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Plastic Mining: Sind Plastikabfälle das neue Öl?

Als Ersatz für fossile Ressourcen und eine Circular Economy werden auch Abfälle zu wertvollen Rohstoffen. So könnten sich in Zukunft sowohl aus Kunststoffabfällen als auch dem Treibhausgas CO2 neue Kunststoffe herstellen lassen. Aber: Der Aufwand ist hoch. Ziel muss weiter Vermeidung und besseres Recycling sein.

Von Henning Wilts, Sören Steger und Philipp Bendix


Plastikabfälle standen in den letzten Jahren im Mittelpunkt intensiver Debatten: So hat sich allein in Deutschland das Aufkommen an Verpackungsabfall aus Kunststoffen innerhalb von nur zwanzig Jahren mehr als verdoppelt. Knapp die Hälfte des Plastikabfalls wird noch immer verbrannt. Global gelangen jedes Jahr mehr als 13 Millionen Tonnen Plastikabfall ins Meer, mit katastrophalen Auswirkungen auf marine Ökosysteme.

Hinzu kommen Abfälle aus Mikro­plastik, die heute in praktisch jedem Winkel der Erde nachweisbar sind. Und obwohl das Aufkommen an Plastikabfällen in den letzten Jahrzehnten massiv angestiegen ist, steht die eigentliche „Plastikwelle“ noch bevor: Bis zum Jahr 2050 wird eine Verfünffachung der Produktionsmengen erwartet, die dann zu Abfall werden wird – wobei heute global weniger als 10 Prozent davon tatsächlich recycelt werden.

Gemäß der sogenannten Abfallhierarchie, die in den nationalen und EU-Abfallgesetzen verankert ist und Vermeidung vor Verwertung setzt, wird viel geforscht und diskutiert, wie Plastikabfälle vermieden werden können – beispielsweise durch Mehrweglösungen, durch Lebensdauerverlängerung von Plastikprodukten oder Substitution durch andere Materialien.

Plastik – nicht immer negativ

Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass unsere Gesellschaft in vielen Bereichen auf den Einsatz von Kunststoffen angewiesen ist, z. B. für viele medizinische Produkte oder im Leichtbau. Hinzu kommt: Die Ökobilanz ist nicht zwingend negativ. So wäre in einer Vielzahl von Fällen der vollständige Verzicht auf Plastik sogar mit höheren Umweltbelastungen verbunden, z. B. bei Plastikverpackungen für Lebensmittel, wenn diese das Aufkommen an Lebensmittelabfällen reduzieren oder bei Mobilitätslösungen, wo Kunststoffe zu Leichtbaulösungen und damit geringerem Spritverbrauch beitragen.

Damit stellt sich die Frage, wie hier sinnvolle Kreislauflösungen aussehen könnten, die aus solchen Abfällen möglichst hochwertige Sekundärrohstoffe werden lassen. Die Kombination unterschiedlicher Kunststoffsorten oder der Einsatz sogenannter Additive macht jedoch den Einsatz klassischer Recyclingtechnologien in vielen Fällen schwierig und auch aus ökologischer Sicht fragwürdig: Wenn die im Schnitt sieben unterschiedlichen, hauchdünnen Folien einer Käseverpackung für das Recycling zunächst mühsam voneinander getrennt werden müssen, übersteigt der Energiebedarf dafür schnell die möglichen Einspareffekte gegenüber dem Einsatz von neuem Kunststoff. Ein konsequentes „Design for Recycling“ kann hier natürlich weiterhelfen, dennoch verbleiben Abfälle, für die andere Lösungen entwickelt werden müssen.

Kohlenstoff aus Abfall statt Erdöl

Aktuell intensiv diskutiert werden dabei unterschiedliche Verfahren, die Kunststoffabfälle wieder in ihre Ausgangsstoffe zerlegen. Unter dem Schlagwort des „chemischen Recyclings“ werden dabei unterschiedliche Prozesse betrachtet, die aus ihnen entweder Polymere oder bei entsprechendem Energieeinsatz sogar wieder Öl werden lassen: Der Plastikabfall, von dem wir bis vor wenigen Jahren jährlich über eine Million Tonnen nach China exportiert haben, wird damit plötzlich zum begehrten Ausgangsstoff für industrielle Prozesse.

Damit könnte eine Phase des „Urban Minings“ für Plastikabfälle beginnen – speziell wenn sie wie bei einem Pfandsystem sehr sortenrein erfasst würden. Der Krieg in der Ukraine oder auch die zunehmenden Spannungen mit China verstärken das Interesse vieler Unternehmen, unabhängiger zu werden von Rohstoff-Importen. Gleichzeitig haben sich viele Unternehmen auch in der Chemie- und Kunststoffindustrie zu ambitionierten Klimazielen verpflichtet.

Mit Blick auf die Zukunft stehen daher Konzepte im Fokus, die eine möglichst vollständige Kreislaufführung von CO2 ermöglichen könnten; genau das Klimagas, das in zahlreichen Industrie­prozessen und bei der Verbrennung fossiler Rohstoffe als Neben- oder Abfallprodukt entsteht. Gesucht sind Möglichkeiten, CO2 zu binden, ohne es in die Atmosphäre zu entlassen, wo es dann zur Klimakrise beiträgt.

Entsprechend soll CO2 als erneuerbarer und nachhaltiger Kohlenstofflieferant nutzbar werden. Dafür forscht man an Verfahren, die Kohlenstoff aus CO2 wieder als Rohstoff in die Kunststoffproduktion überführen können. Im Idealfall könnte die Kunststoffindustrie dann sogar weitgehend geschlossene Kohlenstoffkreisläufe erzielen.

Aktuell befinden sich die meisten solcher Konzepte noch in frühen industriellen Entwicklungsphasen; kommerzielle Prozesse, die CO2 als Rohstoff zur Herstellung von Kunststoffen einsetzen, sind bislang noch die Ausnahme.

Neue Kunststoffe durch CO2-Verwertung

Da CO2 eine stabile und kaum reaktive chemische Verbindung ist, werden spezielle Katalysatoren und chemische Reaktionspartner benötigt, die das CO2 effizient in nutzbare Rohstoffe umwandeln. Grundsätzlich gibt es dabei zwei Wege, Kunststoffe auf der Basis von CO2 herzustellen:

Entweder dient CO2 als Rohstoff zur Synthese der Monomere für konventionelle Kunststoffe – Monomere sind einzelne reaktionsfähige Moleküle – oder es wird mit einem geeigneten Reaktionspartner in Kunststoff-Polymerketten eingebaut.

Über den ersten Weg könnten zukünftig beispielsweise Ethen und Vinylchlorid als Vorstufe für die Produktion von PE und PVC CO2-basiert hergestellt werden. Über den zweiten Weg würden zum Beispiel verschiedene Polycarbonate wie Polypropylencarbonat synthetisiert werden.

Am verbreitetsten sind bisher Kunststoffe auf Basis von CO2 in der Form von Polyurethanen und Polycarbonaten. Daneben gelangen langsam auch weitere CO2-basierte Kunststoffe auf den Markt, die kommerziell noch unbekannt sind: Kunststoffe wie Polypropylencarbonat oder Polycyclohexylcarbonat etwa besitzen noch unerschlossenes Anwendungspotenzial. Aktuell entwickeln speziell Unternehmen in China diese in Richtung Marktreife.

Wie gut sich CO2-basierte Kunststoffe im Markt etablieren können, wird einerseits von der Art der Kunststoffe abhängen und andererseits von den CO2-Bilanzen der Herstellungsverfahren, die sich noch nicht genau beziffern lassen.

Klar ist aber jetzt schon, dass die Bilanz um so besser ausfallen wird, je größer der Anteil erneuerbarer Energien im energieintensiven Herstellungsprozess ist – mit dem heutigen Energiemix sieht die Bilanz daher häufig deutlich schlechter aus als das in der Zukunft der Fall sein dürfte.

Schwierige Ökobilanz

Theoretisch ließen sich durch die europaweite Substitution der konventionellen Kunststoffe PE, PP, PVC, PET, PS und PUR über CO2-basierte Verfahren jährlich vierzig Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid für die Synthese verwerten. Die ökobilanzielle Bewertung von Kunststoffen auf Basis von CO2 ist jedoch komplex.

Denn die Nutzung von CO2 für Kunststoffe hat zwar den Vorteil, dass man den Kohlenstoff, der in den Industrie- und Verbrennungsprozessen ohnehin entsteht, nicht in die Atmosphäre entlässt, sondern in Kunststoffprodukten über einen längeren Nutzungszeitraum wieder speichert. Dennoch erfolgt eine CO2-Freisetzung nach der Nutzungsphase – nur eben zeitverzögert.

Derartige Effekte sind in Ökobilanzen jedoch schwierig zu berücksichtigen. Erste Ökoeffizienzanalysen zur CO2-basierten Polyolherstellung weisen auf eine geringere Emissionsmenge an CO2-Äquivalenten pro Kilogramm hergestelltem Polyol im Vergleich zu konventionell hergestelltem erdölbasiertem Polyol hin.

Insgesamt ist aber klar, dass diese Verfahren nur ein (kleiner) Teil einer notwendigen Gesamtlösung für Kunststoff in einer Kreislaufwirtschaft sein können. Schätzungen beziffern das theoretische CO2-Einsparpotenzial durch CO2-basierte Kunststoffe und Bulkchemikalien auf pro Jahr etwa sechzig Millionen Tonnen europaweit.

Demgegenüber stehen aber CO2-Gesamtemissionen von jährlich knapp 3,3 Milliarden Tonnen (Stand 2020). Bis 2030 müssten diese für die EU-Klimaziele um über eine Milliarde Tonnen sinken.

Wichtig wird es daher sein, solche Verfahren nicht zum Alibi für die kunststoffverarbeitende Industrie werden zu lassen. Im Fokus muss weiter die Verbesserung der Recyclingfähigkeit beispielsweise von Verpackungen stehen – und natürlich immer wieder die Frage, wo sich sinnvoll auf Kunststoffe verzichten lässt.

Dr. Henning Wilts leitet die Abteilung Kreislaufwirtschaft im Wuppertal Institut, Sören Steger ist dort Senior Researcher im Forschungsbereich Stoffkreisläufe,  Dr. Philipp Bendix arbeitet im Forschungsbereich Digitale Transformation.

Mehr zum Umbau der energieintensiven industriellen Produktion im factory-Magazin Industrie und zur Reduktion des Verbrauchs im factory-Magazin Ressourcen.

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