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Konjunkturprogramm muss für nachhaltige Wirkung nachgebessert werden, fordert das Wuppertal Institut

Das am 3. Juni verabschiedete Konjunkturprogramm soll die durch Wirtschafts- und Coronakrise reduzierte deutsche Wirtschaftsleistung in den nächsten zwei Jahren wieder erhöhen. Allerdings drohen die Effekte zu verpuffen, wenn die Regierung sie nicht durch eine konsequente Klimaschutzpolitik begleitet. So fehlen wichtige Bereiche wie Investitionen in die Circular Econmy, die Energie- und Ressourceneffizienz, stellen die Wissenschaftler*innen des Wuppertal Instituts fest. Sie schlagen deswegen eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung vor.

Weil die Wirtschaftsleistung von Deutschland durch die Corona-Pandemie stark beeinträchtigt ist, einigten sich die Regierungsparteien am 3. Juni 2020 auf ein „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ sowie ein „Zukunftspaket“ in Höhe von insgesamt 130 Milliarden Euro. Insgesamt sind für 2020 und 2021 fast 60 Maßnahmen vorgesehen, die von steuerlichen Vergünstigungen bei der Mehrwertsteuer bis zu konkreten Investitionen in Zukunftstechnologien reichen.

Die Wuppertaler Wissenschaftler*innen um Prof. Manfred Fischedick stellen fest, dass das Maßnahmenpaket der Großen Koalition zwar gute Ansätze und viele wichtige Impulse beinhalte. Diese drohten allerdings zu verpuffen, werden sie nicht durch eine konsequente und nachhaltig ausgerichtete Klimapolitik flankiert. Zudem würden für den Klimaschutz wichtige Bereiche fehlen, wie Investitionen in die Kreislaufwirtschaft. Außerdem würden Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz nur unzureichend berücksichtigt. Gerade in diesen Bereichen hätten sich konjunkturbelebende Effekte und Klimaschutz in idealer Form ergänzen können, kritisiert die Forscher*innen. Ihr Diskussionspapier „Konjunkturprogramm unter der Klimaschutzlupe – viele gute Impulse, aber Nachbesserungen für nachhaltige Wirkung erforderlich?“ fasst zusammen, welche Maßnahmen im Rahmen der jetzt anstehenden Umsetzungsphase nachgebessert werden sollten und wo Ergänzungen notwendig sind.

Bereits in dem Diskussionspapier „Folgen der Corona-Pandemie und Klimaschutz“ vom März 2020 hatten die Wuppertaler bestätigt, dass Maßnahmen für die konjunkturelle Belebung notwendig sind. Diese sollten aber so ausgerichtet sein, dass sie zukunftsgerichtet sind und gleichzeitig Impulse für mittel- bis langfristig ohnehin notwendige Transformationsprozesse leisten und so einen doppelten Nutzen bringen. Mit Blick auf die Vermeidung zukünftiger, womöglich noch deutlich weitgehenderer Krisen sind diesbezüglich vor allem Investitionen für den Klimaschutz erforderlich.

Im jetzt beschlossenen „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ im Verbund mit einem „Zukunftspaket“ ist etwa ein Viertel der Summe von 130 Milliarden Euro für Investitionen für den Klimaschutz vorgesehen. „Die klimapolitischen Maßnahmen geben wichtige Impulse, vor allem wenn sie ergänzend zu den Vereinbarungen aus dem Klimaschutzprogramm 2030 gesehen werden. Sie können aber nur ein Anfang sein, wenn es darum geht notwendige strukturelle Veränderungen zur Erreichung der Klimaschutzziele anzuregen. Das Programm beinhaltet zwar wichtige Themen wie Wasserstoff, Elektromobilität und Gebäudesanierung. Es sendet jedoch für den Klimaschutz nicht das von vielen Seiten erhoffte Aufbruchssignal, welches aufgrund der sich zuspitzenden Klimaveränderungen dringend erforderlich wäre“, betont Prof. Dr.-Ing Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts.

Einschätzungen und Empfehlungen des Wuppertal Instituts

Daher empfehlen die Autor*innen des Wuppertal Instituts im jetzt erschienenen Diskussionspapier Anpassungen sowie die Umsetzung weiterer Maßnahmen. Im Zentrum ihrer Analyse stehen die Sektoren Gebäude, Industrie, Verkehr, Energiewirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung, Kreislauf- und Abfallwirtschaft genauso wie Handlungsmöglichkeiten im Bereich Lebensstile und Konsum. Aus der Sicht der Forschenden fehlen in dem Zukunftspaket für den Klimaschutz wichtige Bereiche, wie insbesondere Investitionen in die Kreislaufwirtschaft. Diese könnten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Wirtschaftskreisläufe robuster und weniger krisenanfällig aufzustellen und neue Exportmärkte zu erschließen.

Ein weiterer Schwachpunkt sei, dass Energieeffizienzmaßnahmen, deren Umsetzung mit großen volkswirtschaftlichen Effekten verbunden ist, in dem Konjunkturprogramm eine eher untergeordnete Rolle spielen.

Zudem zeigen die Wissenschafter*innen auf, dass bei einigen der beschlossenen Maßnahmen die Gefahr besteht, kontraproduktive Effekte für den Klimaschutz auszulösen, wenn etwa durch eine Mehrwertsteuer-Senkung auf die Benzin- und Dieselpreise das Autofahren attraktiver wird. Auch eine geringere beziehungsweise stabilere EEG-Umlage (und damit auch der Stromkosten), die aus sozialer und wirtschaftlicher Sicht absolut sinnvoll ist und die Sektorenkopplung unterstützt, kann sich bei heutigen Anteilen erneuerbarer Energien am Strommix potenziell emissionssteigernd auswirken, da sie weniger Anreize für die Umsetzung von Stromeinsparmaßnahmen setzt.

"Die Einschätzungen und Empfehlungen des Wuppertal Instituts knüpfen dabei an die mittlerweile umfangreiche aktuelle wissenschaftliche Diskussion zur Ausgestaltung solcher Programme an. Die Maßnahmenvorschläge werden in systematischer Form anhand von vier Kriterien bewertet: zeitnahe Umsetzbarkeit, Zielgerichtetheit, zeitliche Begrenzung und nachhaltige Wirkung", heißt es in einer Pressemitteilung zum Papier. Auf der Basis der kritischen Analyse schlagen die Expert*innen für die verschiedenen Sektoren aus ihrer Sicht sinnvolle Nachbesserungen sowie Ergänzungen vor.

Gebäude

Hier führe die weitgehende Fokussierung des Konjunkturpakets auf bereits bestehende Programme der Gebäudesanierung zu schneller Umsetzbarkeit, sagen die Wuppertaler. Bei der konkreten Ausgestaltung sollte aber unbedingt die soziale Komponente als Teil eines sozial-ökologischen Transformationsprozess verstärkt werden. Wichtige Akteursgruppen müssten zudem stärker in den Blick genommen werden, unter anderem durch Öffnung der Zuschussvariante für private Kleinvermieterinnen und -mieter. Ergänzend empfehlen sie die Durchführung einer Komfortlüftungsoffensive für das Erschließen von Einsparpotenzialen jenseits der Gebäudehülle und als Beitrag zum Gesundheitsschutz. 

Industrie

Mit der Wasserstoffwirtschaft werde zwar ein wichtiger Zukunftsbereich in den Mittelpunkt gestellt, hinzu kommen sollte aber eine zügige und unbürokratische Umsetzung vorhandener Effizienzpotenziale. Dies könne im Rahmen einer Investitionsoffensive Energieeffizienz zur Förderung hocheffizienter Maschinen und Anlagen erfolgen, statt mit einer undifferenzierten Senkung der Stromkosten. Hier könne eine schnelle Verankerung und konsequente Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien in öffentlichen Beschaffungsprozessen (grüne Produkte und Materialien) helfen.

Kreislauf- und Abfallwirtschaft

Weder das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket noch das Zukunftspaket enthalte konkrete Maßnahmen bezüglich der Kreislauf- und Abfallwirtschaft. Zusätzlich erforderlich seien daher Investitionen in Sektoren und Querschnittsthemen mit erheblichen Kreislaufwirtschaftspotenzialen und hoher Klimaschutzwirkung, wie beispielsweise ein Start-up-Programm für zirkuläre Textilien. Zudem sollte die Industrie durch Maßnahmen zur Stärkung des Kunststoffrecyclings und digitalisierten Kreislaufwirtschaft unterstützt werden.

Verkehr

Das Konjunkturpaket enthalte zahlreiche gute Maßnahmen und konsequente Orientierung auf die Elektromobilität. Allerdings verdeutlichten veränderte Mobilitätsbedürfnisse als Folge der Corona-Pandemie aber, dass die Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur beschleunigt ausgebaut werden müsse und speziell auch ein Programm zur Verkehrsvermeidung gefördert werden sollte. Innovative Mobilitätsangebote, wie die Förderung des Bikesharings, können dies unterstützen. ?Während eine Kaufprämie für Elektrofahrzeuge nur Bevölkerungsgruppen anspreche, die einen Pkw nutzen und einen Neuwagenkauf finanzieren können, könne eine Mobilitätsprämie für alle Bürger*innen als Konsumgutschein für nachhaltige Mobilität dienen, zum Beispiel für Carsharing, Anschaffung eines Pedelecs oder Abo-Tickets für den öffentlichen Verkehr.

Energiewirtschaft

Klimapolitisch sei die Reduktion der EEG-Umlage aus Sicht des Klimaschutzes ein zwiespältiger Ansatz, sagen die Wuppertaler Forscher*innen. Die Minderung setze zwar wichtige Anreize für die Sektorenkopplung, wirke aber stark negativ auf Anreize zur Stromeinsparung. Abhilfe schaffen könnte dagegen ein Prämienprogramm für stromsparende Geräte und Prozesse, mindestens aber eine höhere Mehrwertsteuer-Reduktion für effiziente elektrische Geräte und Anlagen.

Landwirtschaft und Ernährung

Die Land- und Ernährungswirtschaft wird durch das Konjunkturprogramm kaum adressiert, das hatten auch schon verschiedene Nichtregierungsorganisationen wie der WWF bemängelt. Gerade hier ließe sich eine stärkere Lenkungswirkung der Mehrwertsteuerabsenkung erzielen, wenn diese explizit an regionale, ressourcenleichte und sozialgerecht-erzeugte Lebensmittel geknüpft würde. Zudem würde dies positive Effekte für die Binnennachfrage auslösen. 

Lebensstile und Konsum 

Die Schnittstellen zwischen Produktion und Konsum seien im Paket ebenfalls nicht berücksichtigt. Die verminderte Mehrwertsteuer führe zu Anreizen für den Konsum nach dem „Gießkannenprinzip“, statt gezielt ressourcenleichte und klimaschützende Lebensweisen und dazugehörige Produkte zu fördern. Umgekehrt bestehe die Gefahr, dass in energieintensive Produkte investiert wird. Durch finanzielle Förderung im Verbund mit einer Produktinformationsplattform für ökologische, soziale und nachhaltig Produkte könnte nachhaltiger Konsum für möglichst Viele ermöglicht werden.

Zusammenfassend stellt Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick dar: „Dieses 130-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket ist ein mutiger Schritt in die richtige Richtung. Die nächsten Wochen sollten aber unbedingt dafür genutzt werden, Nachbesserungen und Ergänzungen umzusetzen, um die Wirkung für den Klimaschutz zu erhöhen und damit nicht nur einen konjunkturbelebenden Effekt auszulösen, sondern zeitgleich Krisenprävention zu betreiben. Die Corona-Krise kam plötzlich und unerwartet, vom Klimawandel wissen wir dagegen ganz genau, dass er stetig fortschreitet und dauerhafte Folgen hat, wenn wir nicht jetzt massiv gegensteuern. Es wäre fahrlässig, nicht jede Chance zu nutzen, einen möglichst hohen Beitrag zum Gegensteuern zu leisten.“

Das knapp 90 Seiten starke Papier bietet eine Fülle von umsetzbaren Maßnahmen und Wirkungsabschätzungen aus der Perspektive von fast 20 Wissenschaftler*innen des Wuppertal Instituts.

Empfehlenswert in diesem Zusammenhang sind die factory-Magazine Mobilität, Steuern, Circular Economy und Rebound.

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