Der Tag des Baumes bietet mal wieder Anlass für einen anderen Blick auf Bäume und Wälder. Erstmals wurde er am 25. April 1952 von Theodor Heuss gefeiert, der zusammen mit Bundesminister Robert Lehr im Bonner Hofgarten einen Ahorn pflanzte. Naturschutzorganisationen nutzen den Tag seitdem, um auf auf die Situation von Wäldern und Urwäldern hinzuweisen – auch wenn der internationale Tag des Waldes am 21. März erst vor kurzem ebenfalls dazu diente.
So belegt die Naturwald Akademie mit ihrem "alternativen Waldzustandsbericht" zum Tag des Baumes, dass fast 90 Prozent der Waldfläche Deutschlands in einem naturschutzfachlich schlechten Zustand sind. Die letzten verbliebenen naturnahen Wälder seien kaum geschützt oder bereits vernichtet, heißt es darin. Der Mangel an naturnahen Waldökosystemen habe zu einem starken Verlust der biologischen Vielfalt geführt. Die Analyse der Wälder zeige, dass sie für ein ökologisches Gleichgewicht zu jung sind.
Waldökosysteme verarmen
Die WissenschaftlerInnen der Akademie haben Daten der 3. Bundeswaldinventur des staatlichen Thünen-Instituts und Daten des Bundesamts für Naturschutz ausgewertet. Sie haben sechs, für das Ökosystem Wald entscheidende und anerkannte, naturschutzfachliche Kriterien analysiert und diese in einem Waldzustandsindex zusammengefasst. Mit ihm kann der naturschutzfachliche Zustand des Waldes einfacher beschrieben und kommuniziert werden. Die Waldzustandserhebung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, seit 1984 durchgeführt vom bundeseigenen Thünen-Institut, hatte 2017 eine Verbesserung bei den Kronenzuständen von Buchen und anderen Baumarten registriert, nur bei Kiefern eine Stagnation und bei Eichen eine Verschlechterung.
Laut alternativem Waldbericht drohen in Deutschland zahlreiche heimische Waldökosysteme auszusterben, weil auf den meisten deutschen Waldflächen nur wenige unterschiedliche Baumarten wachsen. Zudem sind es oft Baumarten, die dort natürlich nicht vorkommen würden. Besonders alarmierend ist der schlechte naturschutzfachliche Zustand bei drei für Deutschland typischen Waldtypen, die von Eichen und Buchen dominiert sind. Zu deren Schutz sind Maßnahmen dringend nötig.
Die Analyse zeigt auch, dass Deutschlands Wälder für ein ökologisches Gleichgewicht zu jung sind. Es fehlen alte Bäume. Alte Bäume mit mehr als 140 Jahren stärken das Ökosystem Wald. Sie sind existentiell für das Leben von zahlreichen Tier-, Pilz- und Pflanzenarten, die nur auf oder mit ihnen leben können. In Deutschland dürfen jedoch nur wenige Bäume alt werden. Lediglich auf 4,5 Prozent naturnaher Waldflächen wachsen Bäume, die älter als 140 Jahre sind. Und nur 0,2 Prozent dieser ökologisch besonders wertvollen Waldflächen mit alten Baumbestand sind dauerhaft geschützt.
Mehr Schutz von Wäldern notwendig
Durch den Mangel an naturnahen Wäldern mit alten Bäumen geht auch ein wichtiges Potenzial im Klimaschutz verloren. Denn in alten Bäumen kann mehr klimaschädliches Kohlendioxid langfristig im Holz gespeichert werden. Alte Bäume über 80 Jahre sind wahre CO2-Speicher-Giganten: Im letzten Viertel ihres Lebens nehmen sie fast 50 Prozent ihres gesamten Kohlenstoff-Anteils auf. Da ist es besonders frevelhaft, alte Wälder wie den Hambacher Forst für die Braunkohleverbrennung oder auch den polnischen Urwald Bialowieza für die Holzwirtschaft zu vernichten.
„Unsere Studie belegt, dass in Deutschland naturnahe Waldflächen für fast alle prägenden Waldtypen die Ausnahme sind – Bund und Länder sind deshalb gefordert. Sie müssen die besonders bedrohten und seltenen naturnahen Reste der Eichenwälder sofort unter Schutz stellen. Sonst sind diese wertvollen Wälder für Generationen verloren", sagt Dr. Torsten Welle, wissenschaftlicher Leiter der Naturwald Akademie. Diese empfiehlt außerdem einen Abholzungsstopp für über 140-jährige Bäume auf gefährdeten Waldflächen.
Fortgesetzte Zerstörung
Zum Tag des Waldes hatte schon der WWF in seinem Bericht Die schwindenden Wälder der Welt über die fortschreitende globale Waldzerstörung geklagt. Sie entwickele sich zu einer immer größeren Bedrohung für Artenvielfalt, Klimaschutz und Menschheit. So sind seit 1990 fast 2,4 Millionen Quadratkilometer Naturwald verloren gegangen, was mehr als der sechsfachen Fläche Deutschlands entspricht. Weil die Hotspots der Waldzerstörung in den tropischen Wäldern von Südamerika, Afrika und Südostasien liegen, ist das besonders dramatisch. Denn diese sind Heimat für die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten der Welt und speichern gleichzeitig besonders viele Treibhausgase, so Susanne Winter, Programmleiterin Wald beim WWF Deutschland.
Die mit Abstand größten Verluste sind nach Angaben des WWF in Afrika und Südamerika zu beobachten. Afrika hat seit 1990 zwölf Prozent seiner Waldfläche verloren (etwa 860.000 Quadratkilometer). Trauriger Spitzenreiter ist Nigeria, wo im genannten Zeitraum ganze 60 Prozent des Waldes zerstört wurden. In absoluten Zahlen stellt jedoch der Amazonas den wichtigsten Schauplatz der weltweiten Waldzerstörung dar. So hat der größte Regenwald der Erde seit 1995 über 310.000 Quadratkilometer eingebüßt. Während die Abholzung seit der Jahrtausendwende dank besserer Schutzbemühungen zunächst zurückging, zieht sie seit 2012 im Zuge der brasilianischen Wirtschaftskrise und Schwächung des Waldgesetzes wieder deutlich an.
Industrielle Landwirtschaft betreibt Waldzerstörung
Die Gründe für den Waldverlust variieren laut WWF-Bericht von Region zu Region. Der mit Abstand wichtigste Faktor sei global gesehen jedoch die industrielle Landwirtschaft. Insbesondere die Viehhaltung und der Anbau von Palmöl und Soja in riesigen Monokulturen verschlängen immer größere Flächen. Allein Deutschland importiert landwirtschaftliche Erzeugnisse von 55.000 Quadratkilometer Fläche, die einmal bewaldet waren, insbesondere Soja als Futtermittel in der Fleischerzeugung. Hinzu kämen die nicht-nachhaltige Abholzung für die Holz- und Papierproduktion, der Abbau von Bodenschätzen und Infrastrukturprojekte in zuvor unberührten Gegenden, die einer weiteren Zerstörung wiederum Vorschub leisten.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer sei, dass sich der Waldverlust insgesamt verlangsamt. Eine wichtige Rolle spielt hierbei Asien, wo nach extremer Waldzerstörung jetzt massiv aufgeforstet wird und die Waldfläche seit 1990 um rund 250.000 Quadratkilometer angewachsen ist. Auch Europas Wälder konnten sich seither um etwa 150.000 Quadratkilometer ausbreiten. Der WWF bewertet die Aufforstungen als wichtigen Schritt, sie dürften jedoch nicht von der anhaltende Zerstörung von Naturwäldern ablenken: „Aufforsten ist notwendig, es kommt aber auf das Wie an. In den meisten Fällen haben wir es mit Plantagen-Forsten für die schnelle Holzgewinnung zu tun. Wir pflanzen artenarme Monokulturen, während artenreiche Naturwälder weiter im großen Stil abgeholzt werden“, so Susanne Winter. Trotzdem sei das Aufforsten ein Beitrag zum Klimaschutz, zugleich könnten die Plantagen helfen den Druck von den Naturwäldern zu verringern.
Weg von der Ausbeutung
Um die folgenreiche Zerstörung der Wälder zu stoppen, fordert der WWF nichts weniger als eine Abkehr vom Dogma der kurzfristigen Profitmaximierung: „Unsere Wirtschaftsweise basiert zu großen Teilen auf der Ausbeutung von Ressourcen, ohne dass wir die Folgen in Betracht ziehen. Kurzfristig gewinnen wir Wohlstand, aber langfristig sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen. Die Wälder sind dafür ein Paradebeispiel. Wälder versorgen uns mit sauberem Wasser, schützen uns vor Erosion und Fluten und stabilisieren unser Klima. Setzen wir das aufs Spiel, verlieren wir mehr als ein paar Prozente Wirtschaftswachstum“, sagt Susanne Winter vom WWF.
Wie die Naturwald Akademie fordert auch der WWF einen besseren Schutz der Wälder. Um einen weiteren Niedergang aufzuhalten müssten ein Großteil der verbliebenen Naturwälder unter strengen Schutz gestellt werden. Für Klima- und Artenschutz sei darüber hinaus entscheidend, wirtschaftliche Interessen mit dem Umweltschutz zu versöhnen. Dazu spricht sich der WWF für Finanzierungsprogramme aus, mit denen eine naturnahe, die Artenvielfalt erhaltende Waldbewirtschaftung gefördert wird. Des Weiteren müssten bereits bestehende Gesetze entschiedener durchgesetzt werden. Gerade in Ländern mit großen Waldbeständen sei Korruption ein großes Problem, mitunter würden Wälder in Schutzgebieten oder gar Nationalparks abgeholzt. Doch auch hierzulande ist laut WWF noch viel zu tun: So werde beispielsweise die Holzhandelsverordnung, die den Import illegalen Holzes in die EU verhindern soll, auch in Deutschland nur mangelhaft umgesetzt.
Erst vor kurzem hatte eine Petition von Rettet den Regenwald darauf hingewiesen, dass die Gemeinde Deutsch Evern bei Lüneburg für die Sanierung einer Holzbrücke elf Kubikmeter Bongossi-Holz sanieren lässt. Das steht auf der Roten Liste der geschützten Arten und kommt aus den empfindlichen Tropenwäldern West- und Zentralafrikas, dio besonders unter der Holzindustrie leiden. Auf ein Herkunftszertifikat wollte die Gemeindeverwaltung nicht warten. Das hätte es aber für deutsche Eiche durchaus gegeben, die seit Jahrhunderten für Brückenkonstruktionen verwendet wird.
Mehr zum Wert und der Schönheit des Waldes in der Fotoreportage des factory-Magazins Divestment mit Bildern des deutschen Urwalds Sababurg mit uralten Bäumen.
Bild: Sababurg-Urwald, Wikimedia-Commons