Mannheim, knapp 310.000 Einwohner, bekannt für seine quadratischen Stadtbezirke, gelegen im nördlichen Baden-Württemberg, rechts am Rhein, direkt gegenüber der Chemiestadt Ludwigshafen (BASF). Die Industrie- und Handelsstadt ist Verkehrsknotenpunkt und hat entsprechende Geschichte und Unternehmen. Hier baute Karl Drais 1817 das erste Fahrrad, hier rollte 1886 der erste Benz über die Straßen, beim Landmaschinenhersteller Lanz arbeitete auch der Erfinder des ersten deutschen Elektroautos, Andreas Flocken. Metall- und chemische Industrie sind trotz Strukturwandels immer noch sehr präsent, zu den größten Unternehmen zählen solche wie Daimler, ABB, John Deere, Roche, Unilever. Die Erwerbslosenquote lag im Januar 2020 bei 6,2 Prozent, das BIP pro Kopf bei 64.500 € (gegenüber 38.180 € in Deutschland).
Die Stadt ist eine typische große Industriestadt, die sich jedoch sehr um eine zukunftsfähige und klimagerechte Ausrichtung bemüht – ihr Leitbild Mannheim 2030 richtet sich an den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen aus. Es gibt unter anderem ein Steinkohle-befeuertes Großkraftwerk, mit Fernwärme werden auch Städte wie Heidelberg, Speyer und Schwetzingen versorgt. Der kommunale Energieversorger MVV tritt auch überregional auf. Er hat zusammen mit der Stadt Mannheim das Wuppertal Institut beauftragt, in der „Energierahmenstudie Mannheim – Wege zur Klimaneutralität“ zu entwickeln.
Die kommunalen Auftraggeber wollten wissen, ob Mannheim angesichts seiner Struktur und Größe überhaupt klimaneutral werden kann und wenn ja, wie. Die Analyse der Wuppertaler Forscher*innen zeigt, dass und wie es möglich ist.
"Mannheim kann bis zum Jahr 2050 seine energiebedingten CO2-Emissionen um 99 Prozent gegenüber dem heutigen Stand reduzieren und damit die Ziele des Pariser Klimaabkommens auf kommunaler Ebene vollständig umsetzen." – entsprechend dem Ziel der deutschen Bundesregierung. Der größte Teil der Reduktion wird bereits durch die Stilllegung des Großkraftwerks Mannheim bis 2033 erreicht. Schon 2035 könnten damit die CO2-Emissionen von 7,8 Millionen Tonnen auf weniger als eine Million Tonnen pro Jahr gefallen sein. Für die restliche Menge sind aber weitere 15 Jahre notwendig.
"Auf die Industrie wird trotz hoher Effizienzfortschritte auch langfristig etwa die Hälfte des Mannheimer Strom- und Wärmebedarfs entfallen. Die thermische Abfallbehandlung bleibt auch langfristig relevant. Die dort entstehenden CO2-Emissionen können langfristig abgeschieden und in langlebige Produkte eingeschlossen oder gelagert werden", so die Autor*innen.
Das Klimaschutzszenario der Studie arbeitet heraus, dass die Stadt langfristig mehr als doppelt so viel grünen Strom erzeugen kann als von Privathaushalten und Gewerbe benötigt wird. Die wichtigste Rolle spielt dabei die Nutzung von Sonnenenergie. Daher plädieren die Autor*innen der Studie für eine Photovoltaik-Offensive Mannheims. Ein Potenzial von knapp 1 TWh grüner Stromerzeugung sei realistisch, heißt es. Die grünen Stromerzeugungspotenziale reichen jedoch insgesamt nicht aus, um auch die gesamte industrielle Stromnachfrage vor Ort zu decken. Wie die meisten deutschen Großstädte wird daher auch Mannheim zukünftig auf überregionale Energiebezüge angewiesen sein. Somit ist das Gelingen der bundesweiten Energiewende eine wesentliche Voraussetzung für die Klimaneutralität Mannheims.
Die Fernwärmenachfrage kann hingegen vollständig mit lokalen grünen Energien gedeckt werden: Dabei ersetzt die Wärme aus der thermischen Abfallbehandlung, Biomasse, Flusswärmepumpe, Tiefengeothermie und industrieller Abwärme vollständig die Wärme aus dem Großkraftwerk Mannheim. Die Autor*innen empfehlen, den Fokus in der Wärmeerzeugung auf die Erschließung der beträchtlichen geothermischen Potenziale in der Region zu legen, da diese einen wesentlichen Standortfaktor gegenüber anderen Kommunen darstellen. Um gleichzeitig den Bedarf an Wärme zu senken, sprechen sie sich zudem für eine deutliche Forcierung der Gebäudesanierung aus.
Neben der grünen Erzeugung von Strom und Wärme trägt die Verkehrswende maßgeblich zum Erreichen der Klimaneutralität bei. Denn ohne sie droht die Mobilität langfristig zum CO2-intensivsten Sektor zu werden. Der Wechsel von Verbrennern zu Elektroautos ist dabei der wichtigste, aber nicht der einzige Hebel zur Emissionsreduzierung. Um die Stadt lärm- und abgasfrei zu machen, empfiehlt die Studie zudem eine begleitende Umsetzung der Verkehrswende durch die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs sowie des Radverkehrs.
Dass Mannheim Klimaneutralität schneller erreichen könnte, beispielsweise bereits in zehn Jahren, wäre sogar möglich – haben die Autor*innen nicht im Detail berechnet. Allerdings setzen sie dafür auf folgende Rahmenbedingungen:
Auf Bundesebene müsste der deutsche Strommix bis 2030 vollkommen emissionsfrei, die Erdgasversorgung vollständig auf klimaneutral umgestellt sei und auf den Straßen fast ausschließlich E- oder Wasserstoff-Autos unterwegs sein. Die Kommune müsste ihr Großkraftwerk bereits bis 2030 stilllegen, die Fernwärmeversorgung grün werden und Flusswärmepumpen im Rhein installieren lassen, das Müllheizkraftwerk mit einer CO2-Abscheidung ausstatten und alle vorhandenen Heizölkessel austauschen lassen.
Mit der Studie hoffen die kommunalen Auftraggeber einen wichtigen Impuls für die Diskussion in der Stadtgesellschaft zu setzen und ihr eine Planungsgrundlage für die kommunale Entwicklungsschritte zu geben. Die Studie könnte außerdem ein Ansatz sein, den weitere Kommunen und Städte aufnehmen könnten, ihren Weg zur lokalen Klimaneutralität ganz konkret unter die Lupe zu nehmen.
Wie und welche Voraussetzungen für einen Change in Klimaschutz und Gesellschaft notwendig sind, lesen Sie auch im gleichnamigen factory-Magazin, das kostenlos zum Download steht – oder im Themenbereich. Zu den Möglichkeiten von Kommunen und Städten finden Sie mehr im factory-Magazin Mobilität.