Agora Energiewende und Sandbag haben einen Jahresrückblick auf das EU-Stromsystem vorgestellt. Demnach ist die Stromerzeugung in der Europäischen Union im Jahr 2016 deutlich klimafreundlicher geworden: Der CO2-Ausstoß der Kraftwerke in den 28 EU-Staaten sank um 4,5 Prozent. Der Hauptgrund liegt im vermehrten Einsatz von Erdgas zur Stromerzeugung zulasten der klimaschädlichen Kohleverstromung – insbesondere in Großbritannien, teilweise auch in Italien, den Niederlanden, Deutschland und in Griechenland. Diese Entwicklung war trotz eines EU-weit um 0,5 Prozent gestiegenen Stromverbrauchs möglich: Der zusätzliche Strombedarf wurde vollständig durch einen Anstieg der Stromerzeugung mit Erneuerbaren Energien in der gleichen Größenordnung gedeckt. Diese Zahlen stammen aus der jetzt vorgestellten Bestandsaufnahme „Energy Transition in the Power Sector in Europe: State of Affairs in 2016“. Die Studie wurde gemeinsam von Agora Energiewende und dem britischen Think Tank Sandbag erarbeitet.
Der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung wuchs demnach von 29,2 auf 29,6 Prozent, womit sie den Strommix vor Kernenergie, die einen Anteil von 26,3 Prozent hatte, dominierten. Der Zubau Erneuerbarer Energien fiel geringer als in den Vorjahren aus – so wurden zwar Windkraftanlagen in erheblichem Maße errichtet, bei Solar- und Biomassekraftwerken war die Entwicklung jedoch rückläufig. Infolge des geringeren Zubaus und eher schlechter Wind- und Solarbedingungen überstieg die Wind- und Solarstromproduktion kaum das Niveau von 2015. Für 2017 und spätere Jahre erwarten die Autoren der Studie wieder ein stärkeres Wachstum beim Erneuerbaren-Strom - unter anderem, weil insbesondere die Kosten für Strom aus Solarenergie und aus Offshore-Windkraft in den vergangenen Monaten drastisch gesunken sind; sowohl Windkraft als auch Photovoltaik gehören in weiten Teilen Europas nun zu den günstigsten neuen Stromquellen überhaupt.
Große Zweifel äußern die Autoren der Studie bei der Frage, inwieweit der 2016 beobachtete Wechsel von Kohle zu Gas zur Stromerzeugung dauerhaft ist: Denn dieser wurde durch die Schließung etlicher Kohlekraftwerke in einigen Ländern und durch sehr günstige Gaspreise in der zweiten Jahreshälfte von 2016 getrieben. Gaskraftwerke, die zuvor gegenüber Steinkohlekraftwerken das Nachsehen hatten, waren deshalb zeitweise wieder konkurrenzfähig. Eine vergleichbare Situation wird es absehbar wohl nicht nochmals geben: Bis 2020 sind bislang nur wenige Schließungen von Kohlekraftwerke angekündigt, die Gaspreise übersteigen inzwischen wieder das Niveau der Kohlepreise. Zudem werden die vorliegenden Vorschläge für eine Reform des Europäischen Emissionshandelssystems ETS vermutlich nicht dazu führen, dass die Preise für CO2-Emissionen wieder deutlich steigen – auch diese können – wie das Beispiel Großbritannien zeigt – zu einem Wechsel von Kohle- zur Gasverstromung führen.
Der europäische Emissionshandel hat den Wechsel von Kohle zu Gas im Jahr 2016 zumindest nicht unterstützt. Die Menge der ausgegebenen Emissionszertifikate überschritt auch 2016 die Menge der verbrauchten Zertifikate bei weitem, dadurch wuchs die Bugwelle überschüssiger Zertifikate, die das Emissionshandelssystem bereits seit einigen Jahren aufbaut, weiter an: Sie überschritt 2016 erstmals die Marke von 3 Milliarden Tonnen und misst nun 3,2 Milliarden Tonnen. Der Überschuss liegt somit nicht mehr weit entfernt vom Doppelten des Verbrauchs in 2016, der 1,8 Milliarden Tonnen CO2 beträgt.
„Die Kombination erheblicher Überschüsse und der gigantischen Bugwelle führt dazu, dass der europäische Emissionshandel ohne tiefgreifende Reformen bis Ende der 2020er-Jahre keine Signale für klimafreundliche Investitionen senden wird. Dabei wäre das seine eigentliche Aufgabe“, kritisiert Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Verlässliche Signale gibt es nur dort, wo ein Mindestpreis für klimaschädliche CO2-Emissionen eingeführt wurde – in Großbritannien. Vor allem deshalb ist dort die Verstromung von Kohle im Jahr 2016 drastisch zurückgegangen. Wenn Europa nicht will, dass die Emissionen beim leisesten Zucken der internationalen Kohlepreise wieder steigen, dann sollte es den europäischen Emissionshandel reparieren und mit nationalen Mindestpreisen für Treibhausgasemissionen sinnvoll verknüpfen“, empfiehlt Graichen.
„Die Transformation des europäischen Stromsektors hat sich 2016 leicht verlangsamt: Der EU-Stromverbrauch hat angesichts des anziehenden Wirtschaftswachstums nicht weiter abgenommen und die Investitionen in neue Solar- und Biomassekraftwerke sind rückläufig. Ermutigend ist, dass die Treibhausgas-Emissionen aufgrund des Schwenks von Kohle zu Gas deutlich zurückgegangen sind. Diese Weg lässt sich fortsetzen, dazu müssen weitere Kohlekraftwerke schließen und die Preise für CO2-Emissionen deutlich anziehen beziehungsweise die Gaspreise wieder fallen“, fasst Dave Jones, Analyst bei Sandbag und einer der Autoren der Studie, zusammen.
Schließlich stellt die Studie auch die Fortschritte der EU-Mitglieder bei der Einführung Erneuerbarer Energien und bei der Verbesserungen der Energieeffizienz dar – hier gibt es jeweils verpflichtende nationale Ziele für 2020. So ist der Stromverbrauch seit 2010 insbesondere in Schweden, Italien, Großbritannien, Dänemark, Frankreich und Portugal spürbar zurückgegangen. In Polen und Bulgarien wurde 2016 hingegen etwas mehr Strom verbraucht als 2010.
Der Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung wuchs EU-weit seit 2010 um 10 Prozentpunkte auf 29,6 Prozent. „Das ist ein großer Erfolg der EU-Energiepolitik im vergangenen Jahrzehnt“, sagt Graichen. „Für die Zeit nach 2020 sollte die EU daran anknüpfen und jetzt Rahmenbedingungen schaffen, die weiterhin ein solches Wachstum ermöglichen. Das ist bei den jüngsten Kommissions-Vorschlägen für das ,Clean Energy for All Europeans‘-Gesetzespaket noch nicht der Fall.“
Am europäischen Erneuerbaren-Wachstum hatten Dänemark, Litauen, Großbritannien, Italien und Deutschland größere Anteile. Die Schlusslichter heißen Lettland, Ungarn, Luxemburg, die Niederlande und Malta. Diese und weitere Zahlen sind in der Studie detailliert enthalten. Die Publikation steht kostenfrei zum Download zur Verfügung.
Quelle: Agora Energiewende