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Deutschland kann und muss bis spätestens 2035 aus der Kohleverbrennung aussteigen

Sie produzieren 40 Prozent des deutschen Stroms, sind aber für 80 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich: die deutschen Braun- und Steinkohlekraftwerke. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Studien über die Notwendigkeit und die technische und wirtschaftliche Machbarkeit des deutschen Kohleausstiegs innerhalb der nächsten 8 bis 18 Jahre, doch für die Politik sind Entwicklungsperspektiven kein Thema.

Die deutschen Kohlekraftwerke werden schließen, die Tagebaue aufgegeben. Das ist nicht nur notwendig für das Erreichen der weltweiten Pariser Klimaschutzziele und der der Bundesregierung – in die Kohle wird auch weltweit immer weniger investiert. Der deutsche Kohleausstieg ist selbst daher keine Frage mehr, nur wann er vollzogen ist, ist unsicher. So zeigen alle in einer Metastudie des Wuppertal Instituts für den Naturschutzbund (Nabu) verglichenen Szenarien, dass der Anteil von Braun- und Steinkohle im deutschen Strommix zwar in den nächsten Jahrzehnten massiv sinken wird – der Kohleausstieg jedoch beschleunigt werden muss, um die Klimaschutzziele zu erreichen.

Zwar führen die bereits existierenden Politiken und Instrumente (wie das Erneuerbare Energiengesetzt (EEG) oder der europäische Emissionshandel) dazu, dass die Kohlekraftwerke langfristig aus dem Markt gedrängt werden, doch das zwischen allen Nationen vereinbarte Ziel der Begrenzung der globalen Erderwärmung auf 2 bzw. 1,5 Grad Celsius, lässt sich nur erreichen, wenn die deutschen Kohlekraftwerke bis 2035, besser sogar bis 2025 abgeschaltet werden. Mit den bereits installierten Klimaschutzpolitiken werden sich die temparaturtreibenden Emissionen weiter stetig erhöhen, selbst die in Paris gegebenen Minderungsversprechen reichen nicht aus.

Weil die Kohleverstromung den größten Emissionsanteil hat, ist es sinnvoll, diesen Sektor so schnell wie möglich zu reduzieren, das sagen alle vorliegenden Studien. Aus den Klimazielen von Paris leiten sie Zeithorizonte für einen vollständigen Kohleausstieg in Deutschland ab, die zwischen 2025 und 2035 liegen. Sie zeigen, dass der Ausstieg technisch und energiewirtschaftlich bis 2040 machbar ist und die Versorgungssicherheit nicht gefährdet. Sie zeigen auch, dass ein schnellerer Ausstieg zu höheren Kosten führen könnte: Zusätzlich müssten Gaskraftwerke zur Absicherung von Spitzenlasten gebaut werden, und diese werden wahrscheinlich ihre Entstehungskosten nicht wieder vollständig erwirtschaften, da der Stromsektor langfristig ohnehin vollständig dekarbonisiert werden muss. Und: Alle Studien weisen darauf hin, dass für einen frühzeitigen Kohleausstieg die Reduktion des Gesamtstromverbrauchs durch Effizienz- und Suffizienzpolitiken nötig ist.

Proaktive Strukturpolitik statt Nachsorgung

Das größte Politikum beim Kohleausstieg sind die Arbeitsplätze, denn laut Umfragen wünschen sich die Menschen in Deutschland die weitere Energiewende und den Ausstieg. "Aktuell sind in deutschen Kohlekraftwerken ca. 15.000 Personen beschäftigt, im Stein- und Braunkohlebergbau sind es knapp 27.000 Arbeitsplätze", schreiben die Autor*innen. Diese Arbeitsplätze werden verloren gehen, das ist sicher. Veranschlagt werden Sozialplankosten mit 160 bis 400 Millionen Euro pro Jahr, die mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel locker finanziert werden könnten. Statt die Menschen einfach "erwerbslos" zu versorgen, schlagen die Autoren eine proaktive Strukturpolitik für die betroffenen Regionen vor. Mit Innovations- und Wirtschaftsförderung, dem Ausbau nachhaltiger Infrastrukturen (z. B. IT oder Bahntrassen), gezielter Neuausrichtung der Forschung und Aus- und Weiterbildungsangeboten sollten sie langfristige Perspektiven jenseits der Kohle aufbauen. Die Autor*innen empfehlen der Politik, dafür die in den zentralen Regionen - Rheinisches Revier, Lausitz und Ruhrgebiet - vorliegenden umfangreichen Erfahrungen im Management des Strukturwandels zu nutzen. Sie fordern aber auch weitere Forschungsarbeiten zu diesem noch am wenigsten beleuchteten Thema des Kohleausstiegs.

Für die Umsetzung des Ausstiegs sind bereits eine Reihe von Europa- und verfassungsrechtlich belastbaren Instrumenten vorhanden: So können Mindestanforderungen an bestehende Kraftwerke gestellt werden, z. B. bezogen auf deren Energieeffizienz oder Einsatzflexibilität – dann sind Kohlekraftwerke eher letzte Wahl. Möglich ist auch die Festlegung von Restlaufzeiten oder begrenzten Strombudgets für einzelne Kraftwerke oder Kontingente. Eine weitere Option bieten Änderungen an den Energie- und Stromsteuern, um einem nationalen Mindestpreis auf CO2-Emissionen zu verlangen.

„Die Pläne und Strategien liegen auf dem Tisch, aber die Politik hinkt hinterher", beklagt NABU-Präsident Olaf Tschimpke anlässlich der Studie. Es sei höchste Zeit, einen Kohlekonsens zwischen Regierung und wichtigen Akteuren wie Ländern, Kommunen, Gewerkschaften und betroffenen Unternehmen auszuhandeln. Zwar habe die Bundesregierung im Klimaschutzplan 2050 die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Regionalentwicklung“ angekündigt. „Bislang fehlt der Kommission allerdings ein klarer Auftrag, den geregelten Ausstieg aus der Kohle auf den Weg zu bringen“, so Tschimpke weiter.

Kohlekonsens statt Perspektivlosigkeit

Der NABU fordert daher ein Dialogverfahren zum Kohlekonsens, das an die geplante Kommission angedockt werden kann sowie einen gesetzlich geregelten Abschaltplan mit Stillegungsdaten für alle 106 aktiven Kohleblöcke in Deutschland. "Der Vorteil wäre, dass soziale, regionale und wirtschaftliche Verteilungsfragen in einen ausgewogenen Abschaltplan einfließen könnten", heißt es beim Nabu.

Weil die Kohlekraftwerke unflexibel sind, laufen sie auch bei Überangebot von umweltfreundlichem Wind- und Solarstrom weiter. Bereits jetzt gibt es ein Überangebot an Stromerzeugung. Das führt dazu, dass Kraftwerksbetreiber überschüssigen Kohlestrom lieber zu niedrigen Preisen ins Ausland verkaufen, als die Kohlestromerzeugung zu drosseln. „Die neue Bundesregierung muss den Kohleausstieg bis 2035 ganz oben auf die energiepolitische Agenda setzen“, so NABU-Energieexpertin Tina Mieritz. Dass die bestehende Bundesregierung in der EU für lasche Stickoxid-Grenzwerte für Kohlekraftwerke eintrete, sei daher das völlig falsche Signal.

Im Superwahljahr 2017 mit Landtagswahlen im Kohleförderland NRW und in Schleswig-Holstein im Mai und der Bundestagswahl im September wird von SPD und CDU/CSU wohl kaum eine Perspektive zum Ausstieg zu erwarten sein, allenfalls die kleineren Parteien könnten mit einem sozial- und klimaverträglichen Entwicklungsversprechen punkten.

Mehr zum Ausstieg aus der Kohle und den Perspektiven für Wirtschaft, Städte und Regionen im factory-Magazin Divestment.

Grafik: CO2-Emissionen und Stromproduktion deutscher Kohlekraftwerke, Nabu

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