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  • Tabelle Wirkungsgradvergleich verschiedener Energieträger fürs Auto
    Keine Option: Wasserstoff mit geringem Gesamtwirkungsgrad beim Einsatz im Pkw. Quelle: SRU

Umweltrat empfiehlt bei Wasserstoff eher Klasse statt Masse

Mit Wasserstoff als Energieträger sind viele Hoffnungen verbunden – der Stahl-, Chemie- und Automobilindustrie, der Logistik, der Bau- und Energiewirtschaft. Doch gute Klima- und Ressourcenbilanzen hat Wasserstoff nur, wenn Produktion und Verteilung "grün" und möglichst ressourcenschonend erfolgen. Dafür plädiert der  Sachverständigenrat für Umweltfragen in einer umfangreichen Stellungnahme.

Kein Stoff wird derzeit so "heiß" diskutiert wie Wasserstoff. Doch wie kann er so produziert und genutzt werden, dass er wirklich mehr für Umwelt und Klima bringt, statt nur bisherige Technologien zu erhalten oder zu ergänzen? Und wo sind Produktion und Einsatz für einen echten Change wirklich sinnvoll?

Tatsache ist, dass überall dort, wo hohe Temperaturen und Energiedichte notwendig sind, Wasserstoff ein guter Ersatz für fossile Brennstoffe sein kann oder umweltfreundlichere Prozesse ermöglichen kann. Also in z. B. der energieintensiven Stahl- und Chemieindustrie, aber auch in Verbrennungsmotoren von Lkws, Schiffen und Flugzeugen. Für ein klimaneutrales Wirtschaftssystem ist er unerlässlich.

Allerdings ist zunächst der Energieaufwand für Wasserstoff sehr viel höher als seine -ausbeute, entsprechend geringer müsste der Aufwand für Energie und Ressourcen für Produktion, Transport und Speicherung sein, damit Wasserstoff wirklich klimaneutral sein kann.

Tatsache ist aber auch, dass eine klimaschonende Wasserstoffproduktion notwendig für eine Begrenzung der Erderhitzung ist – denn viele Produkte zur Erzeugung erneuerbarer Energien bis hin zu denen des täglichen Bedarfs und der Infrastruktur sind ohne Stahl, Zement und Co. nicht denkbar. So liegt in Deutschland der Stahlverbrauch pro Kopf und Jahr für Auto, Kühlschrank, Herd und Co. bei 400 Kilogramm, hieß es bei einem Workshop zur klimaneutralen Industrie beim Jubiliäumskongress des Wuppertal Instituts.

Deswegen spielt Wasserstoff eine wichtige Rolle für den Klimaschutz, aber es wird ein knapper und kostbarer Energieträger bleiben, fasst der Umweltrat zu seiner heute veröffentlichten fast hundertseitigen Stellungnahme zusammen, die er mit Klasse statt Masse überschrieben hat. Er empfiehlt, alle Anstrengungen auf den so genannten "Markthochlauf" von grünem Wasserstoff aus Wind und Sonne zu konzentrieren. Auch übergangsweise solle die Politik nicht auf fossil erzeugten Wasserstoff setzen.

Nach Auffassung des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) drohen jedoch aktuell falsche Weichenstellungen. Denn derzeit wird sogar oder noch diskutiert, massiv in Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen zu investieren. Seine Herstellung verursacht jedoch signifikante Treibhausgasemissionen – auch wenn Wasserstoff aus Erdgas in Kombination mit einer CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS) hergestellt wird – dabei wird so genannter "grauer" Wasserstoff aus fossilem Erdgas durch CCS "blauer" Wasserstoff.

Denn bei den jetzt bekannten Verfahren zur CO2-Speicherung bestehen weitgehende Umwelt- und Gesundheitsrisiken. „Damit würde in Technologien und Infrastrukturen investiert, die in einer treibhausgasfreien und umweltfreundlichen Wirtschaft keinen Platz mehr haben“, sagt Prof. Claudia Kemfert, stellvertretende Vorsitzende des SRU. „Statt teurer Brückentechnologien brauchen wir Investitionen in die Zukunft.“

Eine zweite Fehlentwicklung drohe bei der Nutzung von Wasserstoff: Nicht überall, wo grüner Wasserstoff und synthetische Energieträger eingesetzt werden könnten, sei dies ökonomisch und ökologisch sinnvoll, so der Umweltrat: Wenn grüner Strom direkt genutzt werden kann – wie durch das E-Auto im Straßenverkehr oder die Wärmepumpe in der Wärmeversorgung –, sei das in der Regel preiswerter und umweltfreundlicher.

Sinnvoll sei es, den Wasserstoff in Teilen der Industrie sowie im internationalen Schiffs- und Flugverkehr einzusetzen. In diesen Bereichen spielen Wasserstoff und synthetische Energieträger nach derzeitigem Wissensstand eine wichtige Rolle, um die Klimaziele zu erreichen.

Noch offen ist laut SRU, ob sich beim Schwerlastverkehr Wasserstoff oder die Elektrifizierung durch Batterien und Oberleitungen durchsetzen werden. Im Stromsystem und in Wärmenetzen solle Wasserstoff dagegen nur eine ergänzende Rolle einnehmen. Für Gebäudeheizungen und im Pkw-Verkehr sei die Nutzung von Wasserstoff hingegen ineffizient und deutlich teurer als eine direkte Elektrifizierung mittels Wärmepumpen und batterieelektrischen Fahrzeugen, stellten die Wissenschaftler*innen fest.

Ein Zertifizierungssystem mit anspruchsvollen Nachhaltigkeitskriterien sei notwendig, damit die Herstellung von grünem Wasserstoff keine Umweltprobleme wie Flächen- oder Wasserknappheit verschärft. Das gelte insbesondere für Importe. Bevor grüner Wasserstoff in großen Mengen importiert werde, sollten die inländischen Potenziale genutzt werden.

Dazu müssten zunächst die Wind- und Sonnenenergie in Deutschland massiv ausgebaut werden. „Beim Import muss sichergestellt werden, dass in den Herkunftsländern keine sozialen, ökologischen oder gesundheitlichen Probleme durch die Wasserstoffherstellung verschärft werden“, sagt die SRU-Vorsitzende Prof. Claudia Hornberg. „Der hohe Wasserverbrauch kann vor allem in trockenen Regionen gravierende Auswirkungen haben.“ Darunter fiele dann auch die häufig ins Auge gefasste massive Wasserstoffproduktion z.B. in der Sahara-Region.

Die Infrastrukturen von Wasserstoff, Erdgas und Strom sollten integriert geplant werden. Grundlage dafür müssten die Klimaziele sein. In der nächsten Legislaturperiode sollten Ausstiegspfade für Erdgas und Erdöl festgeschrieben werden, um Fehlinvestitionen in fossile Technologien zu vermeiden und die notwendige Transformation in allen Sektoren einzuleiten.

Wasserstoff könne ein wichtiger Baustein für das Ziel der Treibhausgasneutralität sein, fasst der SRU zusammen – jedoch nur wenn er umweltfreundlich und nachhaltig hergestellt und sparsam genutzt wird. Denn: Die Herstellung von grünem Wasserstoff erfordert große Mengen an erneuerbarem Strom und beansprucht damit indirekt Flächen, Rohstoffe und Wasser. "Daher sollte Wasserstoff nur dort eingesetzt werden, wo es keine effizienteren Optionen für Klimaschutz gibt. Eine vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft kann nur gelingen, wenn insgesamt weniger Energie verbraucht wird."

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