Es geht erstmal nur um zwei Anträge für den Landesparteitag der SPD in Berlin im Mai. Darin fordern die Autor*innen die Beschränkung des Flugverkehrs. Was mit einer Meldung des Tagesspiegels letzte Woche begann, ist inzwischen zum Politikum geworden. Sowohl aus der SPD-Führung, wie aus der Opposition hagelt es Kritik.
Die SPD-Fachausschüsse fordern, den Luftverkehr in der Hauptstadtregioon an die vorhandenen Flughafenkapazitäten anzupassen – und nicht wie geplant "umgekehrt", den zu spät kommenden und jetzt schon zu kleinen, aber noch nicht einmal mit einem Eröffnungstermin versehenen Flughafen BER zu erweitern. Die Zahl der Flughafenbewegungen wollen die Autor*innen der Anträge auf 360.000 pro Jahr begrenzen, auch wenn es im vergangenen Jahr bereits 282.000 waren. Gemeinsam mit Brandenburg solle die Stadt das Nachtflugverbot erweitern, Start- und Landegebühren überprüfen und finanzielle Anreize für mehr Flugverkehr streichen. Preiswerte Bahnverbindungen sollen wegfallende innerdeutsche Flugbewegungen unter 600 Kilometer ersetzen, die Bevölkerung soll verstärkt für Bahn- und Radtourismus begeistert werden. Damit soll die Stadt ihr bis 2020 gesetztes Klimaziel erreichen, die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent bis 1990 zu reduzieren – ein Ziel, das identisch ist mit dem der Bundesregierung, die das wegen des nicht vollzogenen Kohleausstiegs ebenfalls nicht erreichen wird. Berlin hat sich darüber hinaus weitere Ziele gesetzt: Bis 2050 will die Stadt klimaneutral sein und ihren CO2-Ausstoß um 85 Prozent gesenkt haben.
Ein Gutachten könne "weitere Maßnahmen zur Luftverkehrsbegrenzung entwickeln", schreiben die Antragsteller*innen. Schließlich sei ein milliardenschwerer Ausbau des in seiner Fertigstellung ohnehin weitere Milliarden verschlingenden BER nicht vertretbar.
Was eigentlich vernünftig ist, um den Klimaschutz zu verbessern, stößt in Opposition und Wirtschaft auf massive Kritik – obwohl noch nicht einmal feststeht, ob die Anträge zum Parteitag zugelassen werden. Doch an der Aufregung ist abzulesen, dass die SPD-Verkehrsexpert*innen mit dem Wort "Beschränkung" einen Nerv getroffen haben. Die Begrenzung mache ihm Bauchschmerzen, äußerte sich der verkehrspolitische Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion, Tino Schopf in der Berliner Morgenpost, der BER dürfe kein Regionalflughafen werden. Die Grünen wollen sich nicht gegen einen Ausbau stellen, hoße es vom Abgeordneten Harald Motz, ein ausgeweitetes Nachtflugverbot befürworten sie wie Die Linke, während es die SPD bereits ablehnte.
CDU-Fraktionschef Florian Graf unterstellte der Berliner SPD Regierungsunfähigkeit und Realitätsverlust: "In den Sommerurlaub mit dem Fahrrad statt dem Flugzeug nach Mallorca – die SPD ist meilenweit von der Lebensrealität der Berliner entfernt." AfD und FDP kritisierten die Anträge ebenfalls scharf ("nachhaltiger Realitätsverlust", "Dienstreisen mit dem Tandem"). Die IHK wollte sich an der Diskussion im Antragsstatus noch nicht beteiligen, ihr Ziel sei die Eröffnung des BER.
Den Ausbau des Flughafens wollen die Regierungsparteien nicht über den beschlossenen Rahmen hinaus finanzieren – jedenfalls nicht mit öffentlichen Mitteln. Maximal könnten dadurch 40 Millionen Fluggäste jährlich abgefertigt werden. Erreicht wird diese Grenze voraussichtlich schon 2023. Ob der Flughafen nun im nächsten oder erst in drei Jahren in Betrieb geht: Er wird auf jeden Fall zu klein sein, denn auf den Flughäfen Tegel und Schönefeld sind 2016 bereits knapp 33 Millionen Fluggäste angekommen oder abgeflogen. Geplant ist bereits, dass der Flughafen Schönefeld-Alt weiterhin abfertigt und seine Kapazität auf 13 Millionen Passagiere ausgebaut wird.
Natürlich sei es schwierig, den Luftverkehr national zu beschränken, sagen Politiker der Grünen und der Linken. Inlandsflüge auf die Schiene zu verlagern und Kerosin zu besteuern sei sinnvoll. Tatsächlich halten nach einer Umfrage des Verkehrsclubs Deutschlands und des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft von 2014 78 Prozent der Befragten es für falsch, dass Fluggesellschaften keine Mineralölsteuer bezahlen müssen. 70 Prozent fordern von der Bundesregierung sich stärker für den Subventionsabbau einzusetzen. Da hat die notwendige Debatte um den Ausstieg einer Stadt aus dem Flughafenausbau schon Dämpfer erhalten, bevor sie überhaupt begonnen hat.
Schließlich ist im Verkehrssektor so wenig Klimaschutz erreicht worden, wie in keinem anderen Zweig. Die Emissionen sind gegenüber 1990 sogar gestiegen, wobei der Straßenverkehr der größte Treiber, der Flugverkehr der mit dem schnellsten und größten Wachstum ist. Über 216 Millionen Menschen sind in Deutschland 2015 geflogen, schreibt der Tagesspiegel. Weil Flugreisen billig sind, wird auch für Kurztripps von weniger als fünf Tagen der Flieger genommen. Dabei liegt der Flieger mit seinen treibhausgasschädlichen Emissionen auf der letzten Position: Mit 211 Gramm CO2 pro Personenkilometer ist er laut Umweltbundesamt weitaus schlechter als der Pkw (141 g) oder die Bahn (41 g). Verkehrsvermeidung durch Internalisierung der externen Kosten, Erhöhung der Nutzungskosten und Reduktion der Nachfrage empfiehlt das UBA schon seit 2008. Ebenso wie eine Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf die Schinen und eine Begrenzung von Flughafenkapazitäten. Wichtiges Instrument wäre zudem der Abbau der Subventionen für die Steuerbefreiung des Flugbenzins. Die kosten den Steuerzahler 7 Milliarden Euro jährlich, die Mehrwertsteuerbefreiung für Auslandsflüge noch einmal 3,5 Milliarden Euro schreibt Frank Herrmann in seinem Buch FAIRreisen. Die benachteiligt auch umweltfreundliche Verkehrsmittel wie die Bahn – für eine Fahrt von Berlin nach Paris zahlen die Fahrgäste Mehrwertsteuer, für den Flug nicht.
Mit beeindruckendem Gleichmut prognostiziert das Institut für Luftverkehr, dass bis 2030 70 Millionen Passagiere in Deutschland dazu kommen. Weltweit sind das Wachstum und die Auswirkungen noch dramatischer – schließlich sind die Emissionen in großer Höhe dreimal schädlicher als am Boden. Entsprechend planen die Flughafenbetreiber weitere Ausbauten.
Dagegen hilft nur: Beschränkung. "Das Konzept der Ökoroutine hat dafür einen ganz einfachen Vorschlag", schreibt Michael Kopatz in seinem wegweisenden gleichnamigen Buch. Limitiert werden die Starts und Landungen auf Flughäfen (Ausweitung Nachtflugverbot, Beschrängung der Flugbewegungen) und die Passagierzahlen je Flughafen (kein weiterer Ausbau, Verlagerung von Verbindungen auf die Schiene). Ziel ist, den Flugverkehr auf das gegenwärtige Niveau zu begrenzen. "Werden die Flieger effizienter, gehen die Treibhausgasemissionen zurück", so Kopatz. Technologieverbesserungen führen zu ein bis zwei Prozent weniger Treibstoffverbrauch pro Jahr, hat sich gezeigt. Doch erst die Begreunzung der Expansion für zur tatsächlichen Einsparung, weil dadurch der Rebound-Effekt vermieden wird.
Berlin wäre also mit einer Beschränkung seines Luftverkehrs auf die fertigzustellenden Kapazitäten auf dem richtigen, dem klimafreundlichen Weg. Das hätte bundesweit Signalwirkung und man könnte es als Divestment bezeichnen, weil damit einem Mehr an fossilem Treibstoffverbrauch Einhalt geboten wird und stattdessen umweltfreundlichere Verkehrsmittel attraktiver werden. Eine Begrenzung der Expansion ließe sich auch bundesweit umsetzen, durch die Reduzierung von von genehmigungspflichtigen Starts und Landungen (Slots), was nach dem Luftverkehrsgesetz möglich ist. "Wir müssen tun, was wir für richtig halten", sagt Kopatz.
Statt den Flugverkehr einzuschränken, will Bundesverkehrsminister diesen weiter ausbauen. "Fliegernationen sind Wohlstandsnationen" erklärte er bei der Vorstellung seines 30-seitigen neuen Luftverkehrskonzept in Berlin. Für die Flughäfen wünscht er sich darin "Kapazitätserweiterungen, gute Verkehrsanbindungen und bedarfsgerechte Betriebszeiten", auf ökologische und klimapolitische Aspekte des Flugverkehrs und des Flughafenausbaus geht er nicht ein. Abgestimmt mit dem Umweltverkehrsministerium hat er seinen Plan aber auch nicht, wie es auch schon bei der Erstellung des Bundesverkehrswegeplans der Fall war.
Bild: BER Flughafen Berlin Brandenburg, Petershagen, Flickr.com
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Berlin könnte fortschrittlich handeln und den Flughafen BER nicht erweitern
In keinem Sektor steigen die Emissionen so stark wie im Luftverkehr. Die hohen Subventionen sind Grund für die günstigen Flugpreise, so dass die Passagierzahlen weiter steigen, Flughäfen ausgebaut werden müssen. Die Berliner SPD will sich an Klimaschutzzielen orientieren und diskutiert den Ausstieg aus der Erweiterung des noch nicht eröffneten Flughafens Berlin-Brandenburg.