Die Klima-Uhr tickt, zudem macht die Überschreitung planetarer Belastungsgrenzen Kippelemente wahrscheinlicher. Laut CO2-Uhr des MCC sind es nur noch knapp fünf Jahre, bis die Menschheit die verbleibenden 224 Gigatonnen Treibhausgase in Form von CO2-Äquivalenten verbraucht hat – wenn sie die Emissionen nicht schnell reduziert, wie es der Weltklimarat empfiehlt. Mit einem schnellen Ausstieg aus der fossilen Verbrennung und dem Ausbau natürlicher CO2-Senken sollte es immer noch möglich sein, so der IPCC.
Deutschland hat seinen fairen Anteil an diesem Restbudget offenbar überschritten. Das zeigt ein heute veröffentlichtes Kurzpapier, in dem der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), auch Umweltrat genannt, seine Berechnungen zum verbleibenden deutschen CO2-Budget aktualisiert hat.
Für eine Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 °C sei dieses deutsche CO2-Budget fast oder sogar vollständig aufgebraucht – je nachdem, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Klimagrenze eingehalten werden solle, teilt der Umweltrat mit. Es stelle sich die Frage nach dem Umgang damit.
Überschreitung müsse zu mehr Reduktion führen
„Das noch verbleibende CO2-Budget schmilzt rapide“, sagt Prof. Wolfgang Lucht. „Die Klimawissenschaft hat stets gewarnt, dass sich das Fenster schließt, in dem Deutschland einen ausreichenden und fairen Beitrag zur Einhaltung der 1,5 °C-Grenze leisten kann, ohne auf spekulative Maßnahmen wie eine künftige Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre oder Budgetzukäufe im Ausland zurückzugreifen."
Inzwischen sei es unausweichlich, dass Deutschland mehr CO2 ausstoße als den Land gemäß dem Anteil an der Weltbevölkerung zustehe. Die Überschreitung dieses fairen deutschen Budgets für 1,5 °C müsse daher umso mehr Ansporn sein, mit neuer Entschlossenheit an einer schnelleren Reduzierung der Emissionen zu arbeiten, so Lucht.
"Es wirft aber auch die Frage nach der Verantwortung für Schäden und Verluste aufgrund der Überschreitung auf.“
Konkret hat Deutschland demnach seinen fairen Anteil an einem globalen CO2-Budget, mit dem die 1,5 °C-Grenze mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent eingehalten werden kann, bereits Anfang 2023 überschritten.
Legt man eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zugrunde, verbleibt noch ein sehr geringes deutsches Restbudget, das im Verlauf von 2024 aufgebraucht wird.
1,5-Grad-Grenze weiterhin Orientierung
Für eine Temperaturgrenze von 1,75 °C mit 67 Prozent Wahrscheinlichkeit umfasst das maximale CO2-Budget für Deutschland noch 3,9 Gigatonnen CO2. Würden die Emissionen in diesem Fall ab heute linear auf null reduziert, müsste Deutschland spätestens 2037 CO2-neutral sein.
Aus Sicht des SRU sollte sich die deutsche wie die internationale Klimapolitik weiterhin an der Einhaltung der 1,5°C-Grenze orientieren, auch wenn das hierfür verbleibende CO2-Budget auch auf globaler Ebene inzwischen sehr klein ist.
Die Berechnungen des Sachverständigenrats beruhen auf aktuellen Emissionsdaten sowie verbesserten wissenschaftlichen Analysen zum verbleibenden globalen CO2-Budget, die seit den letzten Veröffentlichungen des Weltklimarates erschienen sind. Sie verwenden ansonsten die gleiche Methodik wie die früheren Veröffentlichungen des Umweltrats zum CO2-Budget (SRU 2020 und 2022).
Trotz der Überschreitung des deutschen Anteils bleibe die 1,5-Grad-Grenze der relevante Bezugspunkt, an dem sich auch die Politik und Gesellschaft orientieren solle, fordert der Umweltrat.
Überschreitungs- statt Restbudgets
Seiner Auffassung nach solle die Bundesregierung nun das Ausmaß der Zielverfehlung statt durch Restbudgets mit Überschreitungsbudgets ausweisen.
"Aus Gründen der Klimagerechtigkeit sollten sich Deutschland und die EU zu den mitverursachten Schäden und Verlusten bekennen sowie die Frage der Entschädigung betroffener Staaten hierfür glaubwürdig in die Diskussion aufnehmen", heißt es im SRU-Statement.
"In einem weiterentwickelten Völkerrecht könnten bei einer Verfehlung der Pariser Klimaschutzziele auf die hierfür wesentlich verantwortlichen Staaten vermehrt auch Haftungsrisiken zukommen." Je nach historischer Verantwortung, wie stark das Land profitiert und zahlungskräftig es sei.
"Dies hätte unter anderem zur Folge, dass Staaten ein größeres Eigeninteresse daran hätten, die Zielverfehlung so gering wie möglich zu halten, um die Folgen der Überschreitung und damit verbundene finanzielle Risiken zu minimieren."
Schließlich habe die Staatengemeinschaft beim Klimagipfel COP28 im Abschlussdokument des ersten "Global Stocktake" explizit zum Ausdruck gebracht, dass das globale CO2-Budget klein sei und rapide erschöpft werde.
Weil Ressourcenschutz der beste Klimaschutz ist und sich damit in viele Richtungen gerechte Politik machen lässt, empfehlen wir an dieser Stelle das factory-Magazin Ressourcen – und den dazugehörigen Themenbereich.