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Deutschland verfehlt Klimaziel bis 2020 deutlich: Kohleausstieg und Verkehrswende erforderlich

Nur um 30 Prozent wird die Bundesrepublik ihren Treibhausgas-Ausstoß bis 2020 gegenüber 1990 reduzieren können, zeigt eine aktuelle Analyse. Das ist bedeutend weniger als angestrebt. Das Ziel von 40 Prozent wäre nur durch kräftiges Gegensteuern bei Kohleverbrennung und Verkehrsemissionen möglich.

Geht es weiter wie bisher, wird Deutschland sein Klimaschutzziel für 2020 drastisch verfehlen. Der Ausstoß von Treibhausgasen wird gegenüber 1990 lediglich um 30 bis 31 Prozent zurückgehen – das Ziel sind 40 Prozent. Zu dieser Einschätzung kommt der Thinktank Agora Energiewende in einer aktuellen Analyse. Die Experten aktualisierten die offizielle Prognose der Bundesregierung - den so genannten Projektionsbericht aus dem Frühjahr 2017 – mit den neusten verfügbaren Daten. Im Projektionsbericht nimmt die Regierung dagegen bislang an, dass bis 2020 ein Rückgang von rund 35 Prozent erreicht wird. 

„Nur 30 Prozent statt 40 Prozent weniger CO2 ist nicht ein bisschen daneben, das wäre eine krachende Verfehlung des Klimaziels für 2020. Hier muss die nächste Bundesregierung ganz schnell nachlegen, um wenigstens in die Nähe ihres vielfach bestätigten Ziels zu kommen“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Ein Scheitern beim Klimaziel 2020 schadet nicht nur dem Klima, sondern auch Deutschlands internationaler Rolle, an der alle Regierungen seit Helmut Kohl jahrelang gearbeitet haben. Bei der nächsten Gelegenheit wird Herr Trump uns das genüsslich unter die Nase reiben, nachdem er beim G20-Gipfel im Juli von Deutschland in Klimafragen isoliert wurde“, bemerkt Graichen.

Um noch so nah wie möglich an das Klimaschutzziel 2020 zu kommen, sei ein unmittelbar im Koalitionsvertrag verankertes Sofortprogramm „Klimaschutz 2020“ unumgänglich. Dieses müsste von der künftigen Regierung zügig beschlossen und schon im ersten Halbjahr 2018 umgesetzt werden, um noch bis 2020 Wirkung entfalten zu können.

Das Klimaschutzziel 2020 von Minus-40 Prozent Treibhausgasminderung wurde von der Bundesregierung 2007 beschlossen und seither immer wieder bekräftigt, zuletzt von der Bundeskanzlerin im ARD-Sommerinterview im Juli. Mit Stand 2016 lagen die klimaschädlichen Emissionen um 28 Prozent unter dem Niveau von 1990, die Lücke bis 2020 beträgt gut 150 Millionen Tonnen CO2. Die Bundesregierung geht bislang in ihrem Projektionsbericht noch davon aus, dass die Lücke  durch die bereits beschlossenen Maßnahmen auf 70 Millionen Tonnen CO2 schrumpft. Tatsächlich dürfte aber, so die Analyse, die Lücke ohne weitere Maßnahmen bei etwa 120 Millionen Tonnen CO2 verharren (-30,5 Prozent). Hierfür gibt es mehrere Ursachen: So sind die Preise für CO2-Emissionsrechte, Heizöl, Diesel, Gas und Benzin niedriger als bislang angenommen. Zudem wachsen Wirtschaft und Bevölkerung stärker als im Projektionsbericht der Bundesregierung prognostiziert. Das führt insgesamt zu einem stärkeren Einsatz fossiler Brennstoffe – etwa in der Kohleverstromung, bei der Gebäudeheizung mit Öl und im Verkehr.

Weil Deutschlands Versagen beim Klimaschutz noch dramatischer sei, als bisher angenommen sollte die Agora-Analyse ein Weckruf für ein Klimaschutz-Sofortprogramm sein, fordert auch Dr. Christiane Averbeck, Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland, der 110 Mitgliedsorganisationen aus den Bereichen Umwelt, Entwicklung, Kirche, Jugend, Verbraucherschutz und Gewerkschaften angehören. "Das Sofortprogramm der Regierung muss alle wirtschaftlichen Sektoren und die gesamte Gesellschaft umfassen. Und sie muss es noch im ersten Halbjahr 2018 umsetzen", so Averbeck. Wenn Deutschland auch nur annähernd den eigenen Klimazielen und dem Pariser Klimaabkommen treu bleiben möchte, müsse es unverzüglich den Kohleausstieg einleiten. "Schon in wenigen Jahren muss die älteste und schmutzigste Hälfte der Kohlekraftwerke vom Netz sein. Deutschland kann nicht Energiewendeland sein und Kohleland bleiben.“

Notwendig sind gerade die deutschen Braunkohlekraftwerke, die Europas größte CO2-Quellen sind, ohnehin nicht für Deutschlands Stromerzeugung. Sie könnten sofort vom Netz. Denn der gesamte Strombedarf liegt hierzulande maximal bei 88 Gigawatt, der gesamte Kraftwerkspark habe aber laut Bundesnetzagentur eine Kapazität von 206 Gigawatt – und das sogar ohne Photovoltaik und Windkraft, die nicht einberechnet werden, weil sie wetterabhängig sind. Die Kohlekraftwerke produzieren also nur für den Export und für den Gewinn der Betreiberkonzerne. Und weil Atom- und Braunkohlekraftwerke durchlaufen, verstopft ihr Strom die Leitungen, statt sie  für den Anschluss von mehr erneuerbaren Quellen frei zu machen.

Laut einer Umfrage im August wollen 75 Prozent der deutschen Bevölkerung einen schnellen Kohleausstieg, um das Klimaziel 2020 zu erreichen. Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 spielt das Thema Klimaschutz jedoch keine Rolle. Nach einer Analyse des Deutschen Naturschutzrings äußern sich die beiden großen Parteien in ihren Wahlprogrammen negativ bis abwartend zu der Herausforderung Kohleausstieg, ebenso die FDP. Die Verkehrswende will sogar die SPD, CDU/CSU und FDP dagegen nicht. Die Linke und die Grünen sind sowohl für den Kohleausstieg als auch für die Verkehrswende.

Mehr zum Ausstieg aus den fossilen Energien und wie es in den Braunkohlegebieten im Rheinland und in der Lausitz weitergehen kann im factory-Magazin Divestment.

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