Steuern
Wieso Umsteuern nur mit und nie durch Steuern gelingt
Beim Weltwirtschaftsforum 2019 in Davos plädierte der Historiker Rutger Bregman für eine stärkeren Blick auf die Besteuerung von Konzernen und Vermögenden, um den notwendigen öko-sozialen Umbau leisten zu können. Sein Ruf nach „taxes, taxes, taxes“ ging um die Welt. Doch mit mehr Steuern allein ist es nicht getan. Die drei Drehmomente hinter „taxes, taxes, taxes“ sind entscheidend.
Von Andres Friedrichsmeier
„Taxes, taxes, taxes“, dieser Wutschrei wird zum Rezo-Moment von Davos 2019. Der junge Niederländer Rutger Bregman nutzt seine Einladung zum Stelldichein der globalen Eliten kurzerhand als Bühne für eine Provokation. Bregman, der mit seinem Blog und dem Buch „Utopie für Realisten“ eine wachsende Fangemeinde im Rücken hat, arbeitet mit einer ähnlichen Mischung aus Wut und Fakten wie youtuber Rezo mit seinem CDU-Video wenige Monate später. Mit der Chuzpe eines biblischen David, der mit der Resonanz-Schleuder Social Media den Goliath der etablierten Eliten ganz schön alt aussehen lässt. Bregman, so jedenfalls sein Selbstbericht, sah in Davos Millionäre während eines Films über die Klimakatastrophe weinen. Das motiviert ihn anschließend zur Attacke auf den blinden Fleck hinter den Tränen: „Ich komme mir vor wie bei einem Feuerwehrtreffen, wo niemand über Wasser reden darf“. Denn für das Löschen der Klimakatastrophe braucht es Geld, und mit diesem „taxes, taxes, taxes, and all the rest is bullshit“ macht Bregman die Wohlmeinenden der anwesenden Millionäre erst einmal sprachlos.
Neu daran ist, ähnlich wie bei Rezo, eher der Stil als der Inhalt. 2011 etwa hatte Warren Buffet, einer der reichsten Männer der Welt, die Forderung nach mehr Steuern für Superreiche wieder prominent gemacht. Ebenso das 2013 erschiene Buch Kapital im 21. Jahrhundert, in dem der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty detailliert und für sehr lange Zeit- und mehrere Wirtschaftsräume vorrechnet, welche Anteile der Wertschöpfung durch welche Einkommenssegmente abgegriffen werden. Ein Skandal, der nicht weniger Wut verdient, bloß weil er schon lange wächst und wächst. Auch in Davos war Bregman nicht der einzige mit der Frage nach Löschwasser. Besonders aus den USA Angereiste waren schon vor Bregman in Aufregung, namentlich der jungen US-Abgeordneten Occasio-Cortez wegen, die mit der Forderung nach einem Spitzensteuersatz von 70 Prozent unerwartete Resonanz ausgelöst hatte.
Es ist müßig, hier die Berechtigung der Forderung ein X-tes Mal vorzurechnen. Wichtiger erscheint die Antwort auf die Frage, wohin sie uns führt. Zunächst einmal dahin, dass die Forderung nach Kapital für ein großes Umsteuern der ideale Moment ist, die soziale und die ökologische Frage zusammenzuführen: Wer konsequent umsteuern will, muss konsequent gerechter werden. Wenn alle einen gerechten Beitrag leisten sollen, steht automatisch die Frage im Raum, was denn überhaupt gerecht ist.
Erstes Drehmoment: Automatisches Team von Öko und Sozial
Wenn man die ökologische Frage in handhabbare Kleinpakete aufschnürt, stehen sich „Sozial“ und „Öko“ unvereinbar gegenüber wie missgünstige Geschwister: Wie stehen die Arbeiterinnen und Arbeiter da, wenn man das Braunkohlekraftwerk schließt? Wovon leben die Menschen im kenianischen Ort X, wenn sie das zum Wildpark erklärte Gelände nebenan nicht mehr betreten dürfen? Aber da, wo Ökologie nicht in Einzelthemen zerfasert – eine Plastiktüte weniger hier, eine Mastanlage weniger dort –, sondern wo grundsätzlicheres Umsteuern zur Debatte steht, werden „Sozial“ und „Öko“ zu einem schlagkräftigen Team, konkurrieren nicht länger in einem Nullsummenspiel.
„Öko“ ist dann nicht länger Synonym für noch mehr Verzicht der (relativ) Ärmsten, sondern fordert genau wie „Sozial“ eine gerechte Verteilung aller nachhaltig möglichen Konsumchancen. Besonders anschaulich erzählt dies Naomi Klein in ihrem 2014 erschienenen Buch This changes everything. Klein findet historische Vorbilder, in denen Gesellschaften tatsächlich innerhalb kurzer Zeiträume umsteuern und dabei sogar demokratisch bleiben konnten. In diesen Beispielen geht es noch nicht um die „Klimakatastrophe“, sondern etwa um die Herausforderung durch „Hitlerdeutschland“. Für diese stellten die USA kurzfristig ihre gesamte Ökonomie und Gesellschaft um. Die Gerechtigkeitsfrage kam automatisch mit auf das Ticket, ablesbar etwa an US-Spitzensteuersätzen von 90 Prozent und mehr, die sogar noch bis Anfang der 60ger Jahre fortbestanden.
Aber zurück ins Heute. Wenn nicht bloß Braunkohlearbeiter, sondern fast jede und jeder von uns etwas ändern muss, entfällt das Risiko der Arbeiter, am Ende allein dazustehen. Denn jeder von uns wünscht sich vor dem Schritt in eine Umbruchsituation Chancen auf einen fairen Ausgang. Gerade wenn niemand vorher ausrechnen kann, wo er oder sie am Ende steht, ist man bereit zu vereinbaren, dass es für alle gerechter sein wird und dass Gerechtigkeitsprinzipien das Umsteuern mit anleiten.
Soll Umsteuern demokratisch gelingen – egal ob es dazu dient, Hitler oder die Klimakatastrophe zu verhindern – gelingt entweder sozial oder es versandet im Geflecht partialer Interessen. Festzuhalten ist: Steuern sind nicht das wesentliche Instrument. In der Perspektive von Kleins Buch geht es nicht ohne eine temporäre Verstärkung von Wirtschaftslenkung. Damals haben die USA jedenfalls nicht dadurch auf eine Anti-Hitler-Ökonomie umgestellt, indem sie z. B. Strafsteuern auf deutsche Produkte erheben ließen. Leider ist bis heute keine Instanz in Sicht, die globales Umsteuern lenken könnte.
Zweites Drehmoment: An wen fließt die Steuer?
Zur Hilfe kommt ein weiteres Drehmoment hinter „taxes, taxes, taxes“, das Bregman selbst nicht bewusst zu sein scheint. Um es zu entdecken, lohnt ein fairer Blick auf die Gegenargumente der Millionäre. Die Davoser Replik des Milliardärs Michael Dell ist zum einen der Verweis auf die eigenen Charity-Aktivitäten. Zum anderen darauf, dass Steuern nicht automatisch zu besserer Steuerung sorgten. Letzteres ist bereits im vorangehenden Abschnitt andiskutiert, zu Ersterem – also dem Gedanken der Wohltätigkeit – kontert Bregman: „Es geht um Recht und nicht Almosen“.
Wer verwendet Steuern wie? Ist es, zugespitzt formuliert, tatsächlich besser, wenn mehr Geld von Microsoft in die Kasse von Donald Trump fließt und ihm so den Bau einer Mauer zu Mexiko ermöglicht? Oder ist es besser, wenn finanzielle Mittel über die Gates-Stiftung in global kostenfreie zugängliche Bildungs- und Gesundheitsangebote fließen? Nutzen Afrika kostenlose Google-Services vielleicht tatsächlich mehr als zusätzliche Steuereinnahmen in EU-Staaten, welche diese vielleicht eher in die Subvention von Regionalflughäfen und Hähnchenmast stecken? Soll eine CO2-Steuer primär jene Regierungen stärken, die die Interessen jenes Teils der Menschheit mit dem größten ökologischen Fußabdruck vertreten?
Wer geneigt ist, auf diese Fragen mit „Nein“ zu antworten, erwägt den Keim zu einer Weltregierung. Dies ist das zweite Drehmoment: Wo Geld eingesammelt und nach politischen Kriterien wieder verteilt wird, findet bereits eine Form von Regierung statt. Mit einer weltweiten Steuer würde automatisch eine mit ihr korrespondierende Leerstelle mitgeschaffen, der Ort für einen politischen Souverän, der die Steuer und ihre Redistribution autorisiert. Der in dieser Lücke wachsende Souverän würde souveräner werden, wenn ihn nicht eine Koalition westlicher Staaten daran hindert und die Leerstelle selbst usurpiert. Das würde aus der Perspektive aller anderen „Imperialismus“ genannt, selbst wenn es Charity-Milliarden für den Rest der Welt gäbe. Soll es um Recht und nicht Almosen gehen, bedeuten weltweite Steuern den ersten Schritt für eine Weltregierung.
Drittes Drehmoment: Ansprüche der Steuerzahlenden
Bekanntlich gehört Steuerpolitik seit Anbeginn zu den ersten und höchsten Privilegien eines Parlaments. Und bekanntlich waren Parlamente über historisch lange Zeiträume nur für die steuerzahlenden Bürger gedacht. Der Zusammenhang zwischen allgemeinem Wahlrecht und allgemeiner Steuerpflicht ist nicht zufällig. Popularisiert ist er im Sprichwort „wer zahlt, bestimmt die Musik“. Für den Souverän haben die größten Steuerzahler so lange das größte Gewicht, wie sich seine Souveränität auf diesen Geldfluss stützt.
Dieser Logik entgehen auch Klimasteuern nicht. Man erinnere sich, dass aus Sicht des ADAC die Mineralöl- und die KfZ-Steuer immer auch gleichzeitig einen Rechtsanspruch auf mehr Autobahn darstellen. Vor der Finanzialisierung der deutschen Konzerne gab es hierfür den Begriff „Deutschland-AG“. Wenn Steuerzahlung mittelfristig in gegenläufige Ansprüche mündet, etwa den auf Protektion, ist dies nicht bloß das Resultat von Korruption. Eine Ursprungsgeschichte hierzu erzählt der Anthropologe David Graeber in seinem viel diskutierten Schulden-Buch von 2011.
Exkursion zum König der Lydier
Zu dessen Thesen gehört, dass Steuern, Staatsgewalt und harte Währung historische Drillinge sind. Ohne ihre Verschwisterung war etwa die Versorgung einer stehenden Armee ein schwieriges Geschäft. Ständig musste man dazu umliegende Bauernschaften ausrauben, wo die benötigten Güter aber meistens versteckt oder weggeschafft wurden. In unmittelbarer Umgebung der Armee wurden so Wirtschaftskreisläufe zerrüttet. Aushilfe bot ein Doppelgeschenk aus Geldgabe und Steuerpflicht: Der Souverän prägte Münzen, mit denen seine Armee ihre Versorgung künftig kaufte statt raubte.
Diese Münzen wurden dadurch zum Zahlungsmittel, indem die gleichzeitig eingeführte Steuer in ebendiesen Münzen zu entrichten war. An die Münzen kam man nur mit Leistungen für die Armee, weshalb Versorgungsgüter nun sogar aus entfernteren Regionen und freiwillig herangeschafft wurden. Die Verwüstungen in der Nachbarschaft der Armee hörten auf und mit der Steuerpflicht wurde gleichzeitig eine Art Anspruch mitgeliefert, nicht länger vom Souverän ausgeraubt zu werden. Steuern schafften so historisch ein territoriales Gewaltmonopol und den davon unterscheidbaren Raum der Wirtschaftskreisläufe, für deren Schutz das Gewaltmonopol Verantwortung übernahm.
Abgrenzung zum rechts-populistischen „taxes, taxes, taxes“
Sein Auftritt in Davos hat Bregman auch bei den politisch Rechten Aufmerksamkeit verschafft, konkret eine Einladung zu Trumps Haussender Fox News und dem rechtspopulistischen Talkmaster Tucker Carlson. Bregman selbst analysiert klar, was die Rechten an seiner Forderung freut, nämlich die Idee einer Strafe für die vaterlandslos agierenden Konzerne Google, Facebook, Netflix und Co. Viele Rechtspopulisten reihen auch das internationale Finanzgeschäft dazu, sähen ebenso gern die in ihren Augen vaterlandslosen Trader bestraft. Bregman selbst findet keinen überzeugenden Punkt, sich hiervon abzugrenzen. Dieser Punkt ist wiederum in den Gegenargumenten der Millionäre vergraben.
Google und Co betreiben, anders als landläufig behauptet, nicht bloß geschickte Steuervermeidung. Das ist zwar auch ihr Ziel, aber entscheidender ist, dass sie tatsächlich ein neuartiges und übernational ausgelegtes Geschäftsmodell betreiben, welches sich nicht in die Logik nationaler Steuererhebung einfügt. Weshalb ihr Geschäftsmodell auch kaum von nationalstaatlicher Protektion profitieren kann, ja sogar durch Nationalstaaten behindert wird, jedenfalls in seinem heutigen Entwicklungsstand. Wer einstmals das Internet erfand, ist hierbei nicht von Belang.
Aus der Perspektive von Google und Co. ist es tatsächlich eine Art von Raub, wenn beispielsweise die EU einen neuartigen Steuertatbestand „erfindet“, der Internetkonzerne auf einer pauschalierenden Basis belangt, weil sie nicht die Art von Gewinn abwerfen, auf die bisherige Steuergesetze ausgelegt sind. Weil dem Steuerpflichtigen im Gegenzug gar keine geschäftsförderlichen Rahmenbedingungen angeboten werden, macht es, wie im Beispiel des historischen Lydiens, Sinn, seine wertvollsten Güter vor dieser Art Souverän zu verstecken.
Flössen neuartige Steuern ausschließlich an die wenigen Staaten mit der Macht zu ihrer Erzwingung, und zwar ohne Rücksicht darauf, dass das Geld in übernationalen Geschäftsmodellen erwirtschaftet wurde, winkt Applaus auch vom rechten Rand. Würde hingegen international eingesammelt und auch wieder ausgegeben, verspricht uns das zweite Drehmoment den Keim einer internationalen Regierung. Die Rechtspopulisten wollen dies nicht, und genau hier liegt der Punkt der Abgrenzung.
Es wäre jedoch keine gute Idee, eine heranwachsende Lenkungsinstanz für ökologischen Umbau allein auf CO2-Steuern zu gründen. Gibt doch das dritte Drehmoment Legitimität für jedes Geschäft, das Steuern zahlt. Wer sich schon einmal fragte, wie der CO2-Zertifikatehandel so stark unter den Einfluss der großen Verschmutzer gelangen konnte: Drehmomente spielen nicht immer im Team von Sozial und Öko.
Dr. Andres Friedrichsmeier ist Organisationssoziologe und arbeitet für das Thüringer Bildungsministerium. Im factory-Magazin Digitalisierung schrieb er zuletzt Uns geht die Arbeit aus – Warum habe ich zuviel davon?
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