Die jährliche Emissionsbilanz der Treibhausgase des Vorjahres ist immer eine Stunde der Wahrheit. Nun hat auch das Umweltbundesamt seine Prognose dazu abegeben. Demnach werden die Verantwortlichen für die bisherigen "Problemsektoren" Verkehr und Gebäude wirksame Maßnahmen vorlegen müssen, mit denen sie die wiederholte Überschreitung ihrer Einzelziele vermeiden können.
Denn mit den vom Bundesverfassungsgericht 2021 geforderten Änderungen des Klimaschutzgesetzes müssen alle Bereiche von Industrie bis Landwirtschaft jeweils mehr erreichen. Gelingt ihnen das nicht, sind ihre Ministerien zu entsprechender Umsteuerung verpflichtet, wie eigentlich bereits seit 2021 bei Verkehr und Gebäuden.
Schließlich ist das verfassungsgemäße Ziel des Bundesgesetzes die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045, bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken, bis 2040 um 88 Prozent. Der Weg dahin ist durch jährliche Minderungsziele für die einzelnen Sektoren detailliert festgelegt.
Erreicht die Bundesregierung mit ihrer Politik keine wesentliche Beschleunigung ihrer Treibhausgaseinsparungen, bedrohen wachsende Klimawandelfolgen und deren Kosten auch in Deutschland Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Entwicklung, die eigentlich jede Regierung vermeiden müsste.
Die Zahlen des UBA verdeutlichen, dass die Regierung dazu wesentlich mehr tun muss. So sind im Jahr 2022 die Treibhausgasemissionen Deutschlands nur leicht gesunken – um 1,9 Prozent. Rund 746 Millionen Tonnen Treibhausgase entstanden, das sind gut 15 Millionen Tonnen weniger als 2021, da waren sie nach dem Lockdown-Jahr wieder um 4,5 Prozent gestiegen.
Insgesamt sind die Emissionen seit 1990 in Deutschland damit um 40,4 Prozent gesunken. Die Zielwerte des Bundesklimaschutzgesetzes (KSG) sind damit zwar in Summe eingehalten, bis 2030 muss aber die jährliche Einsparung mehr als verdreifacht werden. Und 2022 gab es einen bedeutenden Anstieg beim Energiesektor: Dieser weist 10,7 Millionen Tonnen mehr auf als 2021 und liegt bei rund 256 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente.
Trotz der Einsparungen beim Erdgas hat ein vermehrter Einsatz vor allem von Stein- und Braunkohle zur Stromerzeugung die Emissionen steigen lassen. Dämpfen konnte das die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, sie stieg um neun Prozent gegenüber 2021. Damit kann der Energiesektor seine Jahresemissionsmengen für 2022 von 257 Millionen Tonnen daher knapp einhalten.
Weiterer Emissionsanstieg bei Verkehr und Gebäude
Die Sektoren Verkehr und Gebäude liegen dagegen wieder über den im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegten Jahresemissionsmengen.
"Im Verkehr wurden im Jahr 2022 rund 148 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen. Die Treibhausgasemissionen dieses Sektors liegen rund 1,1 Millionen Tonnen (0,7 Prozent) über dem Wert von 2021 und rund neun Millionen Tonnen über der im Bundesklimaschutzgesetz für 2022 zulässigen Jahresemissionsmenge von 138,8 Millionen Tonnen CO?-Äquivalente", heißt es in der Pressemeldung des UBA.
Damit ist der Verkehr der einzige Sektor, der gleichzeitig sein Ziel verfehlt und einen Emissionsanstieg gegenüber dem Vorjahr verzeichnet. Trotz der besonders hohen Kraftstoffpreise im Jahr 2022 und der befristeten Einführung des 9-Euro-Tickets im ÖPNV sind die Emissionen des Straßenverkehrs wieder gestiegen.
Nachdem die Corona-Einschränkungen weitgehend aufgehoben wurden, hat der Pkw-Verkehr wieder leicht zugenommen. Zudem wurden die hohen Kraftstoffpreise durch den „Tankrabatt“ gemindert. Obwohl 2022 bei den Neuzulassungen von Elektroautos ein Rekordjahr war, reicht der Zuwachs nicht aus, um die Zunahme der Emissionen auszugleichen.
Zu den erneut gestiegenen Verkehrsemissionen passt der Hinweis, dass mit einem Tempolimit von Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf allen außerortlichen Straßen sich 11,1 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen ließen. Dazu zudem günstig, schnell und wirkungsvoll – und mit gesundheitlichen Nebenwirkungen wie weniger Verkehrstoten, Unfällen, Stress- und Lärmbelastungen. Schon verwunderlich, wenn die Regierung des sechstgrößten Treibhausgasemittenten der Welt nicht zu dieser Maßnahme greift.
Bei den Gebäuden kam es 2022 zu einer Emissionsminderung von knapp sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten (minus 5,3 Prozent) auf rund 112 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Trotz dieser Emissionsminderung überschreitet der Gebäudesektor, wie bereits im Vorjahr, die erlaubte Jahresemissionsmenge gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz, die bei 107,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten liegt.
Die Emissionsreduzierung liegt auch im Gebäudesektor wesentlich in den gestiegenen Energiepreisen begründet, welche zu einer Einsparung der Energieeinsätze führte. Die milde Witterung unterstützte diese Einsparung. Lediglich die Absätze von leichtem Heizöl stiegen 2022 um rund neun Prozent an, um die Lagerbestände nach den geringen Heizölkäufen 2021 wieder aufzufüllen, auch in Erwartung einer möglichen Energiekriese.
Industrie, Landwirtschaft und Abfall reduzieren
Nachdem 2021 im Sektor Industrie die nach dem Bundesklimaschutzgesetz festgelegte Höchstmenge noch nur knapp überschritten wurde, sanken die Emissionen 2022 deutlich um 19 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente bzw. 10,4 Prozent auf 164 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente.
Hier wirken sich die durch den Krieg in der Ukraine stark gesunkenen Energieeinsätze, insbesondere in der metallverarbeitenden und chemischen Industrie aus. Hauptgrund für die gesunkenen Energieeinsätze und damit die gesunkenen Emissionen in der Industrie sind die Energiekosten, welche im Vergleich zum Vorjahr inflations- und krisenbedingt stark angestiegen sind.
Mit Ausnahme von Steinkohlen, deren Einsatz sich nahezu auf dem Niveau von 2021 bewegt, sanken die Energieeinsätze der anderen fossilen Energieträger. In Folge dessen sind auch die Produktionszahlen teilweise rückläufig, insbesondere bei den energieintensiven Industrien.
Im Sektor Landwirtschaft gingen die Treibhausgasemissionen um gut 0,9 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (minus 1,5 Prozent) auf 62 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zurück. Der Sektor bleibt damit deutlich unter der für 2022 im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegten Jahresemissionsmenge von 67,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Der Rückgang ist insbesondere auf einen weiteren Rückgang der Schweinezahlen und einen geringeren Einsatz von Mineraldünger zurückzuführen.
Die Emissionen des Abfallsektors sanken gegenüber dem Vorjahr um rund 4,5 Prozent auf gut 4,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Damit bleibt der Abfallsektor erneut unter der im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegten Jahresemissionsmenge von 8,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Der Trend wird im Wesentlichen durch die sinkenden Emissionen aus der Abfalldeponierung infolge des Verbots der Deponierung organischer Abfälle bestimmt.
Sofortprogramme sollen folgen
Die Emissionsdaten des Jahres 2022 werden nun, wie im Gesetz vorgesehen, vom Expertenrat für Klimafragen geprüft. Der hatte im November 2022 bereits die Erreichung des Klimaziels 2030 angesichts der Entwicklung in Frage gestellt. Nun soll er innerhalb eines Monats eine Bewertung der Daten vorlegen.
Danach haben die jeweils zuständigen Ministerien laut Gesetz drei Monate Zeit, ein Sofortprogramm vorzulegen, das Vorschläge für Maßnahmen enthält, die den Gebäudesektor und Verkehrssektor in den kommenden Jahren auf den vorgesehenen Zielpfad bringen. Die Bundesregierung arbeitet allerdings bereits an einem Klimaschutz-Sofortprogramm, das diese Anforderungen so weit wie möglich erfüllen soll.
Was in den einzelnen Bereichen zu tun wäre, ist seit längerem klar. Der Weg zur Klimaneutralität ist gekennzeichnet von einfachen Maßnahmen bis hin zu erheblichen Investitionen – und einem genügsamen Umgang mit Ressourcen, wie in den factory-Magazinen Klimaneutral, Industrie und Ressourcen nachzulesen.