40 Prozent weniger Treibhausgase sollte Deutschland bis 2020 ausstoßen – gegenüber 1990, so war das Ziel 2014 formuliert. Doch im Moment sieht es ganz so aus, als würde es nicht erreicht. Im Mittel müssten weitere 45 Millionen, im schlechtesten Fall bis zu 82 Millionen Tonnen Treibhausgase zusätzlich zu den bereits eingeleiteten Maßnahmen eingespart werden, heißt es in einer Meldung zu der Studie. Vor dem Hintergrund des gerade auf dem Gipfel in Marrakesch als vorbildlich gefeierten deutschen Klimaschutzplans 2050 wirft ein drohendes Scheitern des 2020-Ziels kein gutes Licht auf die deutsche Klimapolitik.
Das Institut IZES analysierte im Auftrag von BUND, Greenpeace, Klima-Allianz Deutschland, Oxfam und WWF die Umsetzung des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 und weiterer Maßnahmen seit Ende 2014. Der Studie zufolge sind in vielen Bereichen deutlich geringere Emissionseinsparungen zu erwarten als geplant. Auch insgesamt sei die Lücke zum Klimaziel mit bis zu 120 Millionen Tonnen Kohlendioxid größer als die Bundesregierung annehme. Diese gehe von einer Lücke zwischen 62 und 100 Millionen Tonnen aus. Ursache für die große Diskrepanz seien zu optimistische Annahmen über die künftige Entwicklung der Emissionen, so die Umweltverbände. Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, seien deutlich verstärkte Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland nötig. Die Verbände erwarten, dass das Bundesumweltministerium den offiziellen Berichtsentwurf zum Stand der Zielerreichung für 2020 im Laufe dieser Woche zur Kommentierung an die Stakeholder versendet. Sie fordern eine deutliche Kurskorrektur und einen schnelleren Kohle-Ausstieg. Diesen und eine Ausstiegskommission hatte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf Druck der Kohlelobby noch vor dem UN-Klimagipfel in Marrakesch aus dem Klimaschutzplan 2050 von Umweltministerin Barbara Hendricks gestrichen. Das Klimaschutzziel 2020 von 40 Prozent hatte Gabriel 2007 auf der Klimakonferenz in Bali als Umweltminister bekanntgegeben.
Aus dem Bundesumweltministerium kommt weiter Zustimmung zum schnelleren Kohleausstieg. Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, hatte vergangene Woche im brandenburgischen Rundfunk eingeräumt, dass Deutschland mehr Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel unternehmen muss. Das 2020-Ziel sei mit den bisherigen Maßnahmen nicht zu erreichen, sagte auch Flasbarth. "Bei der kurzen Zeit, die zur Verfügung steht, kann es nur noch gelingen, wenn im Strommarkt etwas passiert. Das heißt, Kohlekraftwerke müssen bis 2020 noch etwas schneller vom Netz gehen."
Die in der Studie festgestellte Klimaschutzlücke entspricht mindestens den jährlichen Emissionen der zwölf ältesten Braunkohleblöcke in Deutschland. Kurzfristig wirksam wäre allein, noch vor 2020 ein Vielfaches mehr an Kohlekraftwerken abzuschalten als bislang vorgesehen, so die Verbandsvertreterinnen.
Der BUND weist noch auf ein anderes Phänomen hin: In Karlsruhe will der EnBW-Konzern das Gas- und Dampfturbinenkraftwerk RDK 4S stilllegen. Weitsichtiger wäre, stattdessen den alten Steinkohleblock 7 vom Netz zu nehmen, fordert der BUND. Schließlich hätten Gaskraftwerke einen höheren Wirkungsgrad als Kohlekraftwerke und könnten durch ihre extrem kurzen Startzeiten schnell hohe elektrische Leistung erreichen. Sie produzieren zudem 50 Prozent weniger Kohlendioxid als Kohlekraftwerke. Unter den fossilen Brennstoffen sei Erdgas die flexibelste, umweltschonendste und effizienteste, so der BUND. EnBW will die Anlage abschalten, weil sie nicht mehr rentabel sei.
Dass die Kohle kaum zu halten ist, zeigen auch die Stilllegungspläne von STEAG. Der Kraftwerksbetreiber des Stadtwerke-Konsortiums-Rhein-Ruhr betreibt acht Steinkohle- und ein Raffineriekraftwerk in Deutschland. Fünf Blöcke in vier Kraftwerken sollen nun abgeschaltet werden, damit gehen 2.500 Megawatt Kohlekraft vom Netz. 800 bis 1000 Stellen sollen über einen Sozialplan sozialverträglich abgebaut werden. Als Grund nannate die Steag die niedrigen Börsenstrompreise – verursacht durch zusätzlichen Wind- und Sonnenstrom in den letzten zwei Jahren, berichtet der WDR.
Dass es auch von politischer Seite anders geht, zeigt Kanada. Das Land soll bis 2030 ganz ohne Strom aus Kohlekraftwerken auskommen, hieß es von Umweltministerin Catherine McKenna. Dort sind 21 Kohlekraftwerke in Betrieb, die zehn Prozent des kanadischen Strombedarfs decken – sie verursachen aber 70 Prozent der Treibhausgasemissionen im Stromsektor, so Klimaretter.info. In Kanada gibt es einen Flickenteppich aus CO2-Bepreisungen, der aber dennoch zu funktionieren scheint. Während Provinzen wie Québec einen Emissionshandel betreiben, haben andere wie British Columbia eine CO2-Steuer eingeführt. Für 2018 hat Kanada angekündigt, einen CO2-Mindestpreis zu verordnen. Von zehn Dollar pro Tonne CO2 soll dieser bis 2022 auf 50 Dollar steigen. Schon jetzt erzeugt Kanada 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen. Der neue Plan soll die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens garantieren.
Mehr zum Ausstieg aus der Kohle, zum Wirken von CO2-Steuern und warum ein Festhalten an den fossilen Energien nicht nur umwelt- sondern auch wirtschaftschädlich ist, im factory-Magazin Divestment.
Bild: BUND