Viel ist nicht mehr übrig vom Hambacher Forst, den die Aktivisten aber lieber Wald nennen. Forst klingt zu sehr nach Wirtschaftswald, dabei ist der Hambacher Wald eigentlich ein schützenswerter Urwald. Vor der Abgrabung der Braunkohle durch RWE erstreckte er sich über 4000 Hektar, jetzt sind gerade mal noch 200 Hektar Mischwald übrig.
Diese beschäftigen aber derzeit große Teile der Bevölkerung. Der Energiekonzern RWE will ab Mitte Oktober den Hambacher Wald roden, um den Braunkohle-Tagebau in der Region zu erweitern. Die Räumung des Waldgebietes von Klimaaktivsten, die seit Jahren durch ihr Leben in dortigen Baumhäusern den Wald vor der Rodung schützen wollen, ist bereits im vollem Gang. Die Aufmerksamkeit auf den Wald ist groß: In den sozialen Medien ist die Spaltung groß, doch eine repräsentative Umfrage durch das Marktforschungsinstitut YouGov im Auftrag des Ökostromanbieters Lichtblick spricht eine klare Sprache: Die Mehrheit ist wie die Waldschützer gegen die Rodung des mehrere tausend Jahre alten Naturwalds.
So sind 43 Prozent der Befragten für eine dauerhafte Aussetzung der Rodung. 27 Prozent wollen die Ergebnisse der Kohlekommission abwarten und nur 15 Prozent sind der Meinung, dass RWE als Eigentümer frei entscheiden darf.
"Deutschland hinkt seinen Klimazielen weit hinterher, die Kohlekommission soll noch in diesem Jahr Vorschläge für das Ende der Kohleverstromung erarbeiten - und trotzdem beharrt RWE auf die Rodung des Hambacher Waldes", fasst Gero Lücking, Geschäftsführer Energiewirtschaft bei LichtBlick zusammen. "Der Konzern sollte sich seiner Verantwortung bewusstwerden und die Rodung komplett absagen. Jede weitere Kohleverstromung zerstört unser Klima und beraubt den nachfolgenden Generationen ihrer Lebensgrundlage."
Lücking fordert, dass die Meinung der Bevölkerung nicht durch den Konzern mit den Füßen getreten werden dürfe. Nach dem Unfalltod eines Journalisten im Wald war die Rodung kurzfristig ausgesetzt worden. RWE-Chef Rolf-Martin Schmitz hatte jedoch betont, dass der Energiekonzern auf jeden Fall roden würde, denn ein Verzicht würde vier bis fünf Milliarden Euro kosten. Wie diese Summe zustande kommt, darüber ließ er sich nicht aus.
Inzwischen hat auch ein Gutachten eines Bergbauunternehmens gezeigt, dass der Konzern den Wald erhalten könnte und der Tagebau trotzdem weiter betreiben könnte – wenn er denn wollte. Dabei ist es eigentlich keine Frage des Willens, sondern des Dürfens: Denn um die Klimaschutzziele von Paris einzuhalten, zu denen sich Deutschland und mithin auch die Wirtschaft verpflichtet hat, muss die Braunkohleverbrennung so schnell wie möglich gestoppt werden. Dass und wie das geht, hatte vor kurzem eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gezeigt. Demnach könnte der Rest-Hambacher Wald weiterleben.
Dabei erzeugt das sture Festhalten des Konzerns an der Räumung und Rodung eher das Gegenteil einer unternehmerischen Zukunftssicherung und Vertrauensbildung: Die Menschen wenden sich nicht nur gegen den Konzern, sondern von ihm und ähnlichen konventionellen Stromerzeugern ab. Anbieter wie die Bürgerwerk, ein genossenschaftlicher Ökostromversorger in Heidelberg, meldet stark gestiegene Wechselzahlen in den letzten sieben Tagen. Der Aufruf zum #AnbieteRWEchsel wird vielfach geteilt, wie seinerzeit beim Atomausstiegselbermachen verlieren die Stromanbieter mit RWE-Beteiligung immer mehr Kunden. Wenn RWE rodet, hat es offensichtlich kein Interesse, das Deutschland sein Klimaziel bis 2030 erreicht.
Vom Wechsel sprechen auch die von YouGov Befragten: 44 Prozent geben an an, dass sie entweder bereits Strom aus erneuerbaren Energien erhalten oder aufgrund der aktuellen Ereignisse darüber nachdenken, zukünftig Ökostrom zu beziehen.
Insgesamt verfolgen die Bürger die Nachrichten aus Nordrhein Westfalen offenbar intensiv: Durch die Berichterstattung der Medien und in sozialen Netzwerken fühlt sich der Großteil der Bevölkerung über die Ereignisse rund um den Hambacher Wald gut informiert - 82 Prozent der Befragten haben etwas darüber gehört oder gelesen, nur 18 Prozent kennen laut eigener Aussage das Thema gar nicht.
Inzwischen wechseln nicht nur die Kunden den Anbieter, auch der friedliche Protest gegen die anstehende Rodung des Hambacher Waldes wächst weiter: Knapp 10.000 Menschen beteiligten sich am vergangenen Sonntag am traditionellen Waldspaziergang und Solidaritätsveranstaltungen in elf deutschen Städten. Rund 740.000 Unterzeichner sprechen sich mit einer Online-Petition für die Rettung des Waldes aus.
Kein Pardon dagegen von der NRW-Landesregierung: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) assistiert RWE weiter dabei, seine klimaschädlichen Kohlepläne umzusetzen. „Laschet gefährdet leichtsinnig den sozialen Frieden in Deutschland“, sagt Greenpeace-Sprecher Lieven. „Die NRW-Landesregierung muss RWEs rechtswidrige Rodungsabsichten stoppen statt sie mit Polizeigewalt durchzusetzen.“
Denn der Konzern verstößt offenbar mit dem Vollzug der Rodung gegen geltendes Recht: Zu diesem Ergebnis gelangt ein Rechtsgutachten, das Greenpeace gestern vorstellte. Nach Hauptbetriebsplan und Braunkohleplan darf RWE die Bäume erst dann fällen, wenn es für den Betrieb des Tagebaus „erforderlich“ beziehungsweise „unerlässlich“ ist. Der Konzern selbst räumt jedoch ein, dass eine „betriebliche Notwendigkeit“ zu roden, erst ab dem 15. Dezember besteht.
Wie dagegen eine Perspektive mit Wald und lebenswerter Zukunft aussehen könnte, zeigt das Braunkohlerevier indeland, nachzulesen im factory-Magazin Besser bauen und online im Themenbereich.
Bild: obs/LichtBlick SE