Über Freiheitsbeschränkungen wird in der Coronakrise viel diskutiert und geklagt – zurecht: Welche sind notwendig, welche überzogen, was wird womöglich bleiben? Noch vor kurzem wurde die Freiheit als Großbegriff gegen einen drohenden, vermeintlich freiheitsraubenden Klimaschutz ins Feld geführt, gegen notwendige Veränderungen bei der Energieversorgung, im Verkehr, in der Landwirtschaft und in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Und wahrscheinlich ist sogar, dass die Debatte um die Freiheit bald wieder in die gleiche Richtung führt: Wenn es darum geht, die Schritte zur Bewältigung der erneuten weltweiten Wirtschaftskrise zu diskutieren. Dem Klimaschutz droht dabei trotz der Erfahrungen aus der Coronakrise wieder wahlweise das Label "Freiheits-/Spaß-/Wachstums-Verhinderer".
Dabei stehen neben der Bewältigung der Pandemie und Wirtschaftskrise immer noch die Grundaufgaben vor uns. Nochmal zur Erinnerung: 2015 verpflichteten sich im Abkommen von Paris alle Nationen der Erde zu Klimaschutzmaßnahmen. Ihr Ziel war und sollte immer noch sein, die Erderwärmung und ihre lebens- und umweltgefährdenden Wirkungen zu begrenzen. Weil freiwillige Maßnahmen einzelner Länder bisher zu wenig erreichten und für das 1,5- bzw. 2-Grad-Ziel nicht ausreichen, sollen jetzt nationale Gesetze und Verordnungen die Umsetzung sichern. Im jährlichen Klimaschutz-Index erfüllt bisher kein Land der Welt die nötigen Anforderungen.
Allmählich scheint den meisten Menschen klar zu werden. dass es zu einer „großen Transformation“ kommen wird, entweder durch Katastrophen oder durch Gestaltung, und dass die notwendigen Änderungen alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche betreffen werden. Dieser Eindruck scheint sich bei den Menschen besonders durch die Erfahrungen in der Coronakrise zu bestätigen.
Doch Veränderung bedeutet immer auch Unsicherheit, und die wird ausgenutzt. Weil die fossile Wirtschaftsweise vollständig aufgegeben und stattdessen Ressourcenschutz zur neuen Maxime werden muss, reagieren viele mit Ängsten und Beharrungsstreben: Rechte, nationalistische, rassistische Kräfte gewinnen weltweit an Einfluss. Sie versprechen, dass sich mit ihnen nichts ändere, sie im Gegenteil für mehr Sicherheit gegenüber wachsenden Bedrohungen sorgen würden. In der Coronakrise können sich gegenwärtig autoritäre Staatslenker profilieren, weil sie mit einem "Durchregieren" Sicherheit vermitteln, konservative Führung wird bestätigt.
Und diejenigen, die weiter fossil wirtschaften und davon profitieren wollen, werden weiterhin behaupten, dass Klimaschutz unsere Freiheit bedrohe. Sie schüren Ängste, dass gesetzgeberische Maßnahmen die Freiheit einschränken, dass womöglich Ökodiktaturen mit CO2-Preisen grausame Regime der Freudlosigkeit errichten.
Dabei hat die gegenwärtige Krise das Potenzial zu zeigen, was wir erreichen könnten, wenn wir gemeinsam schnell und konsequent handeln und dem Rat der Wissenschaft folgen. Dies ist auch und gerade beim Klimaschutz notwendig – auch wenn die Folgen des Klimawandels zunächst erst langsam aufzutreten scheinen.
Denn die Opfer und Folgen einer weiterhin ungebremsten Klimakrise werden weit zahlreicher und dauerhafter als die der Coronakrise sein. Eine zunehmende Verengung von Naturräumen könnte sogar weitere ähnliche Pandemien verursachen, eine nicht gemeinwohlorientierte Wirtschaft in immer stärkeren Krisen unzählige Menschen verarmen.
Dass im Gegenteil Klimaschutz und Begrenzung des Klimawandels überhaupt erst Freiheit und Menschenrechte garantieren, und dass fossile Freiheit und Wohlstand gleichzeitig einen die Unfreiheit und Armut der anderen bedeuten, die unter den Folgen leiden, erhält in der gesellschaftlichen Debatte bisher kaum Beachtung – und so wird möglicherweise nach der Coronakrise wieder sein. Mit der Angst vor dem Verlust von Freiheit darf in Sachen Klimawandel keine Stimmung gegen notwendige Veränderungen gemacht werden.
Vertraut die Politik in Sachen Klimawandel und Krisenbewältigung nicht auch hier den Empfehlungen der Wissenschaft und setzt sie keine klaren Grenzen für gesellschaftliches und wirtschaftliches Handeln, drohen sich in der Klima- und Biodiversitätskrise die multiplen Entwicklungen und Folgen zu überschlagen.
Erforderliche Lebensstilanpassungen und Wirtschaftstransformationen nähmen sich gegenüber den Freiheitsbeschränkungen durch Pandemien wie Covid-19 geradezu lächerlich aus. Dass nur nachhaltige Entwicklung in Zukunft Freiheit und Menschenrechte garantieren kann, wäre eine wichtige Botschaft.
In diesem Magazin „Freiheit“ wollen wir deshalb klären, warum sie zugleich Bedingung und Ergebnis der Nachhaltigen Entwicklung ist – und welche Rahmenbedingungen dieser wirklich etwas bringen. Wir zeigen, wie Infrastrukturen unsere Mobilität bestimmen, welches nachhaltiges Potenzial ein Grundeinkommen für die Gesellschaft hätte und vergleichen die Klimakrisenlösungen einer Ökodiktatur China und des so genannten freien Westens. Und wir verweisen auf die Perspektiven einer ökoliberalen Politik und die der Freiheit auf einem begrenzten Planeten, die zu einem neuen Denkgebäude werden könnten.
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