallabore und Living Labs fördern und Verbraucherinnen und Verbraucher gezielt zu Umwelt- und Klimaauswirkungen informieren, beispielsweise durch die Einführung einer Produktkennzeichnungsstelle und eines digitalen Produktpasses.

Was hier so knapp klingt, ist im rund 60-seitigen Impulspapier des Instituts ausführlich erläutert.

Mehr zu der Machbarkeit der multiplen Transformationen auch im factory-Magazin Change oder auch in Mobilität, Besser bauen und Circular Econcomy. Mehr zur Bewältigung der "sozialen Frage" in der Transformation im factory-Magazin Steuern und im Themenbereich Change.

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