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  • Grafiken des Jahresgutachtens 2023 des Sachverständigenrats Integration und Migration
    Grafiken des Jahresgutachtens 2023 des Sachverständigenrats Integration und Migration

Lösungen für klimawandelbedingte Migration

Der Klimawandel wirkt sich auch auf Migrationsprozesse aus, denn er gefährdet die Lebensgrundlagen der Menschen weltweit: Naturkatastrophen nehmen zu, Konflikte um Ressourcen ebenfalls. Die Wissenschaftler*innen des Sachverständigenrats für Integration und Migration schlagen in ihrem Jahresgutachten drei Instrumente zur Bewältigung vor: Klima-Pass, Klima-Card und Klima-Arbeitsvisum – und die schnelle Reduktion von CO2-Emissionen.

Die Folgen des globalen Klimawandels sind laut Abschlussbericht 2023 und des Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPCC) von 2022 bereits jetzt verheerend. Dürren, Hitze, Überschwemmungen und Nahrungsmittelunsicherheiten werden demnach deutlich zunehmen und zu Konflikten führen.

Wegen kurz- oder langfristiger Umweltveränderungen müssen bereits viele Menschen ihre Heimat verlassen, vielfach passen sie sich aber auch an, je nachdem, welche Ressourcen vorhanden sind. Meist sind die Folgen der Klimakrise nur ein Grund neben anderen, daher gibt es kaum belastbare Daten zu klimabedingter Migration.

Grenzüberschreitende Migration aufgrund von Umweltveränderungen wird nur selten erfasst, Zahlen gibt es eher für Vertriebene oder Umgesiedelte innerhalb ihres Landes nach Extremwetterereignissen, allerdings sollen auch diese lückenhaft sein. Das waren 2021 23,7 Millionen Menschen, gegenüber 14,4 Millonen, die durch Konflikte oder Gewalt intern vertrieben wurden.

Klimawandel vertreibt 250 Millionen Menschen bis 2050

Laut UN-Büro für Katastrophenvorsorge (UNISDR) in Genf ist die Zahl der klimabedingten Katastrophen im Vergleich zu den Jahren zuvor von durchschnittlich 368 auf 389 im Jahr 2021 gestiegen. Bis 2050 rechnen verschiedene Untersuchungen mit etwa 250 Millionen bis über eine Milliarde Menschen, die durch die Folgen des Klimawandels ihre Heimat verlassen, führt auch der Sachverständigenrat in seinem Gutachten aus. Das wären mit knapp 10 Millionen pro Jahr weniger als die rund 24 Millionen Menschen im Jahr 2021.

80 Prozent der Flüchtlinge stammen aus armen krisengeschüttelten Ländern, die vom Klimawandel betroffen sind, aber kaum Ressourcen haben, um die Auswirkungen zu verhindern oder abzumildern – so die UNO-Flüchtlingshilfe. Dazu gehörten die fünf Länder, aus denen weltweit die meisten Flüchtlinge kommen: Syrien, Venezuela, Afghanistan, Südsudan und Myanmar.

Geht man von einer moralischen Pflicht zur Klimagerechtigkeit aus, sollten vor allem die Länder, deren Wohlstandsentwicklung von der Verbrennung fossiler Ressourcen profitiert hat und deren hohe Treibhausgasemissionen aufgrund eines hohen Ressourcenkonsums weiterhin Umwelt und Lebensgrundlagen besonders in den Ländern des globalen Südens zerstören, auch für humane Lösungen zur Migration sorgen.

Die Chance auf Anerkennung eines Schutzstatus als Umwelt- oder Klimamigrant gibt es jedoch bis jetzt kaum. Die Genfer Flüchtlingskonvention sieht das nicht vor, eine Änderung ist weiterhin unwahrscheinlich. Dennoch gibt es seit 2010 verschiedene internationale Abkommen und Initiativen zum Umgang mit klimabedingter Vertreibung.

Menschen Migration ermöglichen

So hat bereits der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) 2018 einen internationalen Klimapass gefordert, der Einreisen und neue Staatsbürgerrechte für Klimamigrant*innen ermöglichen soll.

Einen solchen Klimapass fordert auch der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) in seinem Jahresgutachten 2023. Zur Bewältigung von klimawandelbedingter Migration solle das gesamte migrationspolitische Instrumentarium genutzt werden, schlägt der SVR vor. Mit drei Instrumenten – dem Klima-Pass, der Klima-Card und dem Klima-Arbeitsvisum – könne die Bundesregierung international eine Vorreiterrolle einnehmen, so der Rat.

"Klimawandel und Migration: was wir über den Zusammenhang wissen und welche Handlungsoptionen es gibt" lautet der Titel des Gutachtens. Der Klimawandel und seine Folgen verschärfen nicht nur bestehende soziale, ökonomische oder politische Problemlagen, sondern erhöhen auch den Migrationsdruck. Das zeige die Forschung, heißt es dazu vom SVR. Es gelte, faire Lösungen für besonders vulnerable Menschen und Länder zu finden“, sagte der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Hans Vorländer anlässlich der Vorstellung des Jahresgutachtens 2023.

„Wenn es nicht gelingt, den Klimawandel einzudämmen, wird Klimamigration einerseits weiter zunehmen. Andererseits können die Folgen des Klimawandels Migration auch hemmen oder diese sogar verhindern – etwa wenn Menschen die Ressourcen verloren gehen, die sie brauchen, um überhaupt abwandern zu können“, ergänzt Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Stellvertretende Vorsitzende des SVR.

Politisch sei es daher geboten, Migration als Anpassungsstrategie zu ermöglichen und zugleich das ‚Recht zu bleiben‘ zu stärken. Damit betroffene Menschen ihren Herkunftsort nicht verlassen müssen, brauche es Investitionen etwa in bessere Klimaschutzmaßnahmen oder eine vernünftige Katastrophenvorsorge vor Ort

Klimapolitik muss auch Migration gestalten

„Migrations- und flüchtlingspolitische Gestaltungsoptionen sollten fester Bestandteil der klimapolitischen Agenda werden. Die Zeit drängt“, sagt der SVR-Vorsitzende Prof. Vorländer. Bei plötzlichen Ereignissen eigneten sich Maßnahmen aus der Flüchtlingspolitik wie die Vergabe von humanitären Visa, eine temporäre Schutzgewährung oder auch die Aussetzung von Rückführungen in betroffene Länder und Regionen. 

Migration sollte außerdem als gestaltender Umgang mit schleichenden Umweltveränderungen begriffen und ermöglicht werden. Hier seien eher migrationspolitische Instrumente gefragt.

Das können Arbeitsvisa sein, aber auch bestehende Abkommen zur Personenfreizügigkeit auf regionaler Ebene haben sich als sehr hilfreich erwiesen, um klimawandelbedingte Migration im Sinne einer Anpassungsstrategie zu ermöglichen. 

So können etwa Rücküberweisungen an Angehörige im Herkunftsland gesunkenes Einkommen ausgleichen oder Investitionen ermöglichen, mit denen eine Anpassung an neue Umweltbedingungen finanziert werden kann.

Deutschland könne Vorbild werden

„Auch wenn der Klimawandel und dessen Folgen globale Herausforderungen darstellen, kommt den Nationalstaaten weiterhin eine maßgebliche Bedeutung zu“, erläutert der SVR-Vorsitzende. 

Das gelte gerade auch für die Gestaltung von Klimamigration, denn Migrationssteuerung ist nach wie vor in weiten Teilen eine nationalstaatliche Angelegenheit. Wenn es also darum geht, schnelle und effiziente Maßnahmen anzustoßen, ist nach Auffassung des SVR aufgrund der Schwierigkeiten, multinationale und internationale Regelungen zu etablieren, vor allem die nationale Ebene gefordert.

Dort erprobte Handlungsansätze können dann im regionalen und internationalen Kontext als Vorbild dienen. Der SVR schlägt den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern in Deutschland drei Instrumente vor, um den Herausforderungen klimawandelbedingter Migration zu begegnen: den Klima-Pass, die Klima-Card und das Klima-Arbeitsvisum.

„Diese drei aufenthaltsrechtlichen Instrumente sind als Antworten auf unterschiedliche Ausgangslagen konzipiert. Sie sind danach gestaffelt, wie stark die Herkunftsländer vom Klimawandel betroffen sind“, fasst Prof. Vorländer zusammen.

Klima-Pass, Klima-Card und Klima-Arbeitsvisum

Der Klima-Pass – den Vorschlag des WBGU hat der SVR aufgegriffen und konkretisiert –, ist für Personen aus Ländern konzipiert, die durch den Klimawandel ihr gesamtes Territorium verlieren.  Sie erhalten ein Daueraufenthaltsrecht.

Die Klima-Card ist für Menschen gedacht, die ihr Land vorübergehend aufgrund starker Zerstörung verlassen müssen; wegen des breiteren Anwendungsbereichs ist dabei eine länderspezifische Kontingentierung erforderlich. Hier handelt es sich um einen befristeten Aufenthaltstitel nach dem Vorbild humanitärer Aufnahmeprogramme; parallel müssen im Herkunftsland Anpassungsmaßnahmen umgesetzt werden, damit perspektivisch eine Rückkehr möglich wird.

Das Klima-Arbeitsvisum, mit dem ein leichterer Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht werden kann, würde nach dem Vorbild der Westbalkan-Regelung für ein gewisses Kontingent an Personen aus noch zu benennenden Staaten gelten. Ziel ist, vom Klimawandel Betroffenen durch alternative Einkommensquellen neue Perspektiven zu eröffnen.

„Das Klima-Arbeitsvisum ist ein besonders innovatives Instrument. Bislang gibt es international kaum Migrationsprogramme, mit deren Hilfe Abwanderung aufgrund schleichender klimawandelbedingter Umweltveränderungen gesteuert werden kann. Es gibt regionale Freizügigkeitsabkommen, die teilweise indirekt greifen. Mit dem Klima-Arbeitsvisum aber könnte reguläre Migration auch im internationalen Kontext ermöglicht werden“, erläutert Prof. Vorländer.

Migrationspolitik ist Klima- und Außenpolitik

Die vom SVR empfohlenen Maßnahmen aus dem Spektrum der Migrationspolitik seien als Bausteine einer größeren Gesamtstrategie zu verstehen, heißt es. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels erfordern rasches Handeln auf allen politischen Ebenen und in vielen Politikfeldern, aber auch in Wirtschaft und Gesellschaft.

„Entscheidend wird sein, in welchem Maße und wie schnell es gelingt, den CO2-Ausstoß weltweit zu begrenzen. Zu dieser Gesamtstrategie gehören neben der Migrationspolitik zudem eine Klimaaußenpolitik, die migrationspolitische Aspekte einschließt, sowie eine Entwicklungspolitik, die Anpassungsmaßnahmen umfasst, Länder beim Umgang mit der empirisch dominanten Binnenwanderung unterstützt und Katastrophenhilfe vorsieht“, betont die Stellvertretende SVR-Vorsitzende Prof. Leyendecker.

„Staaten, die einen hohen CO2-Ausstoß haben und viele natürliche Ressourcen verbrauchen, tragen eine besondere Verantwortung, die eigenen Emissionen schnell zu verringern und andere überproportional betroffene Länder in Bezug auf Klimaschutz und notwendige Anpassungsmaßnahmen finanziell und technologisch zu unterstützen.“

Lösung nur mit gesellschaftspolitischer Steuerung

Das SVR-Gutachten 2023 ist mit knapp 120 Seiten plus reichem Anhang ein Fundus an wissenschaftlich fundierten verfügbaren Informationen und Vorschlägen zur Bewältigung umwelt- und klimabedingter Migration. Für jede/n Interessierte/n und Aktive/n bieten sich eine Fülle an Material für eine entsprechende Argumentation.

Die Frage ist leider, ob sich derartige Erkenntnisse und Vorschläge überhaupt in absehbarer Zeit durchsetzen lassen. Zwar klagen Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland über den Fachkräftemangel in Unternehmen, Handwerk, Verwaltungen und Pflegeeinrichtungen und fordern mehr angesichts der demografischen Entwicklung und Überalterung mehr Einwanderung und Integration bereits Geflüchteter, die politische Realität sieht jedoch ganz anders aus.

Da wird eben statt besserer finanzieller und personeller Ausstattung der Integration in den Kommunen eher die verstärkte Abschiebung und der Schutz der Außengrenzen gefördert, weitere "Türkei-Deals" sollen folgen, damit mehr Länder auch in der Sub-Sahara-Zone Menschen von der Flucht abhalten.

Dabei ist die Zahl der Asylanträge in Deutschland seit einem Tiefstand von knapp 120.000 im Jahr 2020 wieder gestiegen, auf rund 244.000 in 2022. Rund 130.000 Menschen insgesamt erteilte das BAMF 2022 Schutz.

Gleichzeitig fehlen durch den demographischen Wandel – in den nächsten 15 Jahren geht die Generation der Babyboomer in den Ruhestand – in vielen Bereichen Arbeitskräfte. Bis 2026 sind laut Fachkräftemonitoring des Bundesarbeitsministeriums rund 240.000 Stellen mehr zu besetzen, als Arbeitskräfte verfügbar sind – Zuwanderung bereits eingerechnet.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hält langfristig eine Nettozuwanderung von mindestens 400.000 Personen im Jahr für notwendig.

Nationale und regionale Lösungen für die Integration von Migranten, egal welchen Schutzstatus sie haben, und für den demographischen Wandel, liegen also auf der Hand. Dennoch sieht es nicht so aus, als ob die Politik diese in nächster Zukunft wahrnimmt.

Rechtsextreme Parteien bestimmen inzwischen europaweit den Kurs zu einer starken Abwehr der Migration, rechtspopulistische sind teilweise sogar an Regierungen beteiligt. Denn demokratische Parteien schaffen es nicht, in Zeiten multipler Krisen für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen und mit der Einwanderung ein positives Narrativ zu verknüpfen. Echter "Change" durch Steuern und Umsteuern sieht anders aus.

Wie, das zeigen die factory-Magazine Change und Steuern – oder die entsprechenden Online-Themenbereiche. Mehr dazu, wie sich der Verlust der Lebensgrundlagen der Menschen verhindern lässt, im factory-Magazin Ressourcen.

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