Trans-Form
Freiwillig nur unter Zwang. Nachhaltig verpflichtet, aber wodurch? (Teil 2)
Fortsetzung von Teil 1 "Freiwillig nur unter Zwang. ..." von Bernd Draser
4. Soziale Distinktion
Auf individueller Ebene sind freiwillige Selbstverpflichtungen wenig sinnvoll, weil ein Bruch der Pflicht sich leicht kaschieren lässt und dann noch das Gefühl von Lust und Befreiung erweckt, das Erlebnis der süßen Sünde. Dass ein nachhaltiger Lebensstil dadurch nicht sonderlich appetitlich wirkt, liegt auf der Hand. Ohnehin sind nicht alle Milieus für nachhaltige Distinktionsgewinne empfänglich, und wo sie es sind, besteht erstens die Gefahr, dass es sich um eine vorübergehende Mode handelt, und zweitens die Wahrscheinlichkeit, dass sich beachtliche Rebound-Effekte einstellen, indem man durch stärkeren Konsum von als nachhaltig beworbenen Produkten die Distinktion steigert. Wo dann drittens die Selbstverpflichtungen von Sittenwächtern eingefordert werden, ist der Widerwille nicht mehr zu vermeiden.
5. Green Economy
Die Green Economy ist so etwas wie die Ökonomisierung des vorhergehenden Punktes, also die Vermarktung von Lebensstilen, die ihren Selling Point in einem Distinktionsgewinn haben, der sich amalgamiert aus Statussymbolen und einer gehörigen Portion moralischer Selbstgefälligkeit. Das kann leicht als bigott empfunden werden, ist allerdings durchaus ernst zu nehmen, da der Green Economy bedeutsame wirtschaftliche Umstrukturierungsprozesse zugrunde liegen und weitere folgen; der Strom aus regenerativen Quellen ist ein gutes Beispiel dafür, nicht nur hinsichtlich der schnellen Entwicklung des Sektors, sondern auch im Blick auf die infrastrukturellen Umbrüche, die dem folgen müssen.
6. Postwachstum-Ökonomien
Als pointierten Gegensatz zur Green Economy positionieren sich Ansätze diesseits des ewigen Wachstumszwanges. Während eine Green Economy sich vorstellt, dass der Verbrauch von Ressourcen durch technologische und ökonomische Innovationen vom Wirtschaftswachstum entkoppelt werden kann, möchte dieser Ansatz ohne Wachstum auskommen. Die Bandbreite der Strategien ist beachtlich, die meisten davon sind wenig experimentell, sondern haben sich kulturgeschichtlich bewährt. Lebensweisen der Genügsamkeit bis hin zu monastisch-asketischen Modellen sind zu nennen, auch ganz pragmatische Ökonomien des Teilens, Reparierens, Selbermachens, der urbanen oder regionalen Subsistenz, seit der Antike immer wieder populäre Ansätze der epikureischen oder stoischen Lebenskunst. Das sind höchst wirksame und ästhetische Transformationskonzepte, aber wirksam nur in einem recht kleinen Milieu der Bildung und des hoch entwickelten Geschmacks. Zwar lässt sich auf einen Vorbildcharakter hoffen, aber ohne obrigkeitsstaatliche Verstärkung wird die Wirkung gering bleiben.
Verführung zur Nachhaltigkeit
Das Spektrum der Maßnahmen ist so breit wie das der Temperamente, die für sie einstehen. In kleinerem Rahmen haben sie alle ihr Recht und ihre Wirkmöglichkeiten, doch das eine Ende ihrer Wirksamkeit bildet das Allzumenschliche, das uns hinabzieht, und das andere Ende bildet die Schwelle zur obrigkeitlichen Bevormundung. Gibt es also keine Strategie, die an allen Vorteilen der oben genannten partizipieren kann, ohne mit einem Menschenbild zu operieren, zu dem es den entsprechenden Menschen nicht gibt, oder mit einer Gesellschaftsform, die keiner wollen kann?
Vielleicht wollen wir ja, um uns zu transformieren, weder mit unredlichen Mitteln überredet noch mit redlichen überzeugt, sondern zum Wandel verführt werden? Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir Pflicht nicht kantisch, sondern wörtlich nähmen? Pflicht kommt von pflegen. Das hat etwas von liebevoller Zuwendung an sich, in Ausdrücken wie „pfleglich behandeln“ klingt das mit. In der Wortgeschichte schwingt aber auch die Verwicklung, Verstrickung, das Eingebundensein mit, wie im lateinischen plicare. Aber auch die rechtliche, die sittliche und religiöse Verpflichtung klingt in der Pflicht an, wie im lateinischen obligare. Zur Verführung gehört aber auch die spielerisch-ästhetische Dimension. Das alte germanische plegan oder plecan ist auch Wurzel des englischen play, also des Spiels. Ein Spiel ist ein vergnüglicher und verführerischer, aber regelgebundener und damit höchst verbindlicher Zeitvertreib.
Das alles berücksichtigend, die sittliche und gesetzliche, die spielerisch-ästhetische Dimension, eröffnet sich ein neuer und doch ganz alter Blick auf die Möglichkeiten von Transformationsprozessen, gewissermaßen das Medium der Wahl: Es sind die Riten des Übergangs. Seit jeher sind sie Medien des Transition Management, wenn es um krisenhafte Übergänge individueller oder sozialer Art geht. Sie sind ästhetisch codierte Handlungsweisen, sie sind stammesgeschichtlich tief verankert und haben deshalb einen hohen Grad an sozialer und individueller Verbindlichkeit, weil sie auch ohne Zwang evident sind. Schon von ihren religiösen Wurzeln her sind Riten des Übergangs thematisch immer mit der Erneuerung der sozialen, natürlichen und kosmischen Ordnung verbunden. Sie sind allgemein menschlich und in allen menschlichen Kulturen gleichermaßen verankert und glaubwürdig, sie sind also leicht übertragbar.
Stellt sich die Frage: Wie könnten solche Riten des Übergangs aussehen? Und wer könnte sie durchführen? Das ist meines Erachtens die zentrale Frage aller Transformationsprozesse. Wer sie nicht stellt, wird scheitern.
Bernd Draser unterrichtet Philosophie an der ecosign-Akademie in Köln. Zuletzt schrieb er in der Vor-Sicht-factory über die Chancen von Utopien und Traditionen.
Mehr zu den Voraussetzungen und Wirkungen von Transformationsgestaltung nicht nur auf diesen Seiten sondern vor allem im factory-Magazin Trans-Form. Das PDF-Magazin enthält zudem noch Zahlen und Zitate, ist fein gestaltet und gut lesbar auf Tablets und Bildschirmen.
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