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Strukturen bremsen Geschlechtergerechtigkeit weiterhin

Für die nachhaltige Entwicklung ist die Gleichstellung der Geschlechter eine grundsätzliche Bedingung: Ohne sie gibt es keine Gerechtigkeit, nicht beim Klimaschutz, in der Wirtschaft, der gesellschaftichen Entwicklung – und keinen Frieden. Mit der Corona-Pandemie hat sich der Weg zur Gleichstellung auch noch verlängert.

In Zeiten des Krieges geht ein Internationaler Frauentag 2022 weitgehend unter. Dabei wird gerade hier deutlich, wie wichtig ein endgültiger Abschied von patriarchalen Strukturen wäre, um derartiges zu verhindern.

Nicht einzelne Männer und ihr Größenwahn sind verantwortlich für Kriege wie aktuell den Überfall auf die Ukraine, die Befeuerung der Klimakrise und die Verweigerung zu notwendigen Veränderungen, meint Ulrike Röhr vom Netzwerk genanet, das sich den Zusammenhängen von Gender, Umwelt und Nachhaltigkeit widmet: "Es ist das System Patriarchat, vertreten durch einzelne machtbesessene Männer, laufend reproduziert durch die Gesellschaft, durch Männer und Frauen, das mit seinem Festhalten an Macht und Profit die Lebensgrundlagen zerstört."

Durch die Fixierung auf Maskulinität würden Machtansprüche, Profit und Wirtschaftswachstum ins Zentrum des Denkens und Handeln gesetzt, sagt Röhr. "Care, die Sorge, Fürsorge und Vorsorge für Mensch und Umwelt, wird ausgeschlossen. Das Patriarchat ist blind für Versorgungsarbeit."

Mit der Forderung nach "mehr Frauen in Führungspositionen" ist es nicht getan. In Richtung Transformation gehe es nur mit der Integration von "Care", also Sorgearbeit. Im Interview mit factory zum Themenmagazin Gender betonte Röhr: "Mit Familienfreundlichkeit ist es nicht getan, solange sie als Zielgruppe nur die Frauen hat. Es geht um eine Umverteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit."

Denn die patriarchalen Strukturen würden auch durch das „doing gender“ hergestellt, "durch rollenkonformes Verhalten, mit dem wir uns selbst und anderen demonstrieren, welchem Geschlecht wir uns zugehörig fühlen", so Ulrike Röhr zum Frauentag 2022. "Was wir am dringendsten brauchen ist eine Abkehr vom Patriarchat, eine Transformation zu einer Denk-, Sicht- und Orientierungsweise, die Care ins Zentrum stellt und damit die Für- und Vorsorge für Mensch, Gesellschaft und Umwelt als Maßstab an alle Entscheidungen anlegt."

Der Weg zur Geschlechtergerechtigkeit ist aber offenbar noch weiter als gedacht. So rechnet das Weltwirtschaftsforum damit erst im Jahr 2156 – die Corona-Pandemie hat ihn um 36 Jahre wieder verlängert. Für die Begrenzung der Erderwärmung sind das schlechte Nachrichten.

In ihrem Statement zum Internationalen Frauentag betont Dr. Ameenah Gurib-Fakim, Präsidentin von Mauritius und bekannte Artenvielfalts-Forscherin, dass die Bekämpfung der Klimakrise ohne die Teilhabe von Frauen in die Diskussionen und Entscheidungen nicht gelingen wird.

"As key contributors to communities, as carers and activists, as well as in local food systems and in the home, women are in a unique position to drive longer-term climate resilience", so Gurib-Fakim. Dennoch würden heute Frauen immer noch am Rand stehen. Sie stellen nur 19 Prozent der Aufsichtsräte von IWF und Weltbank und weniger als 30 Prozent der nationalen Parlamentsmitglieder. Der Gender Pay Gap besteht weiterhin. Weltweit erhalten Frauen 35 Prozent des globalen Einkommens, bei einer Steigerung um lediglich fünf Prozent seit 1990.

Angesichts der Dringlichkeit und Größe der globalen Herausforderungen müssten wir die Führungskompetenzen, Fähigkeiten und Begabungen von Frauen besser nutzen, ihre unbezahlte Sorge- und Hausarbeit anerkennen und für eine gender-verantwortungsbewusste Wirtschaftspolitik sorgen, um Jobs zu schaffen, Armut zu reduzieren und nachhaltiges, gerechtes Wachstum zu generieren. Das gelte gleichermaßen für entwickelte wie für sich entwickelnde Länder.

In seinem Bericht zum Weltfrauentag stellt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung fest, dass in Deutschland Frauen bei der Gleichstellung in Bildung und Beruf aufgeholt hätten, doch traditionelle Strukturen weiter bremsen würden – und in der Corona-Krise besonders stark. In einzelnen Bereichen, wie bei den Schulabschlüssen, würden sie mittlerweile sogar etwas besser dastehen als Männer. Dazu hätten auch verbesserte gesellschaftliche Rahmenbedingungen beigetragen wie der Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung oder Geschlechterquoten.

Doch auch wenn die Gleichstellung damit vielfach etwas vorangekommen sei, falle die durchschnittliche berufliche, wirtschaftliche und soziale Situation von Frauen weiterhin oft schlechter aus als die von Männern.

Und einige Entwicklungen während der Corona-Pandemie seien zweischneidig oder in ihren Folgen noch nicht absehbar, heißt es vom WSI in einer Pressemitteilung: So sei etwa der Rückstand von Frauen bei der Erwerbsbeteiligung im Jahr 2020 noch einmal etwas kleiner geworden, weil mehr Männer als Frauen aus der Erwerbstätigkeit ausschieden. Auch der Anteil der Paare, die sich die Betreuung ihrer Kinder zu gleichen Teilen aufteilen, schwanke im Verlauf der Pandemie und habe zuletzt sogar abgenommen.

Aktuell arbeiten Frauen viermal so häufig Teilzeit wie Männer (46 Prozent gegenüber 11 Prozent 2019), sehr oft, um Familie und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bringen. Von den Beschäftigten, die als einziges Arbeitsverhältnis nur einen Minijob haben, sind rund 60 Prozent weiblich. Dieses Ungleichgewicht trägt, unter anderem wegen geringerer Karrieremöglichkeiten, wesentlich dazu bei, dass der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen knapp 18,3 Prozent unter dem von Männern liegt. 2020, so der vorläufige Wert, verdienten Männer im Durchschnitt 22,78 Euro brutto pro Stunde, Frauen 18,62 Euro. Im gleichen Jahr verdienten 17,5 Prozent der weiblichen Beschäftigten mit Vollzeitstelle weniger als 2000 Euro brutto im Monat, bei den Männern waren es 9,1 Prozent.

Immerhin sei der Gender Pay Gap in den vergangenen Jahren langsam, aber kontinuierlich kleiner geworden – dank des 2015 eingeführten Mindestlohns. Mit der Erhöhung auf 12 Euro könnte sich der Gap weiter verringern.

Wenig getan habe sich dagegen bei der Verteilung der Führungspositionen. Berufe mit vielen weiblichen Beschäftigten würden weiterhin schlechter bezahlt als handwerkliche und technische, in denen Männer dominieren. Ein Weg aus diesem Dilemma sei, Kindern und Jugendlichen systematisch mehr Möglichkeiten zu schaffen, geschlechteruntypische Berufsfelder kennenzulernen, um Stereotype bei der Ausbildungs- und Berufswahl abzubauen.

Deutlich gravierender als der Gender Pay Gap ist die Lücke laut WSI-Bericht bei der Absicherung im Alter: "Nimmt man gesetzliche Rente, betriebliche und private Alterssicherung zusammen, beziehen Frauen durchschnittlich ein um 49 Prozent niedrigeres Alterseinkommen als Männer. Anfang der 1990er Jahre lag der Gender Pension Gap, auch wegen der viel niedrigeren Erwerbsquote, sogar bei 69 Prozent", heißt es in der Meldung.

Mehr zum Thema Gender, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gibt es im entsprechenden factory-Magazin bzw. im Online-Themenbereich. Deutlich wird darin, dass Gendergerechtigkeit eine Schlüsselrolle in der Bewältigung der multiplen Krisen hat – und eine feministische Politik in allen Resorts notwendig ist, um diese zu erreichen. Dass es dabei auch um Diversität geht, zeigt das factory-Magazin Vielfalt. Und auch das factory-Magazin Teilhabe befasst sich mit Geschlechtergerechtigkeit.

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