Sie gelten als ökologische Getränkeverpackungen und 70 Prozent davon sollen laut Hersteller recycelt werden: Getränkekartons. Gegen diese Behauptung laufen Umweltverbände Sturm: Dies sei Verbrauchertäuschung. Am Mittwoch, 22. April 2015, 22.45 Uhr, geht die TV-Sendung ZDFzoom der Frage nach, wie Recyclingquoten berechnet werden und stellt fest: Ein Fehler im System sorgt dafür, dass Getränkekartons in Ökobilanzen so gut abschneiden.
"Schon vor dem Recyceln wird die Recyclingquote bestimmt", sagt Filmautor Berndt Welz. Technische Gründe sollen dafür laut Umweltbundesamt ausschlaggebend sein: Nachher zu messen, sei bei vielen Produkten schwierig. "Der Verbraucher wird so hinters Licht geführt, wenn Unternehmen wie Tetra Pak dann mit den vom Umweltbundesamt zertifizierten Recyclingquoten werben", so Welz.
Die Umweltbilanz, auf die sich die Getränkekarton-Hersteller beziehen, stammt aus dem Jahr 2002, erstellt vom Umweltbundesamt (UBA). Seither hat sich jedoch eine Menge getan, die Kartons sind schwerer geworden (rund 35 Prozent laut Deutsche Umwelthilfe) und enthalten mehr Kunststoff (27 Prozent) und weniger Papier (minus 4 Prozent), meist bedingt durch den Schraubverschluss – so komfortabel wie bei einer Flasche. Die gute UBA-Bilanz und die Befreiung von der Pfandpflicht verdankte die Getränkeverpackung 2002 jedoch der angegebenen Recyclingquote von 64 Prozent. Die Frage ist nur, ob diese wirklich erreicht wird?
Grundsätzlich empfiehlt das UBA Mehrwegflaschen vor Einwegflaschen vor Getränkekartons. Am besten ist die Bilanz, wenn die Flaschen regional mehrmals wiederbefüllt werden – also regionale Produkte in Mehrwegflaschen kaufen lautet die Empfehlung. Doch Getränke in Milch- und Saftkartons sind beliebt, weil sie im Gegensatz zu Glasflaschen eine bequeme Lösung darstellen. Die Getränke halten sich lange, die Kartons wiegen weniger, man muss kein Pfand zahlen - und recycelbar sind sie auch noch. Kein Wunder, dass Marktführer Tetra Pak weltweit 11,1 Milliarden Euro umsetzt und in Deutschland einen Marktanteil von 82 Prozent aufweist. Geld verdienen und gleichzeitig etwas für die Umwelt tun: Oberflächlich betrachtet macht die Firma alles richtig - und wirbt auf Milchkartons ganz offensiv mit ihrem Engagement für die Natur. Wie oberflächlich sie dabei vorgeht, zeigt Elmar Sander in seinem Beitrag Schön und gut, aber ... über nachhaltiges Kommunikationsdesign im neuen factory-Magazin Wir müssen reden (PDF, 24 MB).
Kritisch ist auch die genannte hohe Recyclingquote, die die so genannte "ökologische Vorteilhaftigkeit" garantiert - und damit die Befreiung von einem Pflichtpfand, das zum Beispiel bei Plastik- und Glasmehrwegverpackungen fällig wird. Doch wie passt das zur Empfehlung des Umweltbundesamtes: weniger Verpackung, mehr Glas - und am besten Mehrweg sowie Glas aus der Region?
Tetra Pak gab in seiner Pressemitteilung im März zu den Fortschritten bei der Verwirklichung seiner Umweltziele bis 2020 an, wichtige Meilensteine erreicht zu haben: Höhere Recyclingquoten, niedrigere CO2-Emissionen und eine neue Kartonverpackung aus 100 Prozent bio-basierten Materialien. Genauer heißt es jedoch dort: "2014 stieg die weltweite Wiederverwertungsmenge gebrauchter Getränkekartonverpackungen im Vergleich zu 2013 von 623.000 Tonnen auf 651.000 Tonnen. Das entspricht 26 Prozent der jährlichen Produktionsmenge von Tetra Pak. Gemessen an der angestrebten Wiederverwertungsquote von 40 Prozent im Jahr 2020 ist dieser Wert relativ niedrig."
Die Deutsche Umwelthilfe, auf die die Lobby der Verpackungsindustrie besonders allergisch reagiert, widmet sich seit Jahren den Ökobilanzen von Ein- und Mehrwegverpackungen. 2010 kam sie zu dem Schluss, dass die Recyclingquote in Deutschland bei gerade mal 35 Prozent liege – bei knapp der Hälfte der von der Industrie angegebenen und für die ökologische Verträglichkeit und die Befreiung von der Pfandpflicht relevanten 64 Prozent.
Die Verpackungsindustrie befürchtet eine Zwangsabgabe auf Einwegverpackungen, für die sich Anfang März UBA-Präsidentin Maria Krautzberger stark gemacht hatte – die DUH fordert 20 Cent pro Verpackung (auch zusätzlich zum Pfand bei Einwegflaschen). Grund für die Lenkungsabgabe war der Ausstieg von Coca-Cola aus dem Mehrwegsystem bei den 0,5- und 1,5-Literflaschen. Ein Ministeriumssprecher betonte aber, Ministerin Barbara Hendricks (SPD) sehe für eine Lenkungsabgabe auf Einwegflaschen "derzeit keinen Bedarf". Dies käme einem Teilverbot von Einwegverpackungen gleich und würde Getränkehersteller über Gebühr belasten, schrieb Spiegel-Online.
Lassen wir uns also überraschen, welche Recyclingquote ZDFzoom für Tetra Pak herausgefunden hat.