Um innerhalb der planetaren Grenzen zu wirtschaften, muss Deutschland bis 2045 weitgehend klimaneutral sein – so zumindest ist das Ziel. Das gilt auch für die energieintensive Industrie, die sich deswegen weitgehend wandeln muss. 2021 war der Industriesektor für ein Viertel der deutschen Gesamtemissionen verantwortlich.
Zwar sanken die Emissionen des Industriesektors seit 2022, das lag aber an dem geringeren Energieeinsatz aufgrund höherer Preise und einer geringeren Produktion. Die energieintensive Produktion ging 2023 um 11 Prozent zurück, die Gesamtwirtschaft schrumpfte lediglich um 0,3 Prozent.
Das Sektorziel bis 2030 laut Klimaschutzgesetz liegt bei 118 Millionen Tonnen CO2-äquivalenten Emissionen. 2022 sind es noch 177 Millionen Tonnen. Daran hat die Eisen- und Stahlerzeugung mit 51 Millionen CO2 den größten Anteil. An zweiter Stelle folgen die Emissionen aus der Zement- und Kalkherstellung mit 27 Millionen Tonnen CO2 (2022) und an dritter Stelle die Chemieindustrie mit 14 Millionen Tonnen.
Chemie drittgrößter Emittent
Diese drei Sektoren stellen auch die größten deutschen industriellen Anteile beim Europäischen Emissionshandel. Der Sektor hat jahrelang von verschenkten bzw. preisreduzierten Emissionszertifikaten profitiert und deswegen wenig in Emissionsminderungen investiert – von 2013 bis 2021 war der CO2-Ausstoß der Industrie sogar leicht gestiegen.
Den Löwenanteil der Emissionsreduktion von fast 40 Prozent in den letzten zehn Jahren leistete die Energiewirtschaft, durch Kohleausstieg und vermehrte Grünstromproduktion.
Der WWF hatte im Sommer 2023 bereits die dreißig CO2-intensivsten Industrieanlagen Deutschlands für Eisen und Stahl, Zement und Chemie mit ihren genauen Emissionshandelsmengen vom Öko-Institut untersuchen lassen und in einem Bericht vorgestellt ("Dirty Thirty").
Nun folgt mit dem “Dirty Dozen” eine tiefergehende Analyse im Chemiesektor, "denn noch ist zu wenig bekannt, wo die Emissionen eigentlich anfallen und wie sie daher am besten reduziert werden können", schreibt der WWF in der Pressemitteilung dazu. Der Umweltverband möchte in diesem Bereich die Debatte voranbringen, damit die Chemie sich zukunftsfit mache und dem Wirtschaftsstandort erhalten bleibe, heißt es.
Parks mit hohem Potenzial
Laut diesem vom Öko-Institut erstellten Bericht sind die zwölf emissionsintensivsten Chemieparks Deutschlands für rund drei Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Insgesamt emittierten diese zwölf Parks 2022 rund 23 Millionen Tonnen CO2.
Ganz vorn liegt der Chemiepark von BASF in Ludwigshafen mit einem Ausstoß von 5,9 Millionen Tonnen CO2 in 2022. Danach folgt der Park von Ineos/Currenta in Köln mit 3,6 Millionen Tonnen CO2, Platz drei teilen sich Basell in Wesseling und Evonik in Marl mit je 2,1 Millionen Tonnen CO2.
„Die Chemieindustrie ist ein Schwergewicht beim CO2-Ausstoß, dem für die Transformation Deutschlands eine Schlüsselrolle zukommt. Großes Potenzial ergibt sich besonders bei den Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK), die flexibilisiert werden können. Strom aus Solar- und Windenergie kann dann direkt in den Chemieparks genutzt werden, auch um den Wärmebedarf der Parks zu decken“, sagt Viviane Raddatz, Klimachefin beim WWF Deutschland.
Der Strombedarf der Chemieindustrie werde also perspektivisch massiv steigen – aufgrund der Elektrifizierung der Produktionsanlagen und der Produktion von grünem Wasserstoff in der Vorkette, der dann auch die Umstellung der Rohstoffbasis ermögliche. „Umso wichtiger ist es daher, dass die Politik endlich den Ausbau erneuerbarer Energien noch stärker ankurbelt als bisher - etwa durch Erleichterung des Schwerlasttransports von Windanlagen, über einen beschleunigten Netzausbau bis hin zur Schaffung resilienterer Lieferketten, damit der Industrie neben grünem Strom auch schnell klimafreundlicher Wasserstoff zur Verfügung steht“, so Raddatz.
Ressourcenverbrauch reduzieren
Die Analyse zeige, dass mit insgesamt 40 Prozent der große Teil der Emissionen auf die Kraftwerke der Chemieparks zurückzuführen ist. Danach folgen die Emissionen aus Steamcrackern (Anlagen zur Herstellung von Grundchemikalien) mit 24 Prozent und Ammoniakanlagen mit 14 Prozent.
Die Industrieunternehmen könnten ebenfalls zum Erneuerbaren-Zubau und -Einsatz beitragen etwa durch Direktlieferverträge (Power Purchase Agreements, PPAs) und flexiblere Nutzung von Strom, wenn gerade viel Erneuerbare einspeisen. Daneben sind sie gefragt, künftig nach den Kriterien der Kreislaufwirtschaft zu produzieren:
„Weniger Ressourcenverbrauch, mehr Recycling und bessere Materialeffizienz sind einige der Stellschrauben, die bisher noch zu wenig Beachtung finden. Wir fordern in diesem Zusammenhang unter anderem verbindliche Ressourcenziele nach dem Vorbild von Klimazielen und eine Ressourcensteuer für Verpackungen. Umweltkosten müssen sich endlich auch im Preis niederschlagen“, sagt Raddatz.
Flexibler produzieren
Bisher seien in der Chemieindustrie viele Prozesse noch so ausgelegt, dass sie einen dauerhaften Strombedarf haben und so Grundlastverbraucher sind. Im erneuerbaren Stromsystem sei es aber bedeutend, dass sich der Stromverbrauch stärker an der Produktion von Wind- und Solarenergie orientiert. Dafür müssten die ökonomischen Anreize stimmen.
„Um flexiblen Strombezug nicht mehr durch hohe Leistungspreise zu benachteiligen, ist es notwendig, die Stromnetzentgeltverordnung umzugestalten. Dies ermöglicht auch einen flexibleren Einsatz von KWK-Anlagen“, sagt Hauke Hermann, Senior Researcher und Studienautor am Öko-Institut.
„Außerdem sollten ab 2026 fossile KWK-Anlagen nicht mehr gefördert werden. Notwendig ist eine klare Perspektive, dass neue KWK-Anlagen auf grünen Wasserstoff umgestellt werden.“
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