Dass Kinder die größten Leidtragenden der Klimakrise sein werden bzw. jetzt schon sind, ist den meisten, die diese Krise beobachten, schon lange klar. Spätestens seit den Schulstreik-Protesten und Demonstrationen von Fridays-for-future, begonnen von der 2018 fünfzehnjährigen Schwedin Greta Thunberg, ist auch klar, dass die Heranwachsenden die herrschende Politik der Bewältigung der Klimakrise für unzureichend halten. Die derzeitige Politik gefährdet auch ihre Rechte auf Freiheit, Gesundheit, Gleichheit und Bildung, wie nicht nur das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat und muss wirksamere Maßnahmen durchsetzen.
Zum dritten Jahrestags des Beginns der weltweiten jugendlichen Klimastreikbewegung und rechtzeitig zum UN-Klimagipfel COP 26 in Glasgow im November, veröffentlicht die UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF den "Children's Climate Risk Index". Es ist die erste umfassende Analyse von Klimarisiken aus der Perspektive von Kindern. Die Auswertung aktuellster Daten zeigt in einer globalen Rangliste, in welchen Ländern und in welchem Maße Kinder klima- und umweltbedingten Schocks wie Wirbelstürmen, Überflutungen, Krankheiten und Hitzewellen ausgesetzt sind. Dazu wurde auch ihre Verletzlichkeit gegenüber diesen Gefahren untersucht, basierend auf ihrem Zugang zu einer Grundversorgung.
Demnach leben etwa eine Milliarde Kinder – fast die Hälfte der 2,2 Milliarden Mädchen und Jungen weltweit – in einem der 33 Länder, die aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels als „extrem stark gefährdet“ gelten. Kinder (die UNICEF zählt alle unter 18-Jährigen dazu) sind dort mehreren klima- und umweltbedingten Gefahren, Schocks und Belastungen ausgesetzt und zudem besonders verletzlich aufgrund der unzureichenden Grundversorgung in den Bereichen Wasser und Sanitär, Gesundheit und Bildung. Die Ergebnisse spiegeln die aktuelle Situation der Kinder wider. Es ist davon auszugehen, dass sich die Zahlen noch verschlechtern, wenn sich die Auswirkungen des Klimawandels beschleunigen.
„Das Leben der heutigen Kinder wird in erschreckend vielen Ländern bereits stark durch die Klimakrise bestimmt“, sagt Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland. „Es ist klar, dass nur die konsequente Senkung der Treibhausgas-Emissionen den Klimawandel stoppen kann. Doch der Bremsweg ist selbst bei raschen Entscheidungen lang. Es muss daher sofort und dringend mehr in die Anpassung der Lebensbedingungen von Kindern an die Veränderungen in ihrer Umwelt investiert werden.“
Der Klima-Risiko-Index für Kinder („Children’s Climate Risk Index“, CCRI) zeigt:
240 Millionen Kinder in Küstenregionen sind stark betroffen von Überschwemmungen,
330 Millionen Kinder an Flüssen sind stark betroffen von Überschwemmungen,
400 Millionen Kinder sind stark betroffen von Wirbelstürmen (Zyklone),
600 Millionen Kinder sind stark betroffen von Krankheiten, die in Folge der Erderwärmung zunehmen, wie Malaria
815 Millionen Kinder sind stark betroffen von Bleivergiftungen,
820 Millionen Kinder sind stark betroffen von Hitzewellen,
920 Millionen Kinder sind stark betroffen von Wasserknappheit und
1 Milliarde Kinder sind stark betroffen von extrem hoher Luftverschmutzung (>35µg/m3).
Während fast jedes Kind weltweit von mindestens einer dieser klima- und umweltbedingten Gefahren bedroht ist, zeigen die Daten, dass die Kinder in den am stärksten betroffenen Ländern mit mehreren und sich oft überschneidenden Schocks konfrontiert sind. Dies gefährdet Entwicklungsfortschritte und droht die Not von Kindern zu verschärfen.
Schätzungsweise 850 Millionen Kinder – jedes dritte Kind weltweit – leben in Gebieten, in denen sich mindestens vier dieser klima- und umweltbedingten Schocks überschneiden. Bis zu 330 Millionen Kinder – 1 von 7 Kindern weltweit – leben in Gebieten, die von mindestens fünf schweren Schocks betroffen sind.
Der Bericht zeigt ein Missverhältnis zwischen den Ländern, in denen Treibhausgas-Emissionen erzeugt werden, und solchen, in denen Kinder unter den stärksten klimabedingten Auswirkungen leiden. Die 33 „extrem risikoreichen“ Länder emittieren zusammen nur 9 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Umgekehrt verursachen die zehn Länder mit den höchsten Emissionen zusammen fast 70 Prozent der weltweiten Emissionen. Nur Indien aus dem Kreis dieser Länder wird im Index als „extrem risikoreich“ eingestuft.
„Der Klimawandel ist zutiefst ungerecht. Obwohl Kinder für den Anstieg der globalen Temperaturen nicht verantwortlich sind, werden sie den höchsten Preis dafür zahlen“, sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore. „Aber es ist noch Zeit zu handeln. Wenn wir den Zugang von Kindern zur Grundversorgung verbessern, beispielsweise zu Wasser und sanitären Einrichtungen, zur Gesundheitsversorgung und Bildung, kann sich auch ihre Fähigkeit, Klimagefahren zu überleben, erheblich verbessern. UNICEF fordert Regierungen und Unternehmen nachdrücklich dazu auf, Kindern zuzuhören und Maßnahmen zu priorisieren, die Kinder vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen, und gleichzeitig die Anstrengungen zur drastischen Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen zu beschleunigen.“
Ohne die dringend erforderlichen Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen werden Kinder weiterhin am stärksten unter den Folgen des Klimawandels und Umweltbelastungen leiden. Im Vergleich zu Erwachsenen benötigen Kinder mehr Nahrung und Wasser pro Kilogramm des Körpergewichts, sind weniger in der Lage, extreme Wetterereignisse zu überleben und sind unter anderem anfälliger für giftige Chemikalien, Temperaturschwankungen und Krankheiten.
In ihrem Vorwort zu dem Bericht erklären Farzana Faruk Jhumu (Bangladesch), Eric Njuguna (Kenia), Adriana Calderón (Mexiko) und Greta Thunberg (Schweden) von Fridays for Future: „Die Bewegungen junger Klimaaktivist*innen werden weiter zunehmen, weiterhin wachsen und für das Richtige kämpfen, weil wir keine andere Wahl haben. Wir müssen anerkennen, wo wir stehen, den Klimawandel wie eine Krise behandeln und mit aller notwendigen Dringlichkeit handeln, um sicherzustellen, dass die Kinder von heute einen lebenswerten Planeten erben.“
UNICEF fordert von Regierungen, Unternehmen und relevanten Akteur*innen:
- Investitionen in die Klimaanpassung und Widerstandsfähigkeit von zentralen Dienstleistungen für Kinder erhöhen. Um Kinder, besonders schutzbedürftige Menschen und Gemeinden vor den schlimmsten Auswirkungen des sich bereits ändernden Klimas zu schützen, müssen wichtige Dienstleistungen angepasst werden, unter anderem in den Bereichen Wasser, Sanitär und Hygiene sowie Gesundheit und Bildung.
- Treibhausgas-Emissionen reduzieren. Um die drastischsten Folgen der Klimakrise zu verhindern, sind umfassende und dringende Maßnahmen erforderlich. Die Länder müssen ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 45 Prozent (gegenüber dem Niveau von 2010) reduzieren, um die Erwärmung auf nicht mehr als 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
- Kindern Kenntnisse im Bereich Klima und Umweltschutz vermitteln. Dies ist für die Anpassung an und die Vorbereitung auf die Auswirkungen des Klimawandels entscheidend. Kinder und Jugendliche müssen mit den verheerenden Folgen der Klimakrise und der Wasserunsicherheit leben, obwohl sie am wenigsten dafür verantwortlich sind.
- Junge Menschen in alle nationalen, regionalen und internationalen Klimaverhandlungen und -entscheidungen einbeziehen, auch auf der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow in diesem Herbst.
- Sicherstellen, dass die Erholung von den ökonomischen und sozialen Folgen der COVID-19-Pandemie umweltfreundlich, kohlenstoffarm und inklusiv erfolgt, damit die Fähigkeit künftiger Generationen, die Klimakrise zu bewältigen und auf sie zu reagieren, nicht beeinträchtigt wird.
Eine an Kinderrechten orientierte Umwelt- und Klimapolitik ist eine zentrale Forderung von UNICEF Deutschland zur Bundestagswahl.
Quelle: UNICEF Deutschland
Mehr zum notwendigen Wandel im factory-Magazin Change. Wie sehr die Klimakrise die Freiheit gefährdet, lesen Sie im gleichnamigen factory-Magazin "Freiheit" – oder in den Themenbereichen.