Der Welternährungstag – auch World Food Day oder Welthungertag genannt – fällt jährlich auf den 16. Oktober. Eingeführt wurde er 1979, um daran zu erinnern, dass weltweit Millionen Menschen an Hunger leiden.
Inzwischen sind sechs von neun planetaren Belastungsgrenzen überschritten. Die dadurch ausgelöste Mehrfachkrise durch Klimawandel, Artensterben, Pandemie und wirtschaftliche, soziale sowie militärische Konflikte führt beinahe logisch zu mehr Hungernden und Betroffenen weltweit – aber besonders in den ohnehin ärmeren Ländern.
2023 ist die Bilanz für die Welternährung besonders schlecht: "Aktuell leiden über 783 Millionen Menschen an chronischem, also anhaltendem Hunger. 2,4 Milliarden Menschen – rund 30 Prozent der Weltbevölkerung – sind von mittlerer bis schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen", fasst FIAN, das FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk die Zahlen der Vereinten Nationen (UN) zusammen.
Hunger beenden, Ernährungssicherheit erreichen …
Das zweite von 17 Zielen der Sustainable Development Goals (SDG 2), der globalen Nachhaltigkeitsziele bis 2030, zu denen sich die Nationen der Welt 2015 bekannt haben, ist deshalb wohl kaum noch erreichbar: "Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern".
Neben den oben genannten Zahlen von rund 2,4 Milliarden Menschen, die keinen gesicherten Zugang zu nahrhaften, gesunden und erschwinglichen Lebensmitteln haben, sind rund 148 Millionen Kinder unter fünf Jahren chronisch mangelernährt und leiden unter Wachstumshemmungen, sind Frauen häufiger von Ernährungsunsicherheit betroffen und sind 71 Prozent der lokalen Nutztierrassen vom Aussterben bedroht, heißt es SDG-Fortschrittsbericht 2023 der UN.
Die Prognose: Sieben Prozent der Weltbevölkerung wird 2030 noch immer unter Hunger leiden.
Strukturbedingungen des Hungers bleiben
Anlässlich des Welternährungstages weist FIAN auf eine Schieflage in der Debatte zur Hungerbekämpfung hin. Denn die strukturellen Bedingungen des Hungers würden weiterhin von der Politik ignoriert, obwohl sie sich noch verschärfen. Das seien die Landkonzentration, die Industrialisierung der Agrar- und Ernährungssysteme sowie der wachsende Einfluss von Finanzinvestoren.
"Dies geht einher mit der systematischen Ausgrenzung und Diskriminierung von kleinen und handwerklichen Nahrungsmittelproduzent*innen im globalen Süden“, beschreibt Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN Deutschland die aktuelle Situation.
Seit der Jahrtausendwende wird ländlichen Gemeinden durch Landgrabbing regelrecht der Boden unter den Füßen weggezogen. 100 bis 214 Millionen Hektar Land wurden nach aktuellen Schätzungen seitdem an Investoren transferiert.
"Die damit einhergehende gewaltige – und oft gewaltsame – Expansion einer agrarindustriellen Landwirtschaft produziert entgegen der landläufigen Meinung nur wenig Nahrungsmittel", schreibt FIAN. Seit 2000 ist die Anbaufläche von Palmöl, Zuckerrohr, Soja und Mais um 150 Millionen Hektar – eine Fläche etwa anderthalb mal so groß wie die Ackerfläche der EU – gewachsen, so die Zahlen der FAO, der Food and Agriculture Organization der UN.
Nur 13 Prozent der weltweiten Maisernte werden dabei für die menschliche Ernährung verwendet.
Dies sind alles keine Grundnahrungsmittel. Die Anbaufläche von Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Hirse, Roggen und Sorghum ging im gleichen Zeitraum um 24 Millionen Hektar zurück.
Hoffnung auf Welternährungsrat
„Die globale Landwirtschaft ist immer weniger darauf ausgerichtet, die Menschen zu ernähren. Diese grundlegende Fehlentwicklung ist weitgehend abwesend in den Debatten zum Thema Welternährung“, sagt Roman Herre, Agrarreferent von FIAN. Er kritisiert zudem, dass die steigenden Hungerzahlen instrumentalisiert werden, um ökologischen Fortschritt auszuhebeln, etwa bei der Diskussion um die EU-Pestizidverordnung.
Landgrabbing durch Investor*innen ist übrigens kein Phänomen, das nicht auch in Deutschland vorkommt. Eine Fotoreportage im factory-Magazin "Wir müssen reden" beschreibt, wie große Flächen in Ostdeutschland von Konzernen aufgekauft werden, um dort renditeorientiert konventionell und ressourcenintensiv und ohne Rücksicht auf Arten- oder Klimaschutz genutzt werden.
Die FIAN-Experten haben nun die Hoffnung, dass sich bei dem Treffen des Welternährungsrats CFS, dem Committee on World Food Security, das vom 23. bis 27. Oktober wie in jedem Jahr in Rom stattfindet, es endlich zu einer Einigung über das Vorgehen angesichts der Krisenentwicklung kommen wird.
Nach drei Jahren Blockade – gerade seitens der reichen Länder – soll dort endlich ein Mechanismus etabliert werden, der reaktionsfähig auf Krisen und Schocks wie Nahrungsmittelpreisexplosionen oder die Auswirkungen der COVID-Pandemie sein soll.
Die im CFS organisierten Betroffenenorganisationen haben sich vehement für einen solchen Mechanismus eingesetzt. „Das ist ein echter Durchbruch und auch ein Lichtblick. Wir hoffen, dass sich die Bundesregierung beim Welternährungsrat für einen starken und handlungsfähigen Mechanismus einsetzt,“ erklärt Philipp Mimkes.
Wasser ist Leben und Lebensmittel
Der World Food Day thematisiert 2023 die Ressource Wasser: "Water is life, water is food. Leave no one behind", erinnert er damit an ein Grundrecht aller Menschen.
Doch gerade Wasser als endlicher natürlicher Rohstoff ist bedroht, die Belastungsgrenze beim Süßwasser bereits überschritten. Zwar sind 71 Prozent des Planeten von Wasser bedeckt, doch nur 2,5 Prozent des Wassers ist frisch und trinkbar, für Landwirtschaft und Gewerbe nutzbar.
Besonders die intensive Landwirtschaft steht beim Wasserverbrauch in Verantwortung: 72 Prozent aller Süßwasserentnahmen entfallen auf sie. Gleichzeitig überbelastet sie es mit Pestiziden und Düngemitteln.
Gleichzeitig sind die Süßwasserressourcen pro Person in den letzten Jahrzehnten um 20 Prozent zurückgegangen, schreibt die FAO. Wasserverfügbarkeit und -qualität verschlechtern sich aufgrund jahrzehntelanger schlechter Nutzung und Bewirtschaftung, übermäßiger Entnahme von Grundwasser, Verschmutzung und Klimawandel rapide. "Es besteht die Gefahr, dass wir diese kostbare Ressource bis zu einem Punkt ohne Wiederkehr ausreizen".
Bereits heute leben 2,4 Milliarden Menschen in Ländern mit Wasserknappheit. Viele von ihnen sind Kleinbauern, die schon jetzt Mühe haben, ihren täglichen Bedarf zu decken, insbesondere Frauen, indigene Völker, Migranten und Flüchtlinge, heißt es auf den Seiten zum Welternährungstag 2023. "Der Wettbewerb um diese unbezahlbare Ressource nimmt zu, da Wasserknappheit zu einer immer größeren Ursache für Konflikte wird."
Rund 600 Millionen Menschen, deren Lebensunterhalt zumindest teilweise von aquatischen Nahrungsmittelsystemen abhängt, leiden unter den Auswirkungen von Verschmutzung, der Zerstörung von Ökosystemen, nicht nachhaltigen Praktiken und dem Klimawandel.
In den agroindustriellen Ländern Westeuropas gibt es angesichts zunehmender Hitze- und Trockenperioden kaum noch Felder, die die Bauern nicht bewässern.
Wasserschonende Landwirtschaft und bewusster Konsum
Die notwendigen Lösungen lägen jedoch in einem geringeren Wasserverbrauch in der Landwirtschaft. Und in einem besseren Wasserschutz, zum Beispiel durch ökologische Landwirtschaft. "Governments need to design science and evidence-based policies that capitalize on data, innovation and cross-sectoral coordination to better plan and manage water", so die FAO.
Die Regierungen müssten diese Politik mit mehr Investitionen, Gesetzen, Technologien und Kapazitätsentwicklung unterstützen und gleichzeitig Anreize für Landwirte und den Privatsektor schaffen, sich an integrierten Lösungen für eine effizientere Wassernutzung und den Schutz des Wassers zu beteiligen.
Der Appell des World Food Day an die Konsument*innen: Sie sollten Wasser nicht länger als Selbstverständlichkeit sehen, es stattdessen auch im Alltag besser nutzen. Dazu gehöre die Wahl der richtigen Lebensmittel.
“Was wir essen und wie die Lebensmittel produziert werden, hat Auswirkungen auf das Wasser. Wir können etwas bewirken, indem wir lokale, saisonale und frische Lebensmittel wählen, weniger davon verschwenden - auch durch die Reduzierung von Lebensmittelabfällen - und sichere Wege finden, sie wiederzuverwenden und dabei Wasser zu vermeiden.”
Mehr zum Thema Wasser im factory-Magazin Baden gehen, mehr zum Ressourcenschutz und seinem Lösungspotenzial für die multiple Krise im factory-Magazin Ressourcen. Darin auch ein Beitrag, wie kooperative Regionalwirtschaften die globale Ernährungssicherheit verbessern können. Dass zu solchen Lösungen auch die richtige politische Gestaltung gehört, lesen Sie im factory-Magazin Design. Oder in den entsprechenden Themenbereichen.