Es sind aber nicht nur die notorischen Alarmgeber, die vor einer weiteren Ökoschuldenaufnahme warnen. Selbst aus dem Bundesumweltministerium kommen mahnende Worte. "Der #Erdüberlastungstag zeigt, wie wichtig ambitionierter Klimaschutz ist. Auch hierzulande dürfen wir einen sozialverträglichen Wandel von der fossilen in eine nachhaltigere Wirtschaft nicht weiter hinauszögern. Ein „Weiter so“ ist für mich keine Option", twittert Ministerin Svenja Schulze (SPD) heute. Deutlich aber der Hinweis auf die Sozialverträglichkeit. Die Arbeitsplätze sind's, die Deutschland an einem rascheren Kohleausstieg hindern, auch wenn das Öko-Institut vor kurzem ausgerechnet hat, dass bis 2030 nur wenige Tausend Arbeitsplätze verloren gehen, wenn die klimawandeltreibende Braunkohleverbrennung aufgegeben wird.
Immerhin ist Deutschland in der Bilanz eines der Länder mit dem größten ökologischen Fußabdruck. Drei Erden verbrauchen die Menschen in diesem Land – obwohl sie nur eine haben –, selbst die Briten und die Franzosen sind etwas besser – und auch die Chinesen, deren Wirtschaft weiter wächst. Weltweit liegt der Verbrauch inzwischen bei 1,7 Erden – also fast zweimal so viel als das, was nachhaltig, also zukunftsfähig, mithin "enkeltauglich" wäre. Was das heißt, erleben nicht nur die derzeitigen Enkel hautnah: Sie werden wahrscheinlich ab 2030 keine Sommer mehr erleben, die anders sind als der derzeitige Hitzesommer mit Wasserknappheit, Dürre, Waldbränden und Ernteausfällen.
Das hat auch die Bundesumweltministerin erkannt: "Eine Folge unserer Übernutzung ist der Klimawandel mit immer häufigeren Extremwetterereignissen, die wir schon jetzt zu spüren bekommen." Sie will, dass die Welt und auch Deutschland dem Pariser Klimaschutzabkommen folgt. Immerhin haben sich 195 Nationen darin verpflichtet, dass die Welt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts treibhausgas-neutral werden muss – sie darf keine weitere Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen, die die Erderwärmung noch weiter erhöhen würde. Das Umweltbundesamt hat bereits vor Jahren simuliert, dass das selbst mit den heutigen Technologien möglich ist.
Zur Zeit ist jedoch ein großes Gegensteuern nicht zu erkennen. Im Gegenteil, der Earth Overshoot Day rückt im Kalender weiter nach vorn. Tatsächlich lag er noch nie so weit vorn im Jahr, vor zwanzig Jahren lag er noch im Oktober. Seit dreißig Jahren hält diese Entwicklung an, wenngleich sie seit 2010 auf hohem Niveau immerhin stagnierte. Jetzt aber scheint der Trend wieder nach oben zu weisen.
Die Folgen der jahrzehntelangen Übernutzung sind weltweit spürbar. Die Klimakrise und das größte Artensterben seit Verschwinden der Dinosaurier haben alle Kontinente erfasst. "Noch haben wir es in der Hand, unsere Zukunft positiv zu gestalten", so Jörg-Andreas Krüger, Leiter des Bereichs Ökologischer Fußabdruck beim WWF Deutschland. Der WWF ist deutscher Partner des Global Footprint Network, dem Erfinder und Bilanzierer des Earth Overshoot Days. Krüger fordert, dass Deutschland sich als erfolgreiche Industrienation endlich an die Spitze einer weltweiten Öko-Bewegung stellen müsse - aus purem Eigennutz: "Wir Menschen brauchen eine gesunde, stabile Umwelt. Das zeigen nicht zuletzt dieser Dürresommer oder die seit Jahren zu trockenen Frühjahre, unter denen Landwirtschaft und Ökosysteme gleichermaßen leiden. Zugleich befeuern paradoxerweise Teile der deutschen Agrarindustrie mit der konventionellen Massentierhaltung diese Entwicklung. Für die Futtertröge in unseren Mastanlagen werden etwa in Südamerika wertvolle Ökosysteme und CO2-Speicher gerodet um Platz für Soja-Monokulturen zu schaffen."
Der WWF fordert wie sämtliche anderen deutschen Umwelt- und Naturschutzorganisationen daher eine Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik, indem etwa Agrarsubventionen klarer an Umweltkriterien geknüpft werden, anstatt die Übernutzung der Umwelt zu fördern. Herausragende Bedeutung hat für den WWF zudem die konsequente Realisierung der Energiewende und des Kohleausstiegs: "Deutschland verbrennt so viel Braunkohle wie kein anderes Land der Welt. Das ist ein klimapolitisches Desaster. Wir brauchen einen rechtlich bindenden und sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohle, der bis spätestens 2035 abgeschlossen ist."
Auf globaler Ebene sieht Krüger die Vermüllung der Meere als große Herausforderung: "Die globale Plastikflut muss verebben." Dafür braucht es laut dem WWF-Experten Recyclingkreisläufe insbesondere in Südostasien und einen internationalen Pakt gegen Plastikmüll. "Deutschland kann als inspirierendes und innovatives Beispiel vorangehen und mit einem Maßnahmenplan zeigen, dass eine schnelle Halbierung der Einträge von Plastikmüll und Mikroplastik ins Meer möglich ist." Wie dem massiven Ausstoß von Kunststoffabfällen zu begegnen ist, beschreibt der Kreislaufwirtschaftsexperte Henning Wilts vom Wuppertal Institut im factory-Magazin Schuld & Sühne.
Auch das Aktionsbündnis Inkota aus Umwelt- und Entwicklungsorganisationen macht sich zum Erdüberlastungstag für eine Kehrtwende in der Lebens- und Wirtschaftsweise stark. Das Bündnis fordert von der Bundesregierung und von deutschen Unternehmen, ihrer großen Verantwortung für Klima- und Umweltschutz gerecht zu werden und endlich zukunftsfähig zu wirtschaften.
“Unsere Erde: Ausgepresst!“ steht auf einem großen Banner vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Davor quetschen Aktivistinnen und Aktivisten die Erde aus. Sobald nur noch ihre Hülle übrig ist, wird die nächste genommen. Die Aktion soll verdeutlichen: Wenn alle so weitermachen wie bisher, brauchen wir mehr als einen Planeten. „Statt der Natur Zeit zur Regeneration zu geben, pressen wir unsere Erde aus wie eine Zitrone“, sagt Kira Heinemann von der BUNDjugend. „Damit betreiben wir Raubbau an nachfolgenden Generationen.“
Einer der Hauptverursacher der Erdüberlastung sei die industrielle Landwirtschaft. „Seit der Fusion von Bayer und Monsanto haben nun der größte und der viertgrößte Agrarkonzern der Welt ihren Hauptsitz in Deutschland“, sagt Lena Michelsen vom entwicklungspolitischen INKOTA-netzwerk. „Unternehmen wie Bayer und BASF, die mit ihrer Wirtschaftsweise unseren Planeten am stärksten belasten, müssen in besonderer Weise in die Pflicht genommen werden.“ Die Bundesregierung könne damit zeigen, dass sie Klima- und Landwirtschaftspolitik zusammendenkt.
„Die hohen CO2-Emissionen in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr spielen für die Erdüberlastung eine zentrale Rolle", ergänzt Julia Otten von Germanwatch. „Deutschland gehört zum obersten Viertel aller Länder mit einer enorm großen Erdüberlastung. Deutschland muss jetzt nicht nur den mit einem zügigen Kohleausstieg verbundenen Strukturwandel, sondern auch die Verkehrs- und Wärmewende sowie eine Umstrukturierung der Landwirtschaft entschlossen angehen.“
Kristina Utz von FairBindung fügt hinzu: „Unendliches Wirtschaftswachstum lässt sich nicht vom Ressourcenverbrauch entkoppeln. Durch die Auslagerung der Produktion unserer Güter in andere Länder wälzen wir die Kosten unserer ressourcenintensiven Lebensweise auf den globalen Süden ab.“
Auch in anderen Bereichen wie beim Bauen ist Ressourcenschutz und mehr Ressourceneffizienz immer noch nicht Standard: "Direkt befragt gibt es kaum einen Bauherrn oder Investor, der den Klimawandel abstreitet oder Maßnahmen dagegen für sinnlos erklärt. „Es rechnet sich nicht“ ist die mit Abstand häufigste Antwort auf die Frage, warum nicht in Energieeinsparung, erneuerbare Energieerzeugung am Standort, Elektromobilität oder Speicherkapazität investiert wird", schreibt Anna Braune, Leiterin der Forschungsabteilung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) im dortigen Blog. "Wenn hier nicht ein Umdenken und Aktivwerden einsetzt, werden wir die Klimaschutzziele verfehlen. Nicht, weil wir keine Lösungen haben, sondern weil die Rahmenbedingungen zu wenig zielgerichtet sind."
Wie es anders geht, zeigt eine Region im Wandel, das Braunkohlerevier "indeland". Dort entstehen neue Häuser nach dem Faktor-X-Prinzip. Sie verbrauchen bei Bau und Betrieb 4 bis X-mal weniger Ressourcen als üblich. Im factory-Magazin Besser bauen wird auch ein Weg zu weiterer Ressourceneffizienz beim Bau gezeigt: Recyclingfähigkeit zum Standard zu machen.
Die Streichung aller umweltschädlichen Subventionen und ein Ressourcenschutz per Gesetz, das ist eine Forderung, die der BUND zum Earth Overshoot Day wiederholt. Entsprechende Studien und Entwürfe für ein Ressourcenschutzgesetz lägen im Umweltbundesamt bereits vor. "Ein Ressourcenschutzgesetz ist sehr sinnvoll, ihm müssen aber auch konkrete Zielvorgaben zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs folgen", erklärt heute der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. "Wir brauchen bessere politische Anreize für Industrie und Bevölkerung, um natürliche Rohstoffe zu schonen und Müll zu vermeiden. Dazu gehören Mehrweg, Recycling und geschlossene Wertstoffkreisläufe, besonders für Plastik."
Eine derartige Kreislaufwirtschaft ist mithilfe der Digitalisierung, einem entsprechenden Produktdesign und den Rahmensetzungen der Politik durchaus möglich, wie in den factory-Magazin Circular Economy und Digitalisierung nachzulesen.
Wer selbst seinen ökologischen Fußabdruck in Form seiner Ökoschulden berechnen möchte, wird beim Global Footprint Network (englisch) oder beim WWF (deutsch) fündig. Detailliere Ergebnisse in Form einer Massenbilanz gibt es beim Ressourcenrechner des Wuppertal Instituts.
Den erneut nach vorn gerückten Earth Overshoot Day nehmen das Global Footprint Network und der WWF zum Anlass, den Tag im Kalender wieder weiter nach hinten zu drängen, Richtung Oktober. Unter #movethedate gibt es Tipps für die Reduzierung der Ökoschulden. Der WWF Deutschland startet gemeinsam mit YouTubern, Wissenschaftlern und Jugendlichen die #EarthOvershootDay-Kampagne, um diejenigen zu erreichen, die von von der wachsenden Ökoschuldenaufnahme in Zukunft besonders betroffen sind. Über das Jahr verteilt werden neun YouTuber/innen in neun Filmen über ihre Meinung und Aktionen zum EarthOverShootDay berichten.